# taz.de -- Alltagsrassismus in Deutschland: Jeder dieser Momente sticht | |
> Neonazis spucken, aber auch Linke sprechen langsamer oder halten unsere | |
> Autorin für eine Geflüchtete. Ein Jahr in einem Land, das nach rechts | |
> rückt. | |
Bild: Konnte vielerorts nicht einfach deutsch sein: die Autorin unterwegs in De… | |
Im ersten Stock eines Gasthofs in Crottendorf im Erzgebirge sitzen fast | |
hundert Menschen. Ich suche mir als Letzte einen Platz – doch anscheinend | |
den falschen. Die Gruppe junger Männer, neben die ich mich gesetzt habe, | |
steht auf und wechselt auf die gegenüberliegende Seite des Raumes. Auch | |
ohne ihr Tuscheln – „Ne, nicht bei der“ – hätte ich es sofort gewusst:… | |
haben sich keinesfalls wegen der besseren Sicht umgesetzt. Nein, ich bin | |
der Grund. Meine braunen Locken, die schwarzen Augen, die dunkle Haut. | |
Es ist eigentlich nichts Neues für mich. Aber ich habe naiv gedacht, im | |
Schutzfeld meiner KollegInnen, dem Kontext meiner Arbeit, passiert so etwas | |
nicht. Dass meine Reise durch Deutschland eine ganz andere wird als für das | |
restliche Team, wird mir jetzt erst deutlich. | |
Mit Blick auf die Bundestagswahl, die Erfolge der AfD im Kopf, ging | |
taz.meinland auf Tour. Ein Jahr lang, 16 Bundesländer, mehr als 50 | |
Stationen, mehr als 27.000 Kilometer. Die Großstadtblase verlassen, um Orte | |
zu sehen und Geschichten zu erzählen, über die sonst nicht gesprochen wird. | |
Unser Zuhause wurde der Kleinbus, Grundnahrung warme Gummibärchen mit zu | |
viel Kaffee. Wir waren auf Hindernisse eingestellt. Nicht aber auf | |
fehlendes WLAN, Sprachbarrieren durch Dialekte und unseren niedrigen | |
Bekanntheitsgrad (nein, wir sind nicht die FAZ). | |
Wir lernten das Land kennen, warfen unsere eigenen Vorurteile über Bord und | |
wurden mit anderen konfrontiert. Ländliche Gegenden bedeuten für mich immer | |
viele Blicke. Ich kenne sie, genauso wie das leise, vermeintlich | |
unauffällige Flüstern. | |
## Rassistische Witze | |
Die Frage nach meiner Herkunft habe ich mindestens so oft beantwortet wie | |
die nach meinem Namen. Dabei lässt sich aus ihr wohl kaum ein | |
Hollywood-Blockbuster drehen: Geboren in der Puppenstuben-Stadt Tübingen, | |
habe ich es bis zum Ende meiner Schulzeit nie großartig aus dem | |
Schwabenländle heraus geschafft. Meine Mutter heißt Carmen, meine Oma Gerda | |
und aufgewachsen bin ich in einer Patchworkfamilie. | |
Dass mein Vater aus Burundi, Ostafrika, kommt, ist für die meisten die | |
einzig interessante Information. Dass ich selbst noch nie dort war, meine | |
zweite Muttersprache immer mehr verlerne und Weihnachten trotz einer | |
Pfarrerin als Mutter so unspektakulär wie all meine Freunde feiere, ist | |
Nebensache. | |
Ich bin mit Vorurteilen und Alltagsrassismus groß geworden. Kleine Dinge | |
passieren täglich. Jemand macht zum Beispiel einen Witz: „Wieso werden im | |
Winter weniger Schwarze überfahren? Weil man sie im Schnee besser sieht.“ | |
Danach kommt die Stille, weil er bemerkt: Oh hey, da ist ja noch das | |
schwarze Mädel. Meist sind diese Situationen für die anderen unangenehmer | |
als für mich. | |
Seit dem Sommer 2015 gehöre ich zur Kategorie gut integrierter Flüchtling. | |
Automatisch bin ich für die meisten die Vorzeigemigrantin, die rasant die | |
Sprache gelernt, sich integriert hat. Eben eine von denen, nicht eine von | |
uns. Diese Haltung begegnet mir überall auf der Reise. In Husum fragt mich | |
ein Mann, ob mir denn nicht kalt sei oder ob ich mich an das deutsche Klima | |
schon gewöhnt habe. | |
## Ein anständiger Name | |
In Ichenhausen spielen ein paar eingesessene Bayern das Spiel „Wo kommst du | |
denn her?“. Während ich mir meine Feierabendzigarette und ein Fahrer-Spezi | |
gönne, fangen sie an zu raten. Der Kontinent stimmt nach ein paar Runden. | |
Das Land nicht. Wer kennt schon Burundi? „Ach, da waren doch mal die | |
Deutschen. Da unten bei Südafrika.“ | |
Nicht ganz: Südafrika ist schlappe 4.151km entfernt, mehrere Länder, | |
Sprachen und Kulturen liegen dazwischen. Aber die geografieaffinen Bayern | |
beharren auf ihrem Recht. Sie erklären mir, dass ich leider keine Ahnung | |
von meiner eigenen Geschichte habe. Einen guten Spruch habe ich nicht auf | |
den Lippen, denn es schockiert, dass eine Schwäbin im Jahr 2017 in ihren | |
Augen nicht eine Malaika sein kann. | |
Der Klassiker, die Herkunftsfrage, ist an allen Orten der Republik zum | |
Gesprächseinsteiger geworden. Für mich gehört sie nicht zum Smalltalk. Denn | |
sie zielt darauf ab, mich einordnen zu können. Sie drängt mich zusammen mit | |
anderen Deutschen in eine Ecke, gelabelt als „MitbürgerIn mit | |
Migrationshintergrund“. Schon allein durch die Frage nach meiner Herkunft | |
nimmt man mir das Deutschsein weg, denn es steht gar nicht zur Debatte. | |
In Nürtingen klopft mir eine ältere Dame freundlich auf die Schulter. Die | |
Frau, begleitet von ihrer Tochter, sagt be-son-ders laaangsam, dass ich ja | |
wirklich stolz auf mein Deutsch sein könne. „Da hat Ihre Schule aber gute | |
Arbeit geleistet.“ Ihre Tochter nickt voller Mitleid, stellt mit trauriger | |
Stimme fest: „Aber so ein anstäändiger Name wie Müller wäre aber schon | |
geschickter gewesen, gell?“ – „Ach, wissen Sie, meine Mutter hatte die Wa… | |
zwischen dem unanständigen Namen und ihrem Mädchennamen Krieg. Da bin ich | |
über ihre Wahl schon sehr glücklich.“ Die Dame ist trotzdem anderer | |
Meinung: „Na, aber Krieg ist doch kurz und jeder versteht es gleich!“ | |
## Alltagsrassismus ist Salonfähig | |
In Niedersachsen am Kanal der Oste gibt es Komplimente für die taz. „Toll, | |
dass die sich jetzt auch so direkt für Flüchtlinge engagieren!“ In Hagen | |
besucht mich eine Gruppe von Gästen beim Einpacken der Sticker, | |
Kugelschreiber und Jutebeutel. Aber eigentlich brennt ihnen nur eine Frage | |
auf den Lippen: Sorgenvoll wollen sie wissen, ob ich denn direkt nach dem | |
Projekt wieder nach Hause müsse oder ob man sich für mich einsetzten würde, | |
dass ich noch ein bisschen in Deutschland bleiben kann. Das schmerzt, denn | |
ohne meine Geschichte zu kennen, stecken sie mich durch meine Hautfarbe in | |
eine Schublade. | |
Jeder einzelne dieser Momente sticht, hinterlässt ein komisches Gefühl im | |
Bauch. Und einen Anflug von Wut, denn oft fehlen mir die Worte. Ich sehe es | |
als meine Aufgabe, mein Gegenüber darauf aufmerksam zu machen, dass es | |
nicht unbedingt provokant gemeint ist, aber eben auch nicht weit gedacht. | |
Und trotzdem kann ich mich glücklich schätzen, denn bisher waren es nur | |
Worte, die mich getroffen haben. Oder Schweigen. | |
Vor einigen Wochen war ich wieder auf dem Weg ins Erzgebirge, dieses Mal | |
mit dem Zug. Vor dem Hauptbahnhof in Chemnitz war ein großer AfD-Stand | |
aufgebaut, zwei Leute verteilten Kugelschreiber und Flyer. Mir boten sie | |
keinen an. Gegenüber saßen ein paar Jungs mit angesagtem Dutt und Mädels in | |
Vintagekleidern. Auf dem Weg zu den Gleisen spuckte eine von ihnen ein paar | |
Meter vor mir auf den Boden. Der andere meinte nur: „Ach komm, mehr ist sie | |
doch nicht wert.“ In der Hand hielten sie die Heftchen der AfD. | |
In den letzten Wochen habe ich immer gehört, wie langweilig dieser | |
Wahlkampf dieses Jahr doch sei, Mutti würde eh wieder Kanzlerin werden und | |
der Einzug der AfD ließe sich nun auch nicht mehr verhindern. Die paar | |
Prozent hin oder her. Für mich machen die Kommastellen einen Unterschied. | |
Nicht zuletzt der AfD habe ich zu verdanken, dass Alltagsrassismus wieder | |
salonfähig geworden ist. | |
## Provozieren, relativieren – und doch so meinen | |
Keine dieser Erfahrungen ist mir neu, sie begleiten mich mein ganzes Leben. | |
Es ist nicht die Häufigkeit der Anfeindungen, die mich erschreckt, sondern | |
das Selbstverständnis, mit der sie geschehen, das Wegsehen der anderen. | |
Provozieren, relativieren – und doch so meinen. Ein Spiel, das die AfD | |
perfektioniert hat. Zwar ist die öffentliche Mehrheit darüber empört, | |
Entsetzten und Wut spüre ich allerdings nur in meinem Bauch. | |
Nach außen präsentiert sich Deutschland als buntes Land, ein Land, in dem | |
wir gut und gerne leben wollen. Rassismus, Homophobie und Antisemitismus | |
werden nicht geduldet. Die Realität sieht anders aus. Am Sonntag wird | |
feststehen, wie viele Menschen in den Bundestag einziehen dürfen, die mir | |
mein Deutschsein nehmen wollen. Für die ich nicht dazugehöre, die ihre | |
Deutschen lieber selbst machen wollen und nach deren Konzept ich somit auch | |
gar nicht existieren würde. | |
Es brechen Menschen in einen für mich bisher geschützten Raum ein. | |
Anfeindungen auf der Straße schmerzen – diese bald auch noch durch | |
demokratisch gewählte Abgeordnete prominent hören zu müssen, lässt meinen | |
Kloß im Hals wachsen. | |
## „G’nauer g’sagt aus Schduagard“ | |
Diese Reise durch Deutschland hat mir gezeigt, dass es sich hier nicht um | |
einen Hype handelt. Wir können nicht darauf hoffen, dass die AfD von der | |
Bildfläche verschwindet, sobald der Protest verklungen ist. Denn sie | |
protestierten gegen Leute wie mich. Ich bin ein Teil von Deutschland, ein | |
Teil einer Generation, die die dunkle Vergangenheit nur noch aus dem | |
Geschichtsunterricht kennt und nun mit ihr konfrontiert ist. | |
Die eine richtige Lösung habe ich auch nicht, doch wenn das letzte Jahr mir | |
etwas beigebracht hat, dann ist es die Wichtigkeit, einander zuzuhören, das | |
Gefühl zu geben, gesehen und gehört zu werden. Ich muss lernen, weiterhin | |
mein Gesicht zu zeigen und mich klar zu positionieren. Und viel öfter bei | |
der Frage nach meiner Herkunft einmal mal auf Schwäbisch-A2-Niveau | |
antworten: „G’nauer g’sagt aus Schduagard“. | |
23 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Malaika Rivuzumwami | |
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