# taz.de -- Proteste im Iran: Grüne Revolution reloaded | |
> Im Iran wagen sich erstmals seit 2009 wieder zahlreiche Bürger gegen das | |
> Regime auf die Straße. Das bringt Präsident Hassan Rohani in die | |
> Bredouille. | |
Bild: Das internationale Atomabkommen – das Steckenpferd Rohanis – brachte … | |
Zwölf Tote, zahlreiche Verletzte und Hunderte von Festnahmen. Auch nach | |
offiziellen Angaben haben die derzeitigen Unruhen im Iran dramatische Züge | |
angenommen. Die Proteste, die am Donnerstag mit Kritik an der | |
katastrophalen wirtschaftlichen Lage begannen, richten sich mittlerweile | |
gegen das ganze System. „Nieder mit Chamenei, nieder mit der Islamischen | |
Republik“, riefen Demonstranten nicht nur in der Hauptstadt Teheran. In | |
mehr als 50 Orten sind am Montag Iraner auf die Straße gegangen. Es ist der | |
größte Protest gegen den theokratischen Gottesstaat seit der grünen | |
Revolution 2009. | |
Seinen Anfang nahm der Aufstand in Maschad, der zweitgrößten Stadt des | |
Landes. Die Unzufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger ist groß: die hohe | |
Arbeitslosigkeit, die himmelschreiende Korruption, der drastische Anstieg | |
der Preise, vor allem bei Grundnahrungsmittel und der von der Regierung | |
angekündigte Erhöhung des Benzinpreises. In zahlreichen Fabriken haben die | |
Werktätigen schon seit Monaten keinen Lohn bekommen. Die Armut sucht | |
mittlerweile schon Teile der Mittelschicht heim. | |
Zwar ist es der Regierung von Präsident Hassan Rohani gelungen, die | |
Inflation erstmals in 25 Jahren auf eine einstellige Zahl zu senken. Auch | |
der Bruttosozialprodukt stieg im vergangenen Jahr dank der Ölexporte auf | |
12,5 Prozent. Aber das internationale Atomabkommen – das Steckenpferd des | |
moderaten Reformers Rohani – brachte nicht den erhofften Aufschwung der | |
Wirtschaft, auch weil die USA – besonders seit dort Donald Trump regiert – | |
Banken und Großunternehmen an Geschäften mit oder im Iran hindern. So hat | |
das Abkommen für den normalen Bürger keine spürbare Besserung gebracht. | |
Die Wut darüber bekommt nun selbst der sonst unantastbare Revolutionsführer | |
Ali Chamenei zu spüren. „Nieder mit Chamenei“ – „Nieder mit der Islami… | |
Republik“, skandierten die Demonstranten. „Das Volk bettelt, der Führer | |
spielt die Rolle Gottes“, riefen sie. Auch die Rolle Irans in der Region | |
wurde scharf kritisiert. „Weder Gaza noch Libanon, mein Leben opfere ich | |
für Iran“, wurde auf Kundgebungen gerufen. | |
## Anders als 2009 | |
Zwar sind die Proteste und die Wucht der Kritik gegen den Staat angesichts | |
der wirtschaftlichen Lage und der prekären Situation in der Region, die | |
möglicherweise zu einer militärischen Auseinandersetzung zwischen Iran, den | |
arabischen Staaten und Israel mit den USA im Hintergrund führen könnte, | |
nachvollziehbar. Dennoch hat die Rebellion, die sich so rasch landesweit | |
verbreitete, selbst die besten Kenner des Landes überrascht. Doch anders | |
als 2009, als die Proteste gegen die umstrittene Wiederwahl des damaligen | |
Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad eine klare Führung hatten, bleibt bei den | |
gegenwärtigen Unruhen vieles im Dunkeln: Welche Kräfte stecken dahinter, | |
wer hat sie organisiert, wohin werden die Proteste führen. | |
Bereits am zweiten Tag warf Vizepräsident Eshagh Dschahangiri den | |
Hardlinern vor, die Proteste organisiert zu haben, um Rohanis Reformkurs zu | |
torpedieren. „Der Rauch des Feuers, das ihr geschürt habt, wird in eure | |
Augen dringen“, sagte er. Tatsächlich war es auffallend, dass die | |
Erzkonservativen, die in Maschad das Sagen haben, zunächst die | |
wirtschaftlichen Forderungen der Demonstranten und ihre Kritik an der | |
Regierung unterstützt haben. Selbst als die Proteste politisch wurden, | |
warnten sie nur davor, dass mögliche Feinde der Islamischen Republik die | |
„berechtigten Forderungen“ des Volkes in eine falsche Richtung lenken | |
könnten. | |
Es ist also denkbar, dass die Hardliner, die schon seit Jahren nichts | |
unterlassen, um Rohanis Regierung zu schwächen, unterstützt von den | |
mächtigen Revolutionsgarden, die Proteste im Hintergrund initiiert haben, | |
diese aber dann außer ihrer Kontrolle geraten sind. Gerüchte, die seit | |
geraumer Zeit im Umlauf sind, sprechen von einem möglichen Staatsstreich | |
der mächtigen Revolutionsgarden, die nicht nur militärisch, sondern auch | |
wirtschaftlich und politisch die wichtigste Kraft im Land sind, ja ein | |
Staat im Staat bilden. | |
## Zugang zu den sozialen Medien eingeschränkt | |
Möglich ist aber auch, dass sowohl die Hardliner als auch die Reformer von | |
den Unruhen überrascht worden sind. Dafür spricht der relativ sanfte Umgang | |
mit den rebellierenden in den ersten Tagen. Wortführer beider Seiten | |
äußerten Verständnis für die Nöte der Menschen, versuchen aber zugleich den | |
politischen Schaden einzugrenzen. Der Zugang zu den sozialen Netzwerken | |
wurde stark eingeschränkt. „Probleme mit Gewalt und Terror zu lösen ist | |
keine Option (…) – das können und werden wir nicht mehr dulden“, warnte | |
Innenminister Rahmani Fasli. | |
Dass die Außenmächte die Rebellion unterstützen und darauf Einfluss zu | |
nehmen versuchen, liegt nahe. US-Präsident Donald Trump erklärte, die | |
Menschen im Iran wollten nicht mehr hinnehmen, dass „ihr Geld und ihr | |
Wohlstand zugunsten von Terrorismus gestohlen und vergeudet werden“. Und | |
das US-Außenministerium forderte alle Länder auf, die Rebellion im Iran zu | |
unterstützen. Israels Geheimdienstminister Israel Katz wünschte den | |
Demonstranten viel Erfolg. Auch aus Saudi-Arabien und anderen arabischen | |
Staaten kamen ermunternde Äußerungen. | |
## Eine deutliche Warnung | |
Wie es mit den Protesten weitergehen wird, ist schwer einzuschätzen. | |
Präsident Rohani, der sich erst am Sonntag zu den Vorgängen äußerte, warnte | |
vor gewaltsamen Aktionen, forderte aber gleichzeitig „Raum für Politik“. | |
„Das ist das Recht des Volkes“, sagte er. „Wir sind ein freies Land, und | |
daher haben die Menschen auch ein Recht auf Meinungsfreiheit.“ Jeder sei | |
absolut frei, seine Meinung zu äußern, sagte er, fügte aber hinzu: „Kritik | |
ist etwas anders als Verbreitung von Gewalt und Zerstörung öffentlicher | |
Güter.“ Er machte gleichzeitig deutlich, dass seiner Regierung die Hände | |
gebunden seien und sie nicht die Macht habe, ihre Reformpläne | |
durchzusetzen, dass ihm und seiner Regierung ständig Steine in den Weg | |
gelegt würden. Damit meinte er vor allem die Justiz, aber auch den | |
Revolutionsführer Chamenei. | |
Auffallend ist, dass Chamenei sich bisher zu den Vorgängen nicht geäußert | |
hat. Wie immer man die Unruhen einschätzt, fest steht: Es ist ein Schrei | |
der Massen gegen Armut, Unrecht und Unterdrückung. Eine deutliche Warnung | |
an die Machthaber des Landes – mit ungewissen Ausgang. | |
1 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Bahman Nirumand | |
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