Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kolumne Im Augenblick: Individualität statt Schubladen
> Vorurteile und Schubladendenken sind schwer verdaulich, nicht nur, wenn
> es ums Essen geht. Wir sollten die neu in Deutschland lebenden Menschen
> als neue Vielfalt sehen.
Bild: Schubladen sind praktisch. Nur um die Welt zu verstehen taugen sie nicht
Weiße Bohnen, Tomatensoße und Reis – diese drei Bestandteile machen ein
Gericht aus, aber das reicht nicht aus. Es muss noch eine Nation haben.
Immer, wenn ich für Freund*innen koche, bleibe ich fassungslos bei der
Frage: „Und was ist das für ein Essen? Wow, ist das Arabisch?“ Und dann,
wenn die Erinnerung bei ihnen aufgeht, dass ich Kurde bin, fügen sie mit
schamhafter Stimme hinzu: „Oder Kurdisch?“
Zuhause, da in Syrien, sagte meine Mutter nicht etwa: „Heute essen wir ein
kurdisches Essen.“ Es hat einfach, auch wenn es für manche überraschend
ist, einen Namen, sei es Tilî Shewitî, Shamborek oder Maqlûbê.
Solange es keine Konsequenzen hätte, wäre es einigermaßen harmlos. Das ist
aber in unserer Gesellschaft leider nicht der Fall, weil dieses
Schubladendenken beim Essen nicht aufhört. Es bezieht sich traurigerweise
auch auf Menschen. Statt eine Person bei ihrem Namen zu nennen, nehmen wir
die einfachste Variante und bezeichnen sie als Afghanen, Chinesen oder
Türken.
Einige haben verstanden, wie der Hase läuft, und haben damit angefangen,
diesen Nationen Eigenschaften zu geben. Etwa: „Die Araber sind laut und
deren Sprache ist voll aggressiv“, oder: „Die Iranerinnen sind
oberflächlich“ und so weiter. Besonders viel Applaus und Lachen ernten
einige, die das für ihre Comedy-Shows nutzen. Und natürlich auch Geld, es
geht ja um die Wurst.
Also, „die Araber“ wären laut? Haben Sie jemals eine ruhige Zugfahrt
erlebt, ohne von einigen „deutschen Männern“, die gerade ein Bier getrunken
haben, gestört zu werden? Die sind bestimmt überhaupt nicht laut gewesen
und zu deren Sprachmelodie können sogar die Kinder schlafen.
## Es gibt nur Einzelfälle
Niemand würde den „Deutschen“ zuschreiben, dass sie laut sind, nur wegen
ein paar Einzelfällen. Aber warum soll es wohl bei den anderen der Fall
sein? Oder, anderes Beispiel: Haben Sie jemals eine „oberflächliche
Iranerin“ getroffen? Ich nicht. Ich habe zufällig nur starke,
zielorientierte Frauen kennengelernt.
Zurück zu diesen Komiker*innen, die heutzutage bemerkenswert zahlreich
sind. In einer Comedy-Show spricht ein Komiker über Sprachen und Dialekte.
Er macht nach, wie zwei „Araber“ miteinander gesprochen hätten und sagt,
dass man denke, die beiden würden miteinander streiten , weil ihre Sprache
so laut und aggressiv sei. Dabei unterhalten sich die zwei über das Wetter.
Dann amüsiert er sich über die chinesische Sprache und wie lustig es wäre,
wenn man Filme in der chinesischen Synchronisierung anschaue.
Was er da tut, ist Folgendes: Er verbreitet die Vorurteile, die ein Mensch,
der aus Deutschland kommt und einen nicht-ausländischen Hintergrund hat,
nicht verwenden würde, weil dieser einfache Rassismus gesellschaftlich
nicht akzeptiert ist. Dass er selbst aus einem Land im Nahen Osten stammt
oder auch nur, dass er Verwandte dort hat, gibt ihm vermeintlich das Recht
dazu. Mit seiner Show sorgt er dann aber nur dafür, dass die
Mehrheitsgesellschaft diese Sprüche akzeptiert, aufnimmt und ihre
Vorurteile meistens ohne darüber nachzudenken wiedergibt.
## Ich höre andauernd solche Klischees
An der Bushaltestelle in Lüneburg, wo alle Jugendlichen sich nach der
Schule treffen, höre ich andauernd solche Klischees, die erkennbar direkt
aus derartigen Comedy-Shows kommen. Sogar mein Kollege, der aus dem Iran
kommt, macht mit mir solche Witze, wenn er mich am Telefon Arabisch
sprechen hört. „Oh, diese arabische Sprache klingt so exotisch und laut“,
sagt er und macht X- oder Ch-Laute. „Und sie ist so schwer zu sprechen.“
Was ist mit Swahili, Französisch oder Russisch? Sind sie leichter zu
sprechen? Ich glaube es nicht. Und die Lautstärke der Sprache hängt von der
Person ab, die spricht. Aber dieser Wunsch, Menschen in Schubladen zu
packen oder vielmehr sich über andere Gesellschaften und Kulturen lustig zu
machen, hat eine jahrhundertelange schmerzliche Geschichte.
All das hängt auch damit zusammen, dass wir es nicht akzeptieren, das
Gericht bei seinem richtigen Namen zu nennen, oder andere Verhaltensweisen
anderer Menschen, die neu hier sind, oder einen anderen kulturelle
Hintergrund haben, als Vielfalt zu sehen und nicht als fremd oder
unterlegen.
12 Jan 2018
## AUTOREN
Ismail Ismail
## TAGS
Vorurteile
Geflüchtete
Geflüchtete
Unterbringung von Geflüchteten
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Pegida
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kolumne Im Augenblick: Wie ich lernte, „Bitte Arbeit“ zu sagen
Die meisten Geflüchteten fangen in Deutschland bei Null an. Die Jobcenter
kennen keine Geduld. Dabei wären mehr Fort- und Ausbildungsmöglichkeiten
ein Segen.
Geflüchtete Jugendliche unerwünscht: Keine Unterkunft im Landkreis Stade
Im niedersächsischen Stade wird noch immer eine Turnhalle als Unterkunft
für geflüchtete Jugendliche genutzt. Alternativen haben Anwohner*innen
verhindert.
Alltagsrassismus in Deutschland: Jeder dieser Momente sticht
Neonazis spucken, aber auch Linke sprechen langsamer oder halten unsere
Autorin für eine Geflüchtete. Ein Jahr in einem Land, das nach rechts
rückt.
Student über sein Besorgte-Bürger-Telefon: „Feld nicht Radikalen überlasse…
Bei einer Hotline finden Menschen mit zu vielen Sorgen, Ängsten und Wut ob
all der Flüchtlinge ein offenes Ohr: Sie können mit einem Flüchtling reden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.