# taz.de -- SPD nach dem Scheitern von Jamaika: Ohne Plan B | |
> Das Aus für Jamaika hat die SPD auf dem falschen Fuß erwischt. Sie will | |
> Neuwahlen – und muss sich in vielen Fragen entscheiden. | |
Bild: Führende Sozialdemokraten wie Parteichef Martin Schulz scheuen eine erne… | |
BERLIN taz | In der Nacht, in der Jamaika scheiterte, reagierte die SPD | |
äußerst routiniert. Parteivize Ralf Stegner twitterte, dass sich für die | |
SPD dadurch die Lage nicht ändert. Am Montagmorgen herrscht in der Partei | |
Schweigen. Eine Pressekonferenz mit SPD-Chef Martin Schulz wird | |
angekündigt, dann wieder abgesagt. Ein Zeichen der Verunsicherung. | |
Das scheint verwunderlich. Eigentlich könnten die GenossInnen jubeln. Ein | |
stabiler Bürgerblock aus Union, Grünen und FDP hätte die SPD für Jahre ins | |
machtpolitische Abseits befördert. Nun endlich schwankt Kanzlerin Merkel, | |
an deren Teflonschicht SPD-Angriffe x-mal abperlten. Doch die Abteilung | |
Attacke im Willy-Brandt-Haus hat geschlossen. | |
Karl Lauterbach, SPD-Bundestagabgeordneter, sagt: „Wir sind komplett | |
überrascht worden.“ Die Partei war flügelübergreifend felsenfest davon | |
ausgegangen, dass Jamaika funktioniert. Plan B? Fehlanzeige. Jetzt rücken | |
Debatten näher, die für die Partei verstörend sind. Denn trotz des Sieges | |
in Niedersachsen steht die SPD noch immer unter dem Schock der Niederlage | |
im Bund. | |
Rückblende: Willy-Brandt-Haus, kurz nach 18 Uhr am 24. September. Martin | |
Schulz erklärt unter tosendem Jubel, dass die SPD die Große Koalition nicht | |
mehr will. Endlich befreit von Merkel, von der undankbaren Rolle als | |
Juniorpartner. Seitdem hat die SPD-Spitze immer und immer wieder beteuert, | |
dass sich die Regierungsfrage nicht stellt, dass Jamaika funktionieren | |
wird. Andrea Nahles hat sich in der Rolle als Oppositionsführerin | |
eingerichtet. Das Argument, dass man die Oppositionsführerschaft | |
keinesfalls der rechtspopulistischen AfD überlassen dürfe, hat ja auch | |
etwas Sinnstiftendes. Ein Wärmestrom in frostigen Zeiten für die Partei. | |
„Die Argumente gegen die Große Koalition sind ja nicht über Nacht | |
verschwunden“, so Lauterbach, der zu den gemäßigten Linken in der Partei | |
zählt. Ist dieses Nein noch aus Granit oder nur noch aus Beton? | |
Montagmittag gibt es in der SPD noch kein klares wording. Man könne nicht | |
verlangen, so Lauterbach, dass „wir sofort am Morgen danach“ Position | |
beziehen. | |
Axel Schäfer, SPD Parlamentarier aus Bochum und Parteilinker, klingt in | |
Sachen Regierung härter: „Das Nein zur Großen Koalition bleibt. Und das war | |
nicht nur ein Nein zu Merkel.“ Außerdem soll man erst mal cool bleiben. Von | |
April bis November 1972 hatte die Brandt-Scheel-Regierung auch keine | |
Mehrheit im Bundestag, so Schäfer. „Damals“, so der SPD-Linke, „ist die | |
Republik auch nicht zusammengebrochen.“ Allerdings gab es damals auch keine | |
Rechtspopulisten im Bundestag. | |
Bleibt die SPD bei ihrem stählerne Nein zur Großen Koalition? Das ist | |
kniffliger, als es scheint. Einerseits hat sich die gesamte Partei darauf | |
geeinigt – nur Exfraktionschef Thomas Oppermann ließ kurz anklingen, dass | |
man sich ohne Merkel vielleicht doch etwas mit der Union vorstellen könnte. | |
Doch dieser Testballon wurde von den Genossen sofort wieder eingeholt. | |
Montagmittag zieht Parteichef Martin Schulz in Berlin die roten Linie | |
nochmals nach. Die SPD werde keine Große Koalition bilden, auch nicht ohne | |
Merkel. Keine Gespräche mit der Union, nichts. Es klingt wie ein Nein ohne | |
Schlupfloch. „Wir stehen angesichts des Wahlergebnisses vom 24. September | |
für den Eintritt in eine Große Koalition nicht zur Verfügung“, beschließt | |
der SPD Vorstand am Montag. Einstimmig. Schulz sagt am Montag: „Ich gehe | |
davon aus, dass Neuwahlen kommen werden.“ | |
Das allerdings sieht zumindest ein SPD-Mann, [1][Bundespräsident | |
Frank-Walter Steinmeier, ein bisschen anders]. Denn der will, so wie es im | |
Grundgesetz Artikel 63 fixiert ist, den Parteien den Weg zu Neuwahlen so | |
schwierig wie möglich machen. Steinmeier kann die jetzige Regierung | |
geschäftsführend im Amt lassen. Ob die SPD, empfänglich für solche | |
Frequenzen, nicht doch weich wird, wenn wochenlang an ihre staatspolitische | |
Verantwortung appelliert wird? | |
## Abrupt unter Zeitdruck | |
[2][Nicht nur das verfassungsrechtliche Prozedere ist kompliziert] – die | |
SPD steht nun vor einem politischen Dilemma, das mit dem Nein zur Großen | |
Koalition keineswegs gelöst ist. Nach dem Desaster bei der Bundestagswahl | |
will die Partei sich erst mal erneuern. Mit wem man dann 2021 antritt, mit | |
Manuela Schwesig, Andrea Nahles, Olaf Scholz oder Martin Schulz, das würde | |
sich dann finden. Diese stillschweigende Verabredung hat der Jamaika-Crash | |
jäh beendet. Nun steht die SPD abrupt unter Zeitdruck. Es dräuen | |
unerfreuliche Fragen: Mit wem wird die SPD in die möglichen Neuwahlen | |
ziehen? Mit welcher Machtoption? | |
Katja Kipping, Chefin der Linkspartei, will „für soziale Mehrheiten links | |
von Merkel streiten“. Adressatin des Werbens der Linkspartei ist und bleibt | |
die Sozialdemokratie – natürlich nur, wenn die ihren Kurs wechselt. Das | |
ändert nichts daran, dass zwischen Linkspartei und SPD bestenfalls kalter | |
Frieden herrscht. Die FDP, die gerade Jamaika von rechts gesprengt hat, ist | |
erst recht keine Option für Schulz & Co. Also doch wieder Juniorpartner in | |
einer Großen Koalition? | |
Schulz will auf jeden Fall am 9. Dezember beim Parteitag in Berlin zum | |
SPD-Chef gewählt werden. Alles andere wäre eine Überraschung. Denn Olaf | |
Scholz dürfte auch mit Unterstützung von Fraktionschefin Andrea Nahles nur | |
ein Drittel des Parteitages hinter sich versammeln. Zu wenig. | |
Also noch mal Kanzlerkandidat Schulz, der im letzten Wahlkampf etwas | |
orientierungslos wirkte? Noch mal Würselen? Noch mal Schulz gegen Merkel? | |
Der SPD-Chef lässt diese Frage offen. Er habe als SPD-Vorsitzender das | |
Recht, den Kanzlerkandidaten vorzuschlagen, sagt er. Mehr nicht. Noch mal | |
mit dem Schulz-Zug entgleisen – mit dieser Vorstellung hadern derzeit auch | |
Schulz-Freunde in der SPD. | |
Mitarbeit: Anna Lehmann | |
20 Nov 2017 | |
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