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# taz.de -- Fracking in Niedersachsen: Es wurde geschlampt
> Kommt das Gesetz, kann in Rotenburg wieder Erdgas gefrackt werden. In der
> Vergangenheit fanden sich erhöhte Quecksilberwerte im Boden.
Bild: Auch im niedersächsischen Dudensen gibt es Fracking-Gegner.
Das Bohrloch hat den Namen „Bötersen Z11“ und wirkt so unspektakulär wie
eine Dorftankstelle. Ein asphaltierter Platz, grüne Rohre, umgeben von
Maschendrahtzaun und feinem Stacheldraht. Der rot-weiße Windsack dreht sich
quietschend im Wind.
In der Mitte ragt das stählerne, schwarze Ventil zwei Meter aus dem Boden.
Schraubenmuttern dick wie Fäuste halten es fest auf dem Fundament. Darunter
reichen Rohre fünf Kilometer senkrecht in die Tiefe. In der Unterwelt
herrscht ein Druck von bis zu 500 bar – die 150-fache Kraft, die ein
Autoreifen aushält, bevor er platzt. Mit dieser Gewalt soll das Erdgas nach
oben strömen, durch das Ventil, durch armdicke Leitungen und schließlich in
die Heizbrenner Millionen deutscher Haushalte.
„Bötersen Z11 ist ein Kandidat“, sagt Jochen Kaliner. Wenn der Bundestag in
Kürze das Fracking-Gesetz beschließt, soll die umstrittene Methode zur
Förderung von Erdgas an diesem Bohrloch möglichst bald eingesetzt werden.
Ohne Fracking wäre die Ausbeute zu gering – deshalb steht die Bohrung
bisher still.
Kaliner, Mitte fünfzig, schmale Augen, ein gelassener
Maschinenbau-Ingenieur, ist verantwortlich für 80 Bohrlöcher um die
niedersächsische Stadt Rotenburg. Seine Tätigkeitsbezeichnung lautet „Field
Superintendent Elbe Weser“. Die Bohrlöcher gehören dem US-Konzern
ExxonMobil, wie auch die Esso-Tankstellen.
## Grund- und Trinkwasser schützen
Um Rotenburg ist die Landschaft platt. In den Dörfern stehen schmucke
Kirchen und große, sanierte Bauernhöfe – es ist eine wohlhabende Gegend
zwischen Bremen und Hamburg, in der fast jede Familie ihr eigenes
Grundstück besitzt. Zwischen weiten Feldern und Wald liegen die Bohrstellen
so versteckt, dass sich selbst Superintendent Kaliner mit seinem schwarzen
Geländewagen verfährt. Dann liegt am Ende des Feldwegs nur ein Kuhstall. Er
wendet, fährt zurück zur Hauptstraße, nimmt die nächste Abbiegung links.
Ja, da ist es. Bohrloch Bötersen Z1. Es sieht Z11 sehr ähnlich.
23 solcher Löcher, aus denen Erdgas strömt, hat allein Bürgermeister Dirk
Eberle in seiner Samtgemeinde, dem Gemeindeverband Bothel. Das zeigt die
Landkarte, die er auf dem Tisch seines Büros im Rathaus ausbreitet. Er
würde sich wohler fühlen, wenn es ein paar weniger wären.
Eberle, 48 Jahre, in Bothel aufgewachsen, sagt, er sei „ein grüner Vogel“.
Als studierter Förster und parteiloser Kandidat hat er im vergangenen Jahr
für die SPD die Bürgermeisterwahl gewonnen. Das Grund- und Trinkwasser muss
hundertprozentig geschützt werden, sagt er. Er verlangt, dass keine neuen
Bohrungen in den Gebieten stattfinden, wo man Wasser für die Bevölkerung
gewinnt. „Das mag für die Firmen schmerzlich sein, muss aber Priorität
haben“, sagt er.
Auch Jochen Kaliner hofft auf das Gesetz. Dann könnte er endlich wieder
fracken lassen. Zwar nicht mehr so unkompliziert wie früher. Kommt das
Gesetz durch, braucht Kaliner für jede neue Bohrung eine
Umweltverträglichkeitsprüfung. Dadurch wird alles teurer. „Aber immerhin“,
sagt er, „dann würde es wenigstens wieder losgehen.“
## Wenn die Bohrlöcher nicht dicht sind
In den vergangenen Jahrzehnten war Fracking in Deutschland nicht speziell
geregelt. Die Behörden betrachteten es als normale Erdgasförderung. Dann
aber startete der Fracking-Boom in den US-Bundesstaaten North-Dakota und
Texas. Geschichten über Umweltgefahren machten die Runde, besonders über
die Verseuchung des Trinkwassers.
Denn beim Fracking wird eine Mischung aus Wasser, Sand und Chemikalien in
den Untergrund gepresst, um das Gestein aufzubrechen und seine Poren offen
zu halten. Nur: Beim Bohren in die Tiefe durchstechen die Firmen auch
Schichten mit Grundwasser. Wenn die Bohrlöcher dann nicht absolut dicht
sind und die Fracking-Chemikalien austreten, wird das Wasser
beeinträchtigt.
Außerdem bringt das nach oben steigende Erdgas Stoffe wie Quecksilber,
radioaktives Radium oder Polonium mit, über die man sich keine Sorgen zu
machen braucht, wenn sie in der Tiefe fest eingeschlossen sind. An der
Oberfläche muss man das sogenannte Lagerstättenwasser, das bei der
Erdgasförderung austritt, beseitigen oder reinigen.
Wegen dieser Debatten haben die Behörden in Deutschland erst mal keine
weiteren Fracking-Bohrungen genehmigt. Johannes Remmel, der grüne
Umweltminister von Nordrhein-Westfalen, plädiert für ein komplettes Verbot,
genau wie sein baden-württembergischer Kollege Franz Untersteller. Die
Große Koalition in Berlin will es allen recht machen – den Umweltverbänden
und besorgten Bürgern sowie der Industrie. Manche Politiker glauben seit
dem Krieg in der Ukraine, dass Erdgas aus Deutschland vielleicht doch
besser ist als aus Sibirien.
## Die Firmen schweigen
Also arbeitet man in Berlin an einem Kompromiss. SPD-Umweltministerin
Barbara Hendricks hat vorgeschlagen, dass Fracking tiefer als 3.000 Meter –
beispielsweise auf Jochen Kaliners Bohrstelle Z11 – möglich sein soll. Denn
damit kenne man sich aus, und die Grundwasserschichten lägen viel höher.
Das sogenannte unkonventionelle Fracking dagegen zwischen 0 und 3.000
Metern Tiefe – in den USA praktiziert, hier aber noch nicht – soll bis auf
weiteres nur für die Forschung und später höchstens im Einzelfall erlaubt
werden. Nun kämpfen Fracking-Gegner und Befürworterinnen darum, was genau
im Gesetz steht.
Nicht nur Exxon wartet auf den neuen Startschuss. Auch die deutsche Firma
Wintershall, die neuerdings russische Dea und US-Unternehmen wie
Halliburton, Slumberger und Baker Hughes. Letzteres zu besuchen wäre
besonders interessant, weil es Apparaturen produziert, um in 5.000 Metern
Tiefe vom senkrechten zum horizontalen Bohren überzugehen – mit massiven
und zugleich flexiblen Gestängen, die die Ausbeutung von
Erdgas-Lagerstätten erlauben, die früher kaum zugänglich waren.
Aber keine der Firmen will reden. Manche antworten einfach nicht. Oder die
Pressestelle im texanischen Houston schreibt: kein Interesse. Die Branche
steht unter Druck. Es gibt Kurzarbeit, Stellenabbau und Entlassungen. Man
weiß nicht, wie es in Deutschland mit dem Fracking weitergeht. Über all das
reden die Unternehmen nicht gerne. Bis zur Entscheidung des Bundestages
bleibt man lieber unter dem Radar.
Auch Bürgermeister Dirk Eberle erwartet das Gesetz mit Spannung. Vor seiner
Landkarte mit den Bohrungen steht ein Stuhl, er zeigt darauf: „Hier hat der
junge Mann gesessen.“ Verzweifelt und durcheinander sei der Besucher
gewesen, der vor einigen Monaten zu ihm kam. Schließlich habe er
herausbekommen, um was es ging, sagt der Bürgermeister. Der Mann hatte am
Morgen sein dreijähriges Kind beerdigt, das an Krebs gestorben ist. Eberle
selbst ist Vater zweier Kinder. Nun sind seine Augen feucht. Er verwechselt
die Kannen und gießt sich aus Versehen Kaffee in den Tee.
## Stark erhöhte Quecksilberwerte
Wer in Bothel wohnt, fragt sich dann sofort: Hat das etwas mit Fracking zu
tun? Denn viele Leute machen sich Sorgen, seit das Krebsregister
Niedersachsen eine außergewöhnliche Häufung von Krankheitsfällen im Ort für
die Zeit zwischen 2003 und 2012 auswies.
Kürzlich hat der Landkreis die Bevölkerung flächendeckend befragt. Das
Ergebnis steht noch aus. Eberle versucht die persönliche Sorge von der
Verantwortung des Amts zu trennen: „Wir müssen das unbedingt aufklären.
Aber solange wir keine genauen Erkenntnisse haben, darf ich die
Spekulationen nicht mitmachen.“
Fest steht aber, dass zumindest in der Vergangenheit geschlampt wurde. So
fanden sich im Boden stark erhöhte Quecksilberwerte. An einer Stelle hatten
die Firmen früher immer ihre Bohrgestänge gewaschen. Wenn Quecksilber in
die Nahrungskette gelangt, kann es nach Ansicht mancher Mediziner Krebs
begünstigen.
Krebs durch Fracking? Einen solchen Zusammenhang weist Exxon weit von sich.
Wie zum Ehrenwort streckt Jochen Kaliner die Hand aus. Er ist Ingenieur –
die Technik hat er im Griff. Gerade hat er ein rundes, rötliches Stück
Sandstein präsentiert, zutage gefördert aus der Tiefe der Erdgasschichten.
Der Stein ist schwer und massiv. Kanäle und Hohlräume, die Gas enthalten
könnte, sind nicht zu sehen. Und doch schaffen es Kaliner und seine Leute,
mit dem hohen Druck ihrer Frackflüssigkeit die mikroskopisch kleinen Poren
im Stein so zu weiten, dass das begehrte Erdgas zum Bohrloch strömt. „Der
Stein geht nicht mal kaputt“, freut sich Kaliner.
12 Jun 2015
## AUTOREN
Hannes Koch
## TAGS
Fracking
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