# taz.de -- Vermehrt Krebsfälle an Bohrstellen: Erdgasförderung vergiftet Pil… | |
> Ein Umweltschützer hat stark erhöhte Quecksilberwerte in Speisepilzen | |
> rund um Erdgasförderstellen nachgewiesen. | |
Bild: Nimmt durch sein Wurzelgeflecht Schwermetalle auf: der Hexenröhrling | |
GÖTTINGEN taz | Die Erdgas-Industrie geht in die Vollen: Nach „Jahren in | |
der Warteschleife“, sagt Martin Bachmann, Vorstandschef des Bundesverbandes | |
Erdgas, Erdöl und Geoenergie, wolle die Branche die Förderung wieder massiv | |
ankurbeln. Ab 2021 soll auch wieder gefrackt werden – das neue | |
Fracking-Gesetz macht’s möglich. Es trifft vor allem Niedersachsen, rund 95 | |
Prozent des in Deutschland gewonnen Erdgases stammen aus diesem Bundesland. | |
Umweltschützer sind entsetzt. Sie befürchten durch das Fracking noch mehr | |
Erdbeben, Gesundheitsschäden und Krebstote in den Förderregionen und | |
munitionieren sich mit neuen Argumenten. Die lieferte jetzt der Ingenieur | |
und Umweltaktivist Bernd Ebeling aus dem Wendland. Er entnahm für eine | |
Dokumentation, die in dieser Woche im NDR ausgestrahlt wurde, | |
Speisepilzproben an einer Förderstelle im niedersächsischen Heidekreis | |
sowie an der zentralen Erdgasaufbereitungsstation Steinitz bei Salzwedel in | |
Sachsen-Anhalt. | |
Die Laboranalyse der Pilze brachte ein erschreckendes Ergebnis: Butterpilze | |
und Hexenröhrlinge aus Steinitz wiesen 14 mal höhere | |
Quecksilber-Konzentrationen auf als die Mittelwerte aus Sachsen-Anhalt. An | |
der Erdgasfördersonde „Munster Nord Z1“ im Heidekreis lagen die Werte für | |
Butterpilze sechs- bis zehnfach über den Durchschnittswerten und 23-mal so | |
hoch wie eine Vergleichsprobe aus dem Kreis Lüchow-Dannenberg. | |
Fast alle Pilzproben überschreiten den EU-Grenzwert von 0,01 Milligramm pro | |
Kilo um ein Vielfaches. In einem Edelreizker, ebenfalls ein Speisepilz, | |
wurde nach Ebelings Angaben sogar eine Quecksilberkonzentration von 1,5 | |
Milligramm gemessen. Sein Fazit: „Speisepilze mit solch hohen | |
Quecksilberwerten sollten keinesfalls gegessen werden“. Ebeling will nun | |
die zuständigen Behörden in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt auffordern, | |
das Pilzesammeln an Erdgasförderanlagen zu verbieten. Auch Heidelbeeren, | |
Sträucher und Bäume in der Umgebung müssten auf ihren Quecksilbergehalt und | |
andere Schadstoffe untersucht werden, fordert er. | |
Dass das Quecksilber in den Pilzen aus den Erdgasanlagen stammt, steht für | |
Ebeling außer Frage. Schließlich sei allgemein bekannt, dass Pilze über ihr | |
weitverzweigtes Wurzelsystem Schwermetalle aufnähmen. Tatsächlich wurden | |
auch schon an vielen anderen Förderstätten und Bohrplätzen in Niedersachsen | |
teils deutlich erhöhte Quecksilberwerte und Konzentrationen anderer | |
giftiger Metalle festgestellt. Sie sind im rohen Erdgas und Erdöl enthalten | |
und gelangen zum Teil bei der Förderung und Reinigung in Luft, Boden und | |
Grundwasser. Auch radioaktive Nuklide wie der gefährliche Alphastrahler | |
Radium 226 oder das Edelgas Radon 222 sind Bestandteile des Erdgases und | |
werden teilweise freigesetzt – etwa durch geborstene oder undichte | |
Leitungen und beim Abfackeln. | |
Bürgerinitiativen sehen in den Giftstoffen die Ursache für Krebs und andere | |
Erkrankungen. In den vergangenen Jahren sorgte eine Häufung von Krebsfällen | |
im Kreis Rotenburg/Wümme für großes Aufsehen. In der Samtgemeinde Bothel, | |
wo seit Jahren Gas gefördert und auch gefrackt wird, erkrankten allein an | |
Leukämie und Lymphomen neben vielen Frauen doppelt so viele Männer, wie | |
statistisch zu erwarten gewesen wäre. | |
Auch das Dorf Bellen gehört zu der Gemeinde Bothel. Hier starb in den | |
vergangenen elf Jahren niemand an etwas anderem als an Krebs. Es gab vier | |
Todesfälle, acht weitere Menschen sind erkrankt. Erhöhte Krebsraten gibt es | |
auch anderswo im Kreis Rotenburg und in Rodewald im Kreis Nienburg, wo | |
Erdöl gefördert wird. | |
In Söhlingen, das ebenfalls zur Gemeinde Bothel gehört, ging bei der | |
Erdgasförderung mindestens einmal etwas schief. Im Januar 2011 kam es dort | |
zu einem schwerwiegenden Umweltunfall. Durch undichte Rohre traten große | |
Mengen Lagerstättenwasser aus, also Grundwasser, das in Erdgas führenden | |
Schichten enthalten und stark mineralisiert sowie teilweise auch radioaktiv | |
ist. Im Erdgasfördergebiet bei Völkersen im Kreis Verden kam es wiederholt | |
zu Erdstößen. Zuletzt bebte im nahen Langwedel die Erde am vergangenen | |
Montag. | |
8 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Reimar Paul | |
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