# taz.de -- Trinkwassersorgen in Niedersachsen: Kämpfer gegen Fracking | |
> In Rotenburg soll weiter Erdgas mit Fracking gefördert werden – mitten | |
> durch die Rotenburger Rinne, die 400.000 Menschen mit Trinkwasser | |
> versorgt. | |
Bild: Angst vor verschmutztem Wasser: Rotenburger demonstrieren gegen Fracking. | |
ROTENBURG (WÜMME) taz | Birgit Brennecke steht vor ihrem kleinen Ford | |
Fiesta auf dem Parkplatz des Landgasthofs Meyer. Der Wind pfeift um die | |
Ecke und die verbliebenen Blätter an den hohen Bäumen rascheln. Neben | |
Brennecke steht Andreas Rathjens mit Karten und Unterlagen in der Hand. | |
„Bevor wir uns mal eine Förderanlage anschauen, zeigen wir Ihnen, wo sich | |
hier schon jetzt überall Bohrlöcher befinden“, sagt Brennecke. Rathjens | |
breitet die Karte auf der Motorhaube aus und drückt sie gegen den Wind | |
fest. | |
Darauf: Bohrstellen, Naturschutzgebiete, kleine und größere Flüsse, | |
unterirdische Trinkwasservorratsgebiete des südlichen Teils des Landkreises | |
Rotenburg. „Hier ist Hemslingen, da sind wir gerade“, Brennecke zeigt auf | |
der Karte. Das Dorf ist umzingelt von Förderstellen, „Loch an Loch“, wie | |
Brennecke sagt. Ein paar Zentimeter weiter links zieht sich eine schmale | |
lang gezogene dunkle Fläche von unten nach oben über die Karte. | |
„Wir sind ja ganz friedlich“, sagt Rathjens, „aber wenn die wirklich durch | |
die Rotenburger Rinne fracken wollen …“ Brennecke beendet den Satz: „… … | |
werden wir wohl doch mal über eine Sitzblockade nachdenken müssen“, sagt | |
sie. | |
Die 62-jährige Brennecke ist vor knapp 20 Jahren in den Landkreis Rotenburg | |
gezogen. Der Landkreis Rotenburg, das ist in erster Linie eine Landschaft | |
aus Wäldern und Feldern, hier und da mal ein paar kleine Dörfer, die durch | |
Landstraßen verbunden sind. „So eine schöne Landschaft“, sagt Brennecke. | |
„Wenn nur die Förderanlagen nicht wären.“ | |
Schön ist es hier wirklich: Stichstraßen führen zu alten Gehöften und | |
einigen wenigen Neubauhäusern, der Bruchwiesenbach, der die Gemeinde | |
Hemslingen vom Ortsteil Söhlingen trennt, fließt gemächlich zwischen | |
Sportplatz und dem kleinen Freibad dahin. Hier, zwischen Bremen, Hamburg | |
und der Lüneburger Heide, könnte man zur Ruhe kommen. Doch Brennecke und | |
ihr Mitstreiter Rathjens kommen seit einigen Jahren nicht dazu. Denn der | |
Kampf gegen die Erdgasförderung ist zu ihrem Lebensthema geworden. | |
Mehr als 95 Prozent des in der Bundesrepublik produzierten Erdgases kommt | |
aus Niedersachsen. Dort wiederum ist es besonders der Nordosten, wo die | |
ertragreichsten Stätten liegen. Bisher wurde das Erdgas konventionell | |
gefördert, doch die Unternehmen würden gern mittels Fracking das in der | |
Erde befindliche Erdgas fördern. Fracking. Das Horrorbild des brennenden | |
Wasserhahns, das im amerikanischen Film „Gasland“ auftaucht, hat sich tief | |
ins Gedächtnis gesetzt. | |
Ein Mann aus Colorado, ein Staat, in dem Fracking munter betrieben wird, | |
dreht den Wasserhahn in seiner Küche auf, zündet ein Feuerzeug darunter an | |
und eine Stichflamme kommt aus dem Hahn – ein eindringliches Bild für die | |
offensichtlichen Gefahren dieser Fördermethode. Um an im Gestein gebundenes | |
Gas zu kommen, werden beim Fracking Chemikalien unter hohem Druck in den | |
Boden gepresst. Eine Studie in den USA legt den Schluss nahe, dass die | |
Chemikalien durch das Fracking ins Grundwasser gelangen und sich dort auch | |
verteilen können. | |
Die Bundesregierung hatte voriges Jahr in Wasser- und Naturschutzgebieten | |
das Fracking verboten – vorerst auch in sogenannten Vorranggebieten für | |
Trinkwassergewinnung. Ein solches ist die Rotenburger Rinne. Der örtliche | |
Wasserversorgungsverband sieht für seine 400.000 AbnehmerInnen eine | |
Bedrohung des Trinkwassers und wurde in Hannover auch schon vorstellig. | |
Genauso tat es ein Zusammenschluss örtlicher ÄrztInnen. | |
„Statt darüber nachzudenken, sollten wir uns langsam Gedanken machen, wie | |
wir den bisherigen Dreck wegräumen“, sagt Brennecke. Immer wieder treten | |
erhöhte Werte von Quecksilber oder aromatischen Kohlenwasserstoffen im | |
Boden rund um die Förderanlagen auf. Man müsse gar nicht erst darauf | |
warten, dass vielleicht bald auch durch die Rotenburger Rinne gefrackt | |
wird: „Das Grundwasser wird auch so schon genug verseucht“, sagt Brennecke. | |
Kommen noch mehr Bohrlöcher durch Fracking hinzu, steige die Gefahr | |
automatisch. | |
Früher wohnte Brennecke mit ihrer Familie in Bremen. Ihr sechsjähriger Sohn | |
erkrankte an Leukämie und die Familie beschloss, aufs Dorf zu ziehen, dort | |
wo die Luft besser ist. Einige Jahre später erkrankte er noch einmal an | |
demselben Krebs. „Ich hatte damals überhaupt nicht auf dem Schirm, dass das | |
vielleicht mit der Erdgasförderung zusammenhängen könnte“, sagt Brennecke. | |
Richtig an Fahrt aufgenommen hat das Thema eigentlich erst 2014. Damals | |
hatte das Epidemiologische Krebsregister Niedersachsen herausgefunden, dass | |
in der Region eine ungewöhnlich hohe Zahl an Krebserkrankungen bei älteren | |
Männern auftritt. Dann versuchte man herauszufinden, woran das liegt. Der | |
Verdacht lag auf der Hand – die Erdgasförderung. Ein Zusammenhang zwischen | |
Krebs und Erdgasförderung im Landkreis Rotenburg ist nach wie vor aber | |
weder bestätigt noch ausgeschlossen. Vieles deutet darauf hin, aber | |
wissenschaftlich belegt ist es eben noch nicht. Die Verunsicherung aber ist | |
seitdem groß. Und nun bald auch noch Fracking durchs Trinkwasserreservoir? | |
Mit dem Auto geht es vorbei an alten Fachwerkhäusern und Bauernhöfen, immer | |
wieder zeigt Brennecke auf eines der Häuser und sagt, dass dort auch | |
letztens erst jemand überraschend früh an Krebs erkrankt ist. Alle paar | |
Hundert Meter sieht man in kurzer Distanz zur nächsten Wohnsiedlung, ganz | |
unscheinbar, die Förderstellen. „Das sterben geht weiter und alle wundern | |
sich, warum das so ist“, sagt Brennecke. Seit Jahren sitzt Brennecke für | |
die Grünen im Gemeinderat und ist in den Bürgerinitiativen gegen die | |
Erdgasförderung aktiv. Immer wieder zeigen die beiden entlang der | |
Landstraßen auf Erdhügel oder kleine umzäunte Gruben. „Das ist alles | |
kontaminierte Erde, die von den alten Bohrlöchern kommt“, sagt Brennecke. | |
Einen kurzen Moment der Berühmtheit über die Kreisgrenzen hinweg erlangte | |
Brennecke, nachdem Elke Twesten die rotgrüne Landesregierung zu Fall | |
brachte. Ihr Wechsel von den Grünen zur CDU war die Konsequenz auf ihre | |
Niederlage im grünen Heimatverband Rotenburg. Dort hatte sich im Sommer die | |
Basis gegen eine erneute Aufstellung von Twesten entschieden – und | |
stattdessen Brennecke in den Wahlkampf geschickt. Mit Twesten und Brennecke | |
standen sich die zwei Lager der Grünen gegenüber. | |
Hier Twesten, die die Nähe zur CDU suchte (und mit dem Wechsel zumindest | |
persönlich fand), dort Brennecke, die immer den urgrünen Themen treu blieb | |
und sich ganz dem Kampf gegen die Erdgasförderung verschrieben hat. | |
Brennecke landete allerdings nur auf Platz 31 der grünen Landesliste und | |
zog damit bei der Wahl im Oktober nicht in den Landtag ein. Nun gibt es | |
keine grüne Landtagsabgeordnete aus Rotenburg mehr, die das Thema auf | |
Landesebene anstoßen kann. | |
Auch vor Ort vollzieht sich nur langsam ein Wandel hin zur kritischen Sicht | |
auf die Erdgasförderung. Viele Leute sind sie bisher noch nicht bei der | |
Bürgerinitiative. Vor allem Interessierte von außerhalb würden sich über | |
die Bohrlöcher informieren. Immerhin, das Problembewusstsein wachse. | |
„Mittlerweile wird es im Gemeinderat über Parteigrenzen hinweg anerkannt“, | |
sagt Brennecke. | |
Dennoch ist es ein ungleicher Kampf. Hier, Riesenunternehmen wie Exxon | |
Mobile und DEA, die viel Geld mit Erdgas verdienen, dazu eine | |
Bundespolitik, die an der heimischen Förderung festhält, um möglichst | |
unabhängig von anderen Ländern zu sein. Auch das Landesbergamt sei nicht | |
gerade für den Schutz der Umwelt bekannt. „Deren Aufgabe ist ja, die | |
Förderung zu organisieren, nicht aber die Umwelt im Blick zu haben“, sagt | |
Brennecke. | |
Auf der anderen Seite ein paar AktivistInnen wie Brennecke und Rathjens, | |
unermüdliche KämpferInnen, die das alles in ihrer Freizeit angehen. Die in | |
kleinen Dörfern wohnen, deren Namen man sich nicht merkt, und die Angst vor | |
vergiftetem Trinkwasser haben, vor Quecksilber und anderen Chemikalien, die | |
vielleicht, aber eben nur vielleicht Ursache für vermehrte Krebsraten sind. | |
„Viele halten uns für irgendwelche Spinner, aber wenn die dann mal hier | |
sind und den Gestank riechen und wir denen die Gegend zeigen, dann sind | |
alle ganz ruhig“, sagt Rathjens. Wie man das alles aushält? „Wir nehmen | |
vieles mit Humor“, sagt Brennecke.„Und wir sind für die Unternehmen | |
lästig“, sie setzt sich die Kapuze ihrer grünen Wolljacke auf. | |
Eben noch schien die Sonne, jetzt beginnt es zu regnen. Die Wiese, auf der | |
sie steht, ist noch von den letzten Tagen völlig durchnässt. Brennecke und | |
Rathjens stehen dort am mit Stacheldraht überzogenen Zaun eines Förderwerks | |
und schauen sich das kleine unscheinbare Gelände aus Rohren und schmalen | |
Metalltürmen von der Rückseite an. „Von vorne sieht immer alles gut aus, | |
auf der Rückseite aber wird es meistens interessant“, sagt Rathjens, der | |
neben seiner Mitstreiterin im Matsch steht. | |
Auf der anderen Seite der Wiese, vielleicht 20 Meter und leicht abschüssig | |
entfernt, fließt das Flüsschen Wiedau in Richtung Rotenburg. „Seht mal die | |
Fässer hier. Die stehen nicht einmal auf dem Asphalt, nur auf durchlässigem | |
Kies. Wenn da mal was passiert, wo fließt das wohl hin?“, sagt Brennecke. | |
Sie macht ein Foto davon. | |
25 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
André Zuschlag | |
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