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# taz.de -- Debatte Umgang mit erstarkter AfD: Sie haben keine Chance
> Den Rechten missfällt eine Gesellschaft, die liberal tickt. Die AfD wird
> sie aber nur begrenzt trösten können – trotz ihres Einzugs in den
> Bundestag.
Bild: Reichstag mit Regenbogen
Sie wittern Morgenluft, die Rechten. Ihnen wird mit diesem Montag nach den
Bundestagswahlen die Morgenröte scheinen. Sie freuen sich wie Kinder auf
ihre Bescherung, heftig und beutegewiss: Menschen wie Alexander Gauland,
Björn Höcke, Alice Weidel, Frauke Petry oder Jörg Meuthen. Wie sagte
Letzterer, seine Gefühle unverhüllt ausstellend, 2016, auf dem ersten
Bundesparteitag der AfD über das, was seine Partei zu leisten habe? Man
müsse „weg vom links-rot-grün verseuchten Achtundsechziger-Deutschland“.
Und doch: Sie werden enttäuscht sein, auf mittlere Sicht, in jeder
Hinsicht.
In den meisten Kommentaren des linksliberalen Mainstreams hat man sich über
diesen paranoid anmutenden Spruch Meuthens eher lustig gemacht – aber die
AfD meint es natürlich vollkommen ernst: Sie leidet fundamental unter dem,
wie dieses Land namens Bundesrepublik Deutschland aussieht, wie es verfasst
ist und vor sich hin lebt. Mit anderen Worten: wie es tickt.
Aus rechtsweltanschaulicher Sicht – nationalistischer oder völkischer,
jedenfalls nicht „multikulturalistischer“ Strickart – leben Rechte seit
mindestens einem halben Jahrhundert in einem Albtraum. Nichts von dem, wie
sie sich Deutschland vorstellen, und zwar in welchen Grenzen auch immer,
funktioniert so, wie sie es gern hätten. Schlimmer noch: Es wird einfach
nicht besser. Jeden Kampf haben sie verloren, manchen über Nacht, andere
auf längere Sicht.
## Kulturelles und politisches Volldebakel
Man muss sich die real existierende Welt der Bundesrepublik mal mit den
Augen der Rechten angucken, um zu ermessen, welches kulturelle und
politische Volldebakel deren Milieus – sofern man überhaupt von solchen
sprechen kann – erlitten haben. Und weiter erleiden werden, sofern der
linksliberale Hauptstrom des Landes sich weigert, die kulturellen
Vorstellungen der AfD zu nähren, um ihn zu bändigen.
Ausweislich Wilhelm Heitmeyers Studien zur mentalen Lage der Bundesrepublik
gibt es stets einen Anteil von etwa 20 Prozent aller Menschen, die
nationalistischen und/oder völkischen Weltbildern anhängen. In den frühen
sechziger Jahren war die Lage freilich prekärer. Das Gros der
Bundesdeutschen entstammte noch direkt der nationalsozialistischen
Teilhabe, die seit 1933 geborenen Kinder hatten wenigstens gefühlt die Last
der NS-Erziehung im inneren Gepäck.
Tapfere Angehörige der neuen, antinazistischen Eliten rangen der
Bundesrepublik öffentliche Performances ab, die den alten arischen Kreisen
nicht passten: Fritz Bauer und die Durchsetzung der Auschwitzprozesse
gegen NS-Täter; Intellektuelle wie Theodor W. Adorno und andere, die in
geistiger Hinsicht zwar mit demokratischer Massenkultur nichts zu schaffen
haben wollten, aber die neuen Eliten mit geisteswissenschaftlichem Stoff
wider die deutsche Geistigkeit versorgten. Kritisches Denken wurde nicht
durch sie allein, aber auch durch sie zum Alltagsmodus der bundesdeutschen
Selbst- und Weltwahrnehmung schlechthin.
## Mit Krieg ist nichts mehr zu holen
Im Alltagsleben war es damals so: Frauen sind dem Manne untertan, und sie
waren es qua Heirat buchstäblich – nicht mehr allein geschäftsfähig, ihre
Männer hatten Einspruchsrecht. Kinder waren noch in Schulen und
Elternhäusern Gewalt ausgesetzt, buchstäblich nicht nur struktureller. Es
wurde geschlagen, geohrfeigt, gepeitscht, gedemütigt. Das alles ist heute
auch noch möglich – aber es steht unter Strafe. Kinder dürften nicht
gezüchtigt werden, nirgendwo, weder in Schulen noch in ihren Familien. Die
Verweichlichung des deutschen Mannes – damals nahm sie richtig Fahrt auf.
Zum rechten Gedankengut zählt die Nobilitierung des Krieges. Mit diesem
soll der Mann ein Soldat sein, zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl, schnell
wie Windhunde. Krieg aber, das haben Rechte vollständig unterschätzt, war
als politisches Projekt in den allermeisten deutschen Familien nach dem
Ersten und erst recht nach dem Zweiten Weltkrieg diskreditiert.
Als Angela Merkel 2003 vage die deutsche (Mit-)Kriegsbereitschaft an der
Seite von US-Präsident George W. Bush erwog, kostete sie das bis ins
konservative Lager hinein Sympathien, und der militarismusabstinente
Gerhard Schröder hatte noch mehr Punkte gewonnen. Krieg – damit ist nichts
mehr zu holen. Und das wissen Rechte und Völkische kummervoll genau:
Deutsche Familien opfern ihre Söhne? Nicht im Ernst: Man ist lieber
postheroisch. Angst um Angehörige – nicht für ideologisch gesinnte Kriege.
Wiederum aus restnazistischer Perspektive, Anfang der sechziger Jahre: Na,
da hatte man das Land zu 99 Prozent arisch; zwar den Krieg verloren, aber
Juden gab es nur noch wenige. Und was geschah? Kamen die Gastarbeiter und
infiltrierten das ganze Land, zunächst sachte, dann immer mehr. Die
deutscheste aller nationalistischen Wahnvorstellungen – jene, sich nicht
als Volk zu vermischen – ging auch den Jordan runter: In der Bundesrepublik
leben heutzutage so viele Deutsche, deren Vorfahren es vor zwei
Generationen nicht waren, wie es für Rechte einer Apokalypse gleichkommt.
Gauland disste nicht umsonst den deutschen Nationalspieler Jérôme Botang –
und erntete gerade unter den Jüngsten der deutschen Staatsbürger, Kindern
und Jugendlichen, Protest. Die Vermischung deutschen Bluts, wie sie
fantasieren, funktioniert Tag für Tag, Nacht für Nacht – sie ist
ausbaufähig, aber das müssen alle Beteiligten selbst wissen, ob und wie sie
das wollen: das Deutsche – alles Verhandlungssache, bis in die
Bettkonstellationen.
## Horror der „Verschwulung“
Nicht minder macht, so gesehen, das Geschrille der Beatrix von Storch oder
anderen Hysteriker*innen um den „Genderwahn“ Sinn. Noch bis 1969 galt das
Verbot von schwulem Sex vollständig, die Androhung von Strafen lag nicht
nur theoretisch im Spiel. Homophobie war eine kollektive Veranstaltung, der
Schwule, die Lesbe – tragische Verfehlte und Aussätzige.
Was seither passiert ist? Aus rechter Sicht der Verlust aller Ordnung. Die
Bundesrepublik – empirisch nach wie vor ein dominant heterofamiliäres
Konstrukt – ist für sie verschwult, vergendert,
geschlechtsgrenzenauflösend: ein Horror. Die Ehe ist, das war doch für die
Rechten eine besonders schlimme Sache, entbiologisiert – schwule Männer und
lesbische Frauen können ab dem 1. Oktober heiraten: gleichgestellt jene,
die man noch unterm Führer in KZs, von ihren Familie oft im Stich gelassen,
beförderte.
Obendrein, noch mehr Gedöns, das Völkischen die Herzen verletzt:
Scheidungen, Patchworkfamilien, die Liebe als Wichtiges, nicht
Fortpflanzung zuerst – das sind Teile eines libertären Weltkulturerbes
Deutschlands, das die AfD am ehesten auslöschen würde. (Dass Frauke Petry
ihre Familie mit vier Kindern verließ, um eine neue, mit einem weiteren
Kind, zu gründen, ist auch nicht gerade das, was Konservative freut.)
Kurz: Die Bundesrepublik hat sich weitgehend europäisiert bzw. zunächst
amerikanisiert, tickt nicht nach Führerwillen, sondern meist nach
kooperativem Prinzip, kennt als kulturelle DNA eher Interessensausgleich
als den Kampf um sie, Niederlage des Kontrahenten inklusive. Es ist,
Meuthen und die Seinen haben völlig recht, ein rot-grün-versifftes
Achtundsechzig wie auf Dauer gestellt – und das bis weit in die CDU/CSU
hinein.
Mariam Lau von der Zeit, ehemalige Kollegin der taz, fragte am Donnerstag
auf Facebook: „Kann es wirklich sein, dass wir jetzt noch einmal durch all
das durchmüssen: Historikerstreit, Wehrmacht-Ausstellung, Mahnmal-Debatte?“
Geantwortet sei: na wenn schon.
Die AfD wird nichts ändern können, ihr gemeinsamer Hass ist solitär und
einer von Verzweifelten. Sie werden sich mit dem neuen Deutschland (Marina
und Herfried Münkler) arrangieren müssen, sie sind auch lifestylig nie mehr
als Verlierer gewesen – selbst dann, wenn sie aktuell ein Siebtel der
Stimmen gewinnen sollten. Sechs Siebtel stehen gegen sie, weil sie das, was
die AfD repräsentiert, nicht wollen. Sie werden natürlich auf
Hegemoniewünsche setzen, darauf hoffen, dass andere ihnen folgen,
vielleicht unsichere Kantonisten aus der CDU, der CSU, aus den Kirchen,
Gewerkschaften oder anderen zivilgesellschaftlichen Nestern.
Sie haben keine Chance. Ihre Weltvorstellungen sind streng und eng, sie
versprechen kein gutes Leben. Sondern nur ein
anstrengendes-gesinnungsethisches. Das muss sie verzweifeln lassen. Gut so.
Und: fuck them all!
[1][Lesen Sie mehr zur Bundestagswahl 2017 in unserem Schwerpunkt]
25 Sep 2017
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## AUTOREN
Jan Feddersen
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