# taz.de -- ZDF-Film über Flüchtling in WG: Kreuzberger Willkommenskultur | |
> Der Film „Club Europa“ im ZDF zeigt eine Multikulti-WG, die einen | |
> Flüchtling aufnimmt. Er schwankt zwischen realistisch und klischeehaft. | |
Bild: Halten gegen den Alltagsrassismus der Polizei zusammen: Martha, Samuel un… | |
Das Flüchtlingsthema ist in den letzten Jahren immer größer geworden, immer | |
näher gekommen, auch in der Kunst. Auf die ersten Flüchtlinge trafen | |
Deutsche noch als Touristen an Spaniens Stränden. Inzwischen trifft man | |
sich in Berlin: in den Romanen „Gehen, ging, gegangen“, 2015, von Jenny | |
Erpenbeck und „Illegal“, 2017, von Max Annas. Man wohnt sogar zusammen: in | |
den Filmen „Willkommen bei den Hartmanns“ von Simon Verhoeven und „Der | |
Andere“ von Feo Aladag“, beide 2016. | |
Okay. Aber wem so ein kleiner Vortrag schon zu schulmäßig ist, der könnte | |
sich auch an der Konstellation in „Club Europa“ stören – beim ZDF heute | |
gleich nach der Dokumentation „Europa und die Flüchtlinge. Chronik einer | |
Krise“ im Programm. An den Typen (den Stereotypen?) in dieser Kreuzberger | |
Multikulti-WG: Nicht einmal die blonde Martha (Sylvaine Faligant) ist eine | |
echte, anständige Biodeutsche. Mit ihrer Mutter (Marie-Lou Sellem) spricht | |
sie Französisch. | |
Wir hören also, wie es klingt, wenn eine sonst in beiden Sprachen | |
akzentfreie Schauspielerin (Sellem) einen französischen Akzent aufsetzt. | |
Bei Martha ist der Akzent so gering, dass er vermutlich sogar echt ist: | |
„Ich kann auch nichts dafür, dass ich in Europa geboren bin und dass es uns | |
hier sehr gut geht. Es ist eine sehr große Ungerechtigkeit, dass nicht alle | |
die gleichen Chancen haben.“ Deswegen haben Martha und ihre beiden | |
Mitbewohner Samuel (Richard Fouofié Djimeli), den Flüchtling aus Kamerun, | |
in ihre WG aufgenommen. | |
Samuel ist so ein Musterschüler in Sachen Integration, dass die deutsche | |
Sprache bald kein Problem mehr für ihn darstellt. Ebenso wenig wie für den | |
(von Artjom Gilz gespielten) Californier Jamie, der es nie für nötig | |
gehalten hat, ein Wort Deutsch zu lernen, weil hier ja alle so gut Englisch | |
sprechen. Die nicht nur sprachlich deutscheste in dem Quartett ist Yasmin | |
(dargestellt von der in Teheran geborenen Maryam Zaree). | |
## Konfliktlinie am Küchentisch | |
Das ist alles so präzise der Kreuzberger Wirklichkeit anno 2017 abgeguckt – | |
der Grat zwischen realistisch und klischeehaft kann sehr schmal sein. Der | |
Film ist ein WG-Kammerspiel, die Konfliktlinie zwischen Aktivisten und | |
Polizisten verläuft am Küchentisch. Die Aggressivität ist von der passiven | |
Art. Der ganz normale Alltagsrassismus der beiden Polizeibeamten, die auch | |
die als solche entlarvte üble Nachrede (Paragraf 186 StGB) eines Nachbarn | |
immer noch „Hinweis“ nennen. | |
Die Samuel nicht direkt ansprechen: „Was ist denn mit ihm? Hat der Herr | |
auch Papiere? Spricht er Deutsch?“ Da hält die WG noch solidarisch | |
zusammen. Aber wer sitzt mit Samuel drei Stunden bei der Ausländerbehörde, | |
wenn die eine doch arbeiten muss, die andere Lehrprobe hat und der andere | |
gerade erst da war und kein Wort Deutsch spricht, wie gesagt? | |
## Moralinsaure und zynische Schlussszene | |
Es ist die große Qualität von „Club Europa“, dass man sich mit allen | |
WG-Mitbewohnern und sogar mit Marthas Mutter hervorragend identifizieren | |
kann. Keiner will etwas Böses, alle Handlungen sind plausibel. Und trotzdem | |
geht es für Samuel nicht gut aus. So würde der Film ganz gut als Plädoyer | |
gegen „Dublin III“, gegen die Unmenschlichkeit einer gesichtslosen | |
europäischen Bürokratie funktionieren, der mit den begrenzten Mitteln der | |
Willkommenskultur im WG-Biotop nicht beizukommen ist. | |
Wäre da nicht diese letzte Szene. Diese wiederum wird aus einem Statement | |
von Regisseurin Franziska M. Hoenisch plausibel: „Die Geschichte | |
entwickelte sich in Echtzeit mit der Wirklichkeit. Erst war es mir ganz | |
wichtig, dass die Geschichte ein gutes Beispiel für eine erfolgreiche | |
Integration setzt. Durch Gespräche mit Betroffenen und durch die ehrliche | |
Auseinandersetzung mit der eigenen Komfortzone wurde aber immer klarer, | |
dass wir unserer unpolitischen Generation und uns selbst einen Spiegel | |
vorhalten wollen.“ | |
Und da sind wir wieder und jetzt definitiv in der Schule angelangt. In | |
Filmen sind Belehrungen selten gut aufgehoben. Um nicht zu spoilern, nur so | |
viel: Jener Spiegel will eine nicht völlig vorbehaltlose Hilfe nicht gelten | |
lassen. Denunziert Martha und Yasmin im Handstreich als zynische | |
„Gutmenschen“. Tatsächlich macht diese eine moralische – moralinsaure – | |
Schlussszene den Film selbst im Nachhinein zu einem zynischen Kommentar. | |
27 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Jens Müller | |
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