| # taz.de -- Bundespressekonferenz der Kanzlerin: Weiter, immer weiter | |
| > Angela Merkel bekräftigt ihre Position des „Wir schaffen das“. Dies soll | |
| > auch für den Kampf gegen den Terrorismus gelten. | |
| Bild: Aus dem Uckermark-Urlaub in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit: Angela Me… | |
| Berlin taz | Der große Saal der Bundespressekonferenz ist bis auf den | |
| letzten Platz gefüllt. Die Bundeskanzlerin hat ihren gerade erst begonnenen | |
| Urlaub unterbrochen und ihre alljährliche Pressekonferenz vor den | |
| Hauptstadtmedien auf diesen Donnerstag vorverlegt. Nach den gewaltsamen | |
| Vorfällen der zurückliegenden Woche schien es auch den Strategen im | |
| Kanzleramt angeraten, dass sich die Regierungschefin zu Wort meldet. | |
| Punkt dreizehn Uhr kommt Angela Merkel in den Saal und nimmt vorn auf dem | |
| Podium Platz. Gleich zu Beginn gibt sie eine Erklärung ab, die Fragen der | |
| Journalisten beantwortet sie später. | |
| Bei den Gewalttaten von Würzburg und Ansbach, sagt sie, handle es sich nach | |
| allem, was man wisse, um islamistischen Terrorismus. Dass zwei Männer, die | |
| als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen seien, für die Taten | |
| verantwortlich sind, „das verhöhnt das Land, das sie aufgenommen hat“. Es | |
| verhöhne auch die vielen Freiwilligen in der Flüchtlingshilfe und jene | |
| Flüchtlinge, „die wirklich Hilfe vor Gewalt und Krieg bei uns suchen“. | |
| Merkel spricht von einer „historischen Bewährungsaufgabe in Zeiten der | |
| Globalisierung“. Schließlich folgt jener Satz, von dem nach den Ereignissen | |
| der letzten Woche keineswegs sicher war, dass die Kanzlerin ihn erneut in | |
| den Mund nehmen würde. | |
| „Wir schaffen das.“ | |
| Bald ein Jahr ist es her, dass sich hier in der Bundespressekonferenz | |
| Historisches ereignet hat. Der 31. August 2015 war jener Tag, an dem Merkel | |
| schon einmal „Wir schaffen das“ gesagt hat. Der Satz gilt seither als | |
| Maßstab, als Referenzgröße für die Arbeit der Bundesregierung und ihrer | |
| Kanzlerin, für Erfolg oder Misserfolg in der Flüchtlingsfrage. Er ist | |
| zugleich die Chiffre für den Umgang dieses Landes mit Hilfebedürftigen, für | |
| das Funktionieren des Rechtsstaats. Er ist Ermutigung und Schmähung | |
| zugleich. | |
| Wir schaffen das. | |
| Merkel saß auch damals vorne auf dem Podium. Sie trug ein himbeerfarbenes | |
| Jackett und legte den JournalistInnen ihre Strategie vor, wie die deutsche | |
| Politik auf das Eintreffen Hunderttausender Hilfebedürftiger im Land zu | |
| reagieren gedenkt. Die einzelnen Punkte bekräftigte sie mit leichten | |
| Handkantenschlägen durch die stickige Saalluft. | |
| Menschenwürde. Zack. | |
| Grundrecht auf Asyl. Zack. | |
| Genfer Flüchtlingskonvention. Zack. | |
| Nationale Aufgabe. Kostenverteilung. Integration. Bamm. Bamm. Bamm. | |
| Schließlich, nach dreizehneinhalb Minuten, dieser Satz: „Wir schaffen das.“ | |
| Die Situation war auch damals enorm aufgeladen: An der | |
| ungarisch-österreichischen Grenze drängten sich Zehntausende Menschen auf | |
| der Flucht. Auf deutschen Bahnhöfen sah man erschöpfte Familien, auf dem | |
| Schoß abgerissene Kinder. Fünf Tage zuvor hatten in Heidenau Fremdenfeinde | |
| die Kanzlerin als „Volksverräterin“ angepöbelt. Tags darauf waren in einem | |
| abgestellten Kühllaster auf der österreichischen Autobahn die verwesten | |
| Leichen von 71 Menschen gefunden worden, von Schleppern einfach ihrem | |
| Schicksal überlassen. Das war die Lage. | |
| ## Mehr als ein Satz | |
| Schaut man sich die Pressekonferenz heute nochmals an, kann man wirklich | |
| nicht behaupten, da habe der Mantel der Geschichte geweht. Merkel | |
| referierte ihre Themen, neben ihr saß müde der Regierungssprecher, Kameras | |
| klickten. Und doch fällt etwas auf. Denn die Kanzlerin hatte keineswegs nur | |
| diesen Satz gesagt. Sondern drei Sätze. | |
| „Deutschland ist ein starkes Land. Das Motiv, mit dem wir an diese Dinge | |
| herangehen, muss sein: Wir haben so vieles geschafft – wir schaffen das! | |
| Wir schaffen das, und dort, wo uns etwas im Wege steht, muss es überwunden | |
| werden, muss daran gearbeitet werden.“ | |
| Was seither als apodiktischer Dreiwortsatz durch die Debatten geistert, war | |
| also tatsächlich eine mit Lösungsansätzen verknüpfte Ermutigung, die sich | |
| zusätzlich auf historische Leistungen der Bundesrepublik bezog. Eine | |
| Ermutigung, die bis heute durchaus auch als Selbstermutigung einer | |
| Politikerin verstanden werden darf, die in ihren bald elf Jahren | |
| Kanzlerschaft nicht eben zur Gefühligkeit neigt. | |
| Auch 2016 signalisiert Merkel, Bundesregierung und Kanzlerin hätten eine | |
| Strategie. Das 9-Punkte-Programm, das sie nun referiert, sieht vor, das | |
| Frühwarnsystem der Behörden bei Radikalisierungen einzelner Personen zu | |
| verbessern. Die personelle Ausstattung des Bundes wird aufgestockt. Die | |
| bereits beschlossene zentrale Stelle für Informationstechnik im | |
| Sicherheitsbereich zur Entschlüsselung der Internetkommunikation soll | |
| schnellstmöglich aufgebaut werden. | |
| Laut Merkel ist es „jetzt an der Zeit“ für Übungen für terroristische | |
| Großlagen, bei denen unter Führung der Polizei auch die Bundeswehr | |
| eingebunden wird. Forschungsvorhaben zum islamistischen Terror werden | |
| ausgebaut. Europäische Datensysteme werden vernetzt. Das neue europäische | |
| Waffengesetz wird schnell verabschiedet, in Deutschland sollen künftig | |
| keine Waffen mehr im Netz gekauft werden können. Deutsche | |
| Sicherheitsdienste sollen enger mit befreundeten Diensten kooperieren. Und | |
| Abschiebungen von Flüchtlingen in ihre Herkunftsländer werden beschleunigt. | |
| Tatsächlich unterscheiden sich die neun Punkte nicht wesentlich von dem, | |
| was die Regierungschefin vor elf Monaten vorgelegt hat. Aber nichts | |
| vorweisen zu können würde die Bürgerschaft verängstigen. Und etwas komplett | |
| Neues anzukündigen würde Merkels Glaubwürdigkeit unterminieren. | |
| ## Nun mit Fragezeichen | |
| Es ist spürbar: Merkel steht zu ihrem „Wir schaffen das“. Doch aus dem | |
| Ausrufezeichen dahinter ist mittlerweile ein dickes Fragezeichen geworden. | |
| Schaffen wir das? Und wer ist eigentlich noch „wir“? Der gesellschaftliche | |
| Resonanzraum für jene, die von Flüchtlingsfeinden als „Bahnhofsklatscher“ | |
| diffamiert werden, ist kleiner geworden. | |
| Merkel stellt jetzt die Frage: „Können wir es wirklich schaffen, diese | |
| große Bewährungsprobe zu bestehen?“ Ihre Antwort ist immer noch dieselbe | |
| wie vor einem Jahr, sie hat sie seither dutzendfach gegeben: Die Würde des | |
| Menschen ist unantastbar. Politisch Verfolgte genießen Asylrecht, | |
| Flüchtlinge den Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention. | |
| Ja, „schlimm“ sei die allgemeine Verunsicherung, antwortet Merkel auf die | |
| Frage, ob sie denn um die Stimmung im Land wisse, um die Angst. Sie habe | |
| sehr wohl vernommen, dass die Menschen verunsichert sind. Dennoch, | |
| Deutschland sei „ein sehr sicheres Land, auch wenn wir jetzt sehr schwere | |
| Tage hinter uns haben“. Ja, vor einem Jahr habe sie gesagt: „Wir schaffen | |
| das. Ich habe nicht gesagt, dass das eine einfache Sache wird.“ | |
| An die Adresse ihrer politischen Gegner und deren Anhänger sagt sie: „Viele | |
| Flüchtlinge sind keinerlei Rechtfertigung für Xenophobie und Rassismus.“ | |
| Ihr sei wichtig, klarzustellen: „Wir befinden uns in keinem Krieg oder | |
| keinem Kampf gegen den Islam. Sondern wir kämpfen gegen den Terrorismus, | |
| auch den islamistischen Terrorismus.“ Ihre Regierung sei entschlossen, | |
| „Menschen, die heute sich vielleicht nicht ausreichend verstanden fühlen, | |
| wieder zurückzugewinnen in die Wählerschaft der Parteien, die heute im | |
| Bundestag vertreten sind“. | |
| Gefragt, ob sie im Rückblick Fehler einräumen wolle, reagiert Merkel kühl. | |
| Sie sei natürlich „für die allerallermeisten Entscheidungen | |
| verantwortlich“. Sie habe in einer sehr herausfordernden Zeit „nach bestem | |
| Wissen und Gewissen“ gearbeitet. Die Herausforderungen würden bleiben, es | |
| sei aber auch viel erreicht worden. | |
| Man sieht ihr die Anstrengungen der zurückliegenden Monate an. Statt in der | |
| Uckermark zu urlauben, wird sie anderthalb Stunden lang von den | |
| MedienvertreterInnen gegrillt. Wie es denn um ihre Kondition stünde, wird | |
| Merkel gefragt. Sie hasst derlei Persönliches. Dennoch: „Abends gehe ich | |
| schon manchmal ganz gern ins Bett und schlafe“, antwortet Merkel. Als | |
| Erschöpfung wolle sie ihre derzeitige Verfassung nicht beschreiben. „Aber | |
| ich bin nicht unterausgelastet.“ | |
| 28 Jul 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Anja Maier | |
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