# taz.de -- Flüchtlingshelfer in Sachsen: Geglückte Integration | |
> Vor einem Jahr haben die Einwohner Wiederaus nicht gegen, sondern für | |
> Flüchtlinge gekämpft. Die sind jetzt im Ort und der Umgebung gut | |
> integriert. | |
Bild: Auch in Berlin wurden im Jahr 2015 Flüchtlinge in Zelten untergebracht | |
Die planierte Brachfläche im Gewerbegebiet Wiederau wartet wieder auf | |
Investoren. Nichts erinnert mehr daran, dass hier vor fast einem Jahr zwei | |
große Zelte für Flüchtlinge aufgebaut wurden. Höchstens 200 Meter entfernt | |
vom Amtssitz von Bürgermeister Johannes Voigt (CDU). Das Rathaus ist | |
Anlaufpunkt für die Flüchtlingshelfer geblieben, in Voigts Büro versammeln | |
sie sich für einen Rückblick. In ihren Erzählungen erstehen die Ereignisse | |
von vor einem Jahr wieder auf. Ansonsten geht das Leben in der | |
mittelsächsischen 2.700-Seelen-Gemeinde seinen Gang. | |
Das sah im Oktober 2015 anders aus, als bekannt wurde, dass hier 60 | |
Flüchtlinge untergebracht werden sollen. Im Netz und auf der Straße | |
versammelte sich der übliche Protest. Es fanden sich aber auch erste | |
Helfer, zaghaft zunächst, vom Bürgermeister unterstützt, die die | |
Notunterkunft etwas wohnlicher gestalteten. Zwei Tage vor Weihnachten | |
trafen dann 60 junge Männer ein, misstrauisch beäugt. Doch in den kommenden | |
Monaten entwickelten sich Beziehungen und diese führten Ende Februar zum | |
„Wunder von Wiederau“: Über Nacht sollten die Notunterkunft aufgelöst und | |
die Männer in die Erstaufnahme Rossau gebracht werden. Etwa 100 Paten und | |
Helfer versteckten ihre „Schützlinge“ und erreichten mit einer spontanen | |
Demonstration vor dem Landratsamt einen Aufschub. | |
Nach und nach haben die Flüchtlinge bis Ende April dann geordnet die Zelte | |
verlassen. Etwa die Hälfte der Männer lebt noch in Wiederau und in den | |
umgebenden Gemeinden. Andere sind zu Freunden oder Verwandten | |
weitergereist. Die Bindungen an ihre Paten blieben erhalten. Für jene, die | |
sich in der Nähe niederlassen wollten, galt es, Wohnungen zu finden. | |
„Vermieter sind schwierig“, berichtet Markus Klitzsch, Koordinator der | |
Helfergruppe. Bürgermeister Voigt spricht von einem „immensen Aufwand“. Die | |
Gemeinde selbst verfügte nur über wenige freie Wohnungen, also blieben die | |
Nachbarorte und kirchliche oder private Unterkünfte. Diese Privatvermieter | |
hätten oft Angst vor der Reaktion anderer Mieter und vermieteten lieber | |
nicht an Ausländer. Dabei sähe es in deren Wohnungen, so der | |
CDU-Bürgermeister, „oft ordentlicher aus als bei den Deutschen“. | |
Ali Ghalieh aus Aleppo, mit 52 Jahren der Älteste der Gruppe, wohnte lange | |
beim Bürgermeister. Der Syrer, der seine Firma und Teile der Familie | |
verlor, ist mittlerweile in der Holzverarbeitung beschäftigt. In der | |
vorletzten Augustwoche trafen sich alle wieder, und es war wie im Januar, | |
als Afghanen und Syrer für ein Gemeindefest kochten. Aber die Themen und | |
die Aufgaben haben gewechselt. Alle Flüchtlinge haben inzwischen ihr | |
Anhörungsgespräch hinter sich gebracht. Die meisten warten in banger | |
Spannung auf ihre Bescheide. „Das ist wie das Warten auf die Lottozahlen, | |
denn Protokoll und Anhörung passen oft nicht zusammen“, wiegt Klitzsch | |
bedenklich den Kopf. Auch Bürgermeister Voigt spricht von „intransparenten | |
Entscheidungsprozessen“. Es stifte Unsicherheit, wenn ein Syrer nach einem | |
Jahr Aufenthalt, in dem er alles zu lernen versucht habe, wieder | |
weggeschickt würde. | |
## Die Stimmung hat sich beruhigt | |
Auf Behörden ist Voigt ohnehin nicht gut zu sprechen. „Wir waren schon | |
froh, wenn die nicht gegen uns gearbeitet haben!“ Immerhin dürfen fast alle | |
Schützlinge jetzt zur Schule, also vor allem zum Deutschunterricht, gehen. | |
Hier sind die Paten auf neue Weise bei der Nachhilfe gefragt, ebenso wie | |
bei der Suche nach Arbeit und Ausbildung. Für ihr Engagement würden sie | |
nicht mehr beschimpft oder geschnitten, berichten zwei Helferinnen. Die | |
Stimmung habe sich beruhigt. Der Bürgermeister stimmt zu, weiß aber, dass | |
es nach wie vor auch Antipathien gibt. Allein seit Dezember 2015 sei nichts | |
Alarmierendes mehr vorgefallen. | |
Wie bewerten die Einwohner rückblickend ihr viel gelobtes Verhalten? Markus | |
Klitzsch, dem Organisationstalent, ist Lob eher peinlich. „Was wir gemacht | |
haben, empfinde ich als normal – die Proteste sind eher anormal“, meint er. | |
Bürgermeister Johannes Voigt spricht auf seine Weise ehrlich. Die Gemeinde | |
habe sich nicht um die Flüchtlinge gerissen, aber einfach eine Situation so | |
gemeistert, wie es die großen Politiker in schönen Reden postulierten. „Wir | |
hatten Glück mit denen – und die mit uns“, sagt er. Aber auf Dauer und mit | |
einem wiederholten Zugang an Asylsuchenden wäre auch der Ort und sein guter | |
Wille überfordert gewesen, gibt er zu bedenken. | |
Chsem Akbari aus Afghanistan wohnt mit Landsleuten in einer Wiederauer WG. | |
Er fühle sich unverändert gut. „Ich habe eine Chance in Wiederau bekommen!�… | |
26 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Michael Bartsch | |
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