| # taz.de -- Buch zur iranischen Politik: Die Bevölkerung will die Mullahs nicht | |
| > Die Deutschen machen weiter Geschäfte mit einer totalitären Theokratie, | |
| > die die Menschen unterdrückt und deren Israelfeindschaft notorisch ist. | |
| Bild: Als es 2009 im Iran zu Protesten kam, schickte die Regierung zuerst die M… | |
| Nur in einem säkularen Staat, nicht in einer Theokratie, wie sie zum | |
| Beispiel Ajatollah Khomeini im Iran durchgesetzt hat, oder im Staat Israel, | |
| der die Bürger jüdischer Religion privilegiert und Bürger anderer | |
| Religionen diskriminiert, ist freie Religionsausübung oder | |
| Religionslosigkeit möglich,“ schrieb die Literaturwissenschaftlerin Barbara | |
| Vinken vor Kurzem [1][im evangelischen Magazin Chrismon]. | |
| Der Vergleich der Situation von religiösen Minderheiten im Iran und Israel | |
| zeigt jedoch schnell die eklatanten Unterschiede zwischen beiden Ländern. | |
| Muslimische, christliche, jüdische, aber auch anders- und nichtgläubige | |
| Bürger genießen in Israel dieselben bürgerlichen Rechte. Es gibt, was wenig | |
| bekannt ist, auch Muslime, die freiwillig in der israelischen Armee dienen. | |
| Die Parteien der arabischen Minderheit sind in der Knesset vertreten. In | |
| der Islamischen Republik Iran ist die demokratisch politische Opposition | |
| verboten, nationale oder religiöse Minderheiten werden verfolgt und Frauen | |
| genießen nur eingeschränkte Bürgerrechte. Vergewaltigung in der Ehe ist zum | |
| Beispiel nicht strafbar. Auf Homosexualität steht offiziell die | |
| Todesstrafe. | |
| Darüber hinaus ist die islamistische Theokratie Hinrichtungsweltmeisterin. | |
| Jährlich werden Hunderte von Menschen von Staats wegen getötet, manche | |
| gesteinigt und noch viele mehr werden ausgepeitscht oder durch Amputationen | |
| verstümmelt oder sind anderweitigem Terror ausgesetzt. In Israel hingegen | |
| sind selbst frühere Präsidenten und Premierminister bei Verfehlungen nicht | |
| vor Strafverfolgung sicher. | |
| Die gleichsetzende Reihung des Iran und Israels wäre kaum einer ernsthaften | |
| Erörterung wert, wiederholte sich in ihr, wenn auch in abgeschwächter Form | |
| und nur auf religiöse Diskriminierung abzielend, nicht ein Muster. Die gern | |
| vorgetragene Behauptung, es finde hierzulande eine „Dämonisierung“ des | |
| iranischen Regimes statt, finde sich „auffallend häufig gerade bei jenen | |
| Politikwissenschaftlern, Politikberatern und Lobbyisten für den deutschen | |
| Iran-Handel, die ihrerseits eine Dämonisierung Israels betreiben“, schreibt | |
| Stephan Grigat in dem von ihm herausgegebenen Sammelband „Iran – Israel – | |
| Deutschland. Antisemitismus, Außenhandel und Atomprogramm“, der im Herbst | |
| bei Hentrich & Hentrich erschienen ist. | |
| ## Die „Friedensdividende“ und der Krieg | |
| Wer verstehen will, warum sich auf den Straßen Irans seit Kurzem wieder | |
| Widerstand gegen das Regime regt und warum der amtierende deutsche | |
| Außenminister zwar das Demonstrationsrecht der Iraner verteidigt, aber | |
| sogleich ergänzt, es sei wichtig, „allseits von gewaltsamen Handlungen | |
| Abstand zu nehmen“, als stünden sich bei den Protesten zwei ebenbürtige | |
| Parteien gegenüber, sollte die in vielfacher Hinsicht erhellenden Beiträge | |
| dieses Bands lesen. | |
| Die nach Abschluss des Atomabkommens im Jahr 2015 freigegebenen Gelder | |
| hatte die deutsche Außenpolitik als „Friedensdividende“ betrachtet. | |
| Außenminister Steinmeier zitierte damals zustimmend seinen | |
| US-amerikanischen Kollegen Kerry, der glaubte, mit dem Deal habe man einen | |
| Krieg verhindert. | |
| Tatsächlich aber wurde die „Friedensdividende“ dieses Abkommens – das im | |
| Übrigen „weder das iranische Atomprogramm beendet hat noch das Streben der | |
| iranischen Machthaber nach der Bombe“, wie Emily B. Landau schreibt – von | |
| Teheran nicht genutzt, um die stagnierende Wirtschaft des Landes in Schwung | |
| zu bringen. Sie wurde in den Krieg in Syrien investiert. Dem iranischen | |
| Regime geht es dabei um einen „schiitischen Korridor“, von Teheran bis | |
| Beirut, sowie den syrischen Diktator Assad mit allen Mitteln an der Macht | |
| zu halten. | |
| Die wirtschaftliche Situation der iranischen Bevölkerung verschlechterte | |
| sich dadurch. Für die Syrer waren die Konsequenzen fatal. „Damit die | |
| sogenannte ‚Achse des Widerstands‘ gegen Israel zwischen Teheran, Damaskus | |
| und Beirut nicht am Sturz Assads zerbricht, mussten über eine halbe Million | |
| Menschen in Syrien sterben, Millionen sind auf der Flucht“, schreibt | |
| Andreas Benl. Andere Autorinnen des Bandes formulieren es weniger | |
| zugespitzt, kommen aber dennoch zu dem Schluss: Das Mullah-Regime ist einer | |
| der Hauptverantwortlichen für die syrische Katastrophe und die Massenflucht | |
| nach Europa. | |
| ## Die Entwicklungen in Syrien | |
| Dass diese Massenflucht in Europa für erheblichen Konflikt gesorgt hat, | |
| dürfte ein Nebeneffekt sein, der ihren Verursachern durchaus zupasskommt, | |
| wie Thomas von der Osten-Sacken schreibt: „Die EU ist tief gespalten und | |
| außenpolitisch paralysiert, und im Nahen Osten spielen heute die USA und | |
| Europa kaum noch eine aktive Rolle. Die Hauptmitverursacher der | |
| Flüchtlingsströme aus Syrien, Russland und Iran werden zugleich als Partner | |
| hofiert, nicht etwa als Gegner behandelt.“ | |
| Schlimmer noch: Durch die Entwicklungen in Syrien und die westliche | |
| Nahostpolitik habe jeder Despot auf der Welt gelernt, „dass es ratsam ist, | |
| sich möglichst mit Russland und/oder dem Iran zu verbünden, und es sich | |
| durchaus auszahlt, Proteste mit aller nur erdenklichen Gewalt | |
| niederzuschlagen“. Wer hingegen gegen Tyrannen aufstehe, wisse, dass er | |
| sich auf den Westen nicht verlassen könne, schloss Osten-Sacken und | |
| prophezeite, trotzdem würden die Iraner wohl irgendwann einen nächsten | |
| Anlauf zum Sturz der Diktatur der Ajatollahs wagen. Im Oktober 2016, gut | |
| ein Jahr vor der jüngsten Protestwelle, die innerhalb weniger Tage das | |
| ganze Land erfasst hat, versammelten sich trotz erheblicher Störmanöver des | |
| Regimes Tausende von Iranern am Grab des altpersischen Königs Kuros. Dabei | |
| wurden Parolen gerufen, die schon 2009 zu hören waren und nun wieder zu | |
| hören sind: „Religiöses Regime – nur Tyrannei und Krieg“; „Nein zu Ga… | |
| nein zum Libanon, mein Leben nur für den Iran“. | |
| Trotz der syrischen Katastrophe, trotz der destruktiven Folgen der | |
| iranischen Außenpolitik in Irak, Jemen und für den | |
| israelisch-palästinensischen Konflikt, trotz der eklatanten | |
| Menschenrechtsverletzungen durch die Islamische Republik, trotz ihrer | |
| frauenfeindlichen, antimodernen, antisemitischen und islamistischen | |
| Ideologie, trotz des bereits vor Jahrzehnten selbst von dessen Befürwortern | |
| als gescheitert erklärten „kritischen Dialogs“ mit dem Iran halten quer | |
| über die Parteigrenzen hinweg führende deutsche Politiker weiterhin an der | |
| Idee fest, das Regime sei ein Garant für Stabilität in der Region. | |
| ## Reformer stärken? | |
| Die deutsche Außenpolitik beruhe auf einer Reihe von Annahmen, die sich als | |
| illusionär erwiesen hätten, schreibt Ulrike Becker. Eine dieser Annahmen | |
| besteht darin, das Regime sei in „Hardliner“ und „gemäßigte Reformer“ | |
| gespalten, folglich gelte es, Letztere zu stärken. Dabei unterscheiden sich | |
| diese beiden Lager lediglich in ihren Strategien. Auch die „Reformer“ | |
| stellen weder die Herrschaftspraxis noch die Ideologie der Islamischen | |
| Republik infrage, in deren Zentrum „der Export der Revolution bzw. die | |
| Ausbreitung der Herrschaft des Islam über die Grenzen des Iran hinaus und | |
| der Antisemitismus stehen mit der Staatsdoktrin, Israel zerstören zu | |
| wollen“, wie Becker schreibt. | |
| Die Feindschaft gegen Israel sei das wichtigste Thema, bei dem es eine fast | |
| vollständige Übereinstimmung zwischen den wesentlichen politischen Flügeln | |
| des iranischen Establishments gebe, ergänzt Raz Zimmt. Das „Nein zu Gaza“ | |
| der Iraner auf den Straßen aber richtet sich ausdrücklich gegen diesen | |
| Antisemitismus, der zum ideologischen Kernbestand des islamistischen | |
| Regimes gehört. | |
| Unter dem als „Reformer“ geltenden Präsidenten Rohani werden derzeit | |
| jährlich mehr Menschen hingerichtet als unter dem „Hardliner“ | |
| Ahmadinedschad. Das ist wenig verwunderlich, sofern Fathiyeh Naghibzadeh | |
| mit ihrer Analyse recht hat: Die sogenannten Pragmatiker wüssten sehr | |
| genau, „dass ihr politisches Überleben ohne die terroristischen Prinzipien | |
| der Islamischen Republik und die despotische Herrschaft des religiösen | |
| Führers unmöglich ist“. | |
| ## Die Vorstellung vom „Wandel durch Handel“ | |
| Die deutsche Außenpolitik verharrt jedoch in der Vorstellung, man könne wie | |
| seinerzeit im Ostblock „Wandel durch Handel“ herbeiführen. Es waren nach | |
| Abschluss des Atomabkommens nur wenige Tage vergangen, da landete | |
| Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel als erster westlicher Spitzenpolitiker | |
| in Teheran, begleitet von einer hundertköpfigen Delegation aus der | |
| Wirtschaft. Die Illusionen der deutschen Außenpolitik und die | |
| Exporthoffnungen der deutschen Wirtschaft könnten den bemerkenswerten | |
| Vorgang erklären, der sich erst vor einigen Tagen abspielte. | |
| Ajatollah Mahmud Haschemi Schahrudi gilt als möglicher Nachfolger von | |
| Ajatollah Chamenei. Von 1999 bis 2009 war er Vorsitzender des Obersten | |
| Gerichtshofes des Iran. In dieser Zeit war er für zahlreiche Hinrichtungen | |
| verantwortlich, mehr als 2.000 Urteile, auch gegen Kinder, die von der | |
| iranischen Justiz in diesen zehn Jahren vollstreckt wurden. Schahrudi hat | |
| sich anscheinend schon seit dem 21. Dezember in einer Klinik in Hannover | |
| medizinisch behandeln lassen. | |
| Letzte Woche erreichten die Proteste gegen seinen Aufenthalt die | |
| Hauptnachrichten. Beim Generalbundesanwalt waren zudem Anzeigen gegen den | |
| Repräsentanten des iranischen Regimes eingegangen, wegen Mordes und | |
| Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Am Donnerstag verließ Schahrudi | |
| plötzlich und unbehelligt das Land. Von Deutschland hat das Teheraner | |
| Regime offensichtlich nichts zu befürchten. | |
| 15 Jan 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://chrismon.evangelisch.de/artikel/2017/37070/uni-hamburg-verhaltensko… | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Gutmair | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Iran | |
| Atomabkommen | |
| Israel | |
| Deutschland | |
| Antisemitismus | |
| Lesestück Meinung und Analyse | |
| Islamismus | |
| Antisemitismus | |
| Schwerpunkt Iran | |
| Israel | |
| Schwerpunkt Iran | |
| Ajatollah Ali Chamenei | |
| Schwerpunkt Iran | |
| Schwerpunkt Iran | |
| Schwerpunkt Iran | |
| Hassan Rohani | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Zukunft Irans: Das Ringen um die Ära nach Chamenei | |
| Nach den Schlägen des israelischen Militärs ist im Iran die Herrschaft Ali | |
| Chameneis so geschwächt wie noch nie. Wie es dort weitergehen könnte. | |
| Kommentar Antisemitismus in Frankreich: Nicht entschuldbar | |
| Der neue Antisemitismus ist nicht harmloser als der alte. Ihn zu bekämpfen, | |
| kann der Integration des Islam nur nützen. | |
| Kommentar Konflikt Israel und Iran: Nervosität in Jerusalem | |
| Iran kann Israel provozieren, ohne Vergeltung fürchten zu müssen. An einer | |
| Konfliktlösung müssen Washington, Moskau und Brüssel mitarbeiten. | |
| Israelischer Kampfjet abgeschossen: Netanjahu warnt Syrien und Iran | |
| Israel sieht seinen Luftraum verletzt. Die Regierung fordert nun vom | |
| UN-Sicherheitsrat, den Iran für das mutmaßliche Entsenden einer Drohne zu | |
| verurteilen. | |
| Kommentar Iranische Geheimagenten: Leisetreterei bringt nichts | |
| Die Generalbundesanwaltschaft durchsucht erneut Räume von mutmaßlichen | |
| iranischen Spionen. Wegschauen zahlt sich beim Iran nicht aus. | |
| Iranischer Geheimdienst: Agenten in Deutschland aufgeflogen | |
| Bei Razzien wurden die Wohnungen von mutmaßlichen Spionen des iranischen | |
| Geheimdienstes durchsucht. Sie sollen Institutionen bespitzelt haben. | |
| Proteste im Iran: Justiz droht mit Todesstrafe | |
| Im Iran ist ein weiterer Demonstrant gestorben. Unterdessen werden | |
| Forderungen nach der Höchststrafe für die Anführer des Protests laut. | |
| Demonstrationen für Demokratie im Iran: Protest ohne Netz | |
| Tausende demonstrieren im Iran gegen das Regime. Keiner weiß, wie es | |
| weitergeht. Auch, weil das Internet gedrosselt wird. | |
| Kommentar Protest im Iran: Das Dilemma der Reformer | |
| Wenn Regimekritiker im Iran nicht auf der Straße protestieren, heißt das | |
| nicht, dass sie dem Reformkurs abgeschworen haben – im Gegenteil. | |
| Protokolle aus Iran: Resigniert statt revolutionär | |
| Die Proteste in Iran dauern an. Die taz hat vier Menschen nach ihrer | |
| Einschätzung gefragt: Viele sind enttäuscht von der Regierung, fürchten | |
| aber eine Eskalation. |