| # taz.de -- Neue Netflix-Serie „Godless“: Fast so schön wie früher | |
| > Netflix versucht sich an einem Western. Dahinter steht niemand Geringeres | |
| > als Regisseur Steven Soderbergh. Der bedient sich hemmungslos bei alten | |
| > Mythen. | |
| Bild: Denn sie wissen, was sie tun: Szene aus der Serie „Godless“ | |
| Der Freitagabend war mir heilig. Wenn Justus D. Barnes seinen Colt zog, um | |
| damit durch die vierte Wand, auf mich, den Grundschüler, zu schießen, muss | |
| das auf mich ähnlich Eindruck gemacht haben wie 1903 auf die | |
| filmunerfahrenen Zuschauer von „Der große Eisenbahnraub“. | |
| Aus diesem Film stammt die Szene, ich habe sie Woche für Woche, | |
| freitagabends, im Vorspann von „Western von gestern“ gesehen. Der | |
| Filmkritiker und -historiker Joe Hembus hatte (heute undenkbar) das ZDF | |
| doch tatsächlich dazu gebracht, zwischen 1978 und 1986 rare Perlen | |
| amerikanischer B-Western der 1930er und 1940er Jahre in seinem | |
| Vorabendprogramm aufzuführen: Fuzzy, Zorro und die singenden Cowboys Gene | |
| Autry und Roy Rogers. Joe Hembus’ „Western-Geschichte“ steht immer | |
| griffbereit in meinem Bücherregal. | |
| 31 Jahre später: Scott Frank und Steven Soderbergh (ja, der Steven | |
| Soderbergh) haben „Godless“ für Netflix gedreht. Sie wussten natürlich, | |
| dass sie das Genre, dessen Gallionsfigur ein bekennender Erzreaktionär (der | |
| „Duke“ John Wayne) war, einem mit „Orange Is the New Black“ sozialisier… | |
| Publikum ein bisschen schmackhaft aufbereiten mussten. | |
| Also wird das Kaff La Belle praktisch ausschließlich von Frauen bewohnt, | |
| nachdem fast alle Männer bei einem Minenunglück umgekommen sind. Also | |
| spielt (es möge die LGBT community freuen) Merritt Weaver eine | |
| Bürgermeisterwitwe, die wort- wie sprichwörtlich die Hosen an hat. Also | |
| gibt es da, in der Nachbarschaft, die einst von Bob Marley besungenen | |
| schwarzen Buffalo Soldiers. Also hat man seine Zeitgenossenschaft | |
| hinreichend unter Beweis gestellt, um sich umso hemmungsloser bei den | |
| altbekannten Mythen und Motiven zu bedienen. | |
| ## Es gibt natürlich einen Showdown | |
| Der Held (Jack O’Connell) ist der abtrünnige Ziehsohn eines bösen | |
| „Preachers“ (Jeff Daniels), der ihn mit seinem abgetrennten Arm im Gepäck | |
| und seiner „Wild Bunch“ verfolgt – nun ja: Leichen pflastern ihren Weg. In | |
| La Belle wird es zum unausweichlichen (und verlustreichen) Showdown | |
| zwischen den Ladys und der Meute kommen. | |
| Bis dahin bleiben rund sieben Stunden, in denen der Held die Handlung des | |
| George-Stevens-Klassikers „Shane“ (1953) nachspielen kann: Der Held tritt | |
| ohne Waffe auf und wird auf der etwas abgelegenen Ranch, auf der er | |
| unterkommt, doch bald als der versierte Gunslinger erkannt, der er ist. Er | |
| arbeitet hart und schlägt alle Bitten des ihn bewundernden Sohns der | |
| stolzen Rancherin (Michelle Dockery, „Downton Abbey“) aus, ihn den Umgang | |
| mit dem Revolver zu lehren. Um schließlich doch wieder zu jenem zu greifen | |
| und die tapferen Frauen von La Belle gegen die Banditen zu verteidigen. | |
| Denn ohne ihn wären sie zwar tapfer, aber chancenlos. | |
| Übrigens: Den Revolver trägt der Held rechts, auf normaler Gürtelhöhe – | |
| nicht „cross draw“ wie der Prediger und nicht tief an der Hüfte wie der | |
| aufschneiderische, von den Ladys nicht für voll genommene Deputy (Thomas | |
| Brodie-Sangster), der aber ein Lieber ist, wie der erblindende Sheriff | |
| (Scoot McNairy, „Halt and Catch Fire“). Für Western-Kenner sind solche | |
| Details natürlich keine Details. | |
| 30 Nov 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Müller | |
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