# taz.de -- Debatte Bundestags-Einzug der AfD: Die Erben des Rassismus | |
> Die AfD und ihre WählerInnenschaft beerben den tief verwurzelten | |
> Rassismus Deutschlands. Die Partei ist eine aktualisierte Wiedergängerin | |
> der NSDAP. | |
Bild: Schlechte Aussichten am Bundestag | |
Die rechtsextreme AfD zieht in den Bundestag ein – eine Partei, die sich in | |
Teilen affirmativ zum Nationalsozialismus verhält. Derlei gab es schon in | |
der Frühzeit der Bundesrepublik. In ihren ersten Jahren gelangten Parteien | |
und Personen in das Parlament, die persönliche und programmatische | |
Beziehungen zur NS-Zeit hatten: zum Beispiel der BHE, der „Block der | |
Heimatvertriebenen und Entrechteten“. Er war von 1953 bis 1957 im Bundestag | |
vertreten und hatte laut eigener Funktionäre viele ehemalige | |
Nationalsozialisten zum Mitglied, so etwa den Vertriebenenminister Theodor | |
Oberländer, Teilnehmer am Hitlerputsch und späterer „Dozent für Ostfragen�… | |
beim „Außenpolitischen Amt der NSDAP“. | |
Durch Wahlabsprachen mit der CDU konnte auch eine „Deutsche Partei“ (DP) | |
über Direktmandate 1953 bis 1961 Vertreter in den Bundestag entsenden, etwa | |
Hans-Christoph Seebohm, der, zunächst Mitglied der DP, 1960 der CDU beitrat | |
und von 1949 bis 1966 Bundesverkehrsminister war. Er forderte 1949 | |
Ehrfurcht vor Fahnen des Nationalsozialismus, schmähte das Grundgesetz als | |
von den Alliierten „erzwungen“ und schwafelte von einer | |
„Sozialdemokratie mit asiatischen Wurzeln, die nicht zum Deutschtum | |
führen“ könne. | |
Ähnliche Töne sind heute – bald siebzig Jahre später – aus dem Munde des | |
AfD-Spitzenkandidaten Alexander Gauland zu vernehmen: Er ruft dazu auf, auf | |
die „Leistungen“ einer der schlimmsten Mordmaschinen des 20. | |
Jahrhunderts, der Deutschen Wehrmacht, stolz zu sein. Gauland, der als | |
persönlicher Referent des damaligen Frankfurter Oberbürgermeister Walter | |
Wallmann (CDU), vietnamesische Flüchtlinge in die Stadt holte und dafür | |
sorgte, dass Wallmann 1980 dem linksliberalen Philosophen Jürgen Habermas | |
den Theodor W.-Adorno-Preis verlieh, hat nach seinem verbitterten | |
Ausscheiden aus der CDU die Maske des in Tweed gekleideten britischen | |
Konservativen in der Tradition Edmund Burkes abgelegt. | |
## Spielen mit Rassismus | |
Bewusst spielt er mit rassistischen Anspielungen, so, als er 2016 über den | |
deutschen Fußballspieler Jérôme Boateng sagte, dass die Leute so jemanden | |
nicht so gern zum Nachbarn hätten. Gauland, der schon in den späten | |
achtziger Jahren die Möglichkeit schwarz-grüner Bündnisse auf kommunaler | |
Ebene auslotete, hat sich die Programmatik der „Neuen Rechten“, der | |
„Identitären Bewegung“, mit ihrem dreifachen Nein zu eigen gemacht: Nein zu | |
Multikulturalismus, zu Immigration und vor allem zum Islam. Entsprechend | |
behauptete er kürzlich, der Islam sei gar keine Religion, sondern lediglich | |
eine politisch-religiöse Doktrin. | |
Die Äußerungen des thüringischen Landesvorsitzenden Björn Höcke über das | |
Berliner Holocaustdenkmal und die Verbindungen vergleichsweise vieler AfD | |
Funktionäre zur NPD sind ihm ebenso bekannt wie die öffentlichen | |
Bekenntnisse der so modern wirkenden Alice Weidel, die – anders als die | |
Parteivorsitzende Frauke Petry – Gauland rückhaltlos unterstützt. | |
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob der Einzug der AfD in den | |
Bundestag lediglich ein Aufschließen Deutschlands zum (west-)europäischen | |
Normalmaß darstellt oder ob sich dahinter nicht doch eine fatale | |
Kontinuität deutscher Geschichte verbirgt. Tatsächlich weisen die meisten | |
westeuropäischen Staaten – mit Ausnahme Spaniens und Portugals – von | |
Skandinavien über die Beneluxstaaten bis nach Frankreich einen erheblichen, | |
parlamentarisch vertretenen Anteil rechtsextremer Parteien auf. Er reicht | |
von den „Schwedendemokraten“ über die einwanderungsfeindliche Partei von | |
Geerd Wilders in den Niederlanden bis zum Front National in Frankreich. Im | |
Schnitt bekommen diese Parteien zwischen 12 und 14 Prozent der Stimmen. | |
## Die Volksparteien verlieren an die AfD | |
Und Deutschland? Jüngste Analysen konnten zeigen, dass die Anhängerschaft | |
der AfD im Osten deutlich größer ist als im Westen, nicht aber, dass es | |
sich bei dieser Anhängerschaft um ehemalige Wähler der Linkspartei handelt. | |
Vielmehr sind es die Volksparteien, die hier WählerInnen verlieren. Das | |
sozioökonomische Profil der Anhängerschaft ist auf den ersten Blick | |
unscharf und unauffällig. So scheint die AfD in der „Mitte der | |
Gesellschaft“ vor allem bei Männern mittleren Alters, Einkommens- und | |
Bildungsniveaus besonders erfolgreich zu sein. Jedenfalls liegt das | |
durchschnittliche Nettoeinkommen der AfD-Anhänger wohl leicht über dem | |
Bundesdurchschnitt – bei 2.200 Euro monatlich. Allerdings: Knapp ein | |
Drittel der Befragten mit AfD-Wahlabsicht erwartet eine Verschlechterung | |
der eigenen wirtschaftlichen Lage – doppelt so viele wie bei allen anderen | |
Befragten. | |
Die politische Theorie kennt seit Seymour M. Lipsets 1959 publiziertem Buch | |
„Political Man“ das Phänomen eines „Extremismus der Mitte“, der – wi… | |
zeitgeschichtliche Forschung nachweisen konnte – eine entscheidende Rolle | |
beim Aufstieg der NSDAP spielte. Was damals der Antisemitismus war, ist | |
heute die Islamophobie. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: | |
Antisemitismus hier und Islamophobie dort sind keineswegs dasselbe. Sie | |
entstammen verschiedenen historisch-kulturellen Ausgangslagen und haben | |
ganz unterschiedlich materielle Gewalt angenommen. Das beweist die | |
Singularität der nationalsozialistischen Ermordung von 6 Millionen | |
europäischer Juden. So verschieden Antisemitismus und Islamophobie jedoch | |
sind, so sehr nehmen sie auf der Seite jener, die einer Form | |
„gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ (Wilhelm Heitmeyer) anhängen, | |
dieselbe Funktion ein: einer scheinbar rationalen Begründung von | |
Ressentiment und schierem Hass. | |
„Der Islam“, so das im April 2017 beschlossene Wahlprogramm der AfD, | |
„gehört nicht zu Deutschland. In der Ausbreitung des Islam und der Präsenz | |
von über 5 Millionen Muslimen, deren Zahl ständig wächst, sieht die AfD | |
eine große Gefahr für unseren Staat, unsere Gesellschaft und unsere | |
Werteordnung.“ Konsequent fordert die AfD daher die Abschaffung | |
islamtheologischer Lehrstühle an deutschen Universitäten sowie das Verbot | |
von Muezzinruf und Minaretten, weil sie Ausdruck eines islamischen | |
Imperialismus seien. | |
Gelegentlich wird darauf hingewiesen, dass der Antisemitismus nie auf ein | |
zum islamistischen Terror – der sehr wohl etwas mit dem Islam zu tun hat – | |
vergleichbares Phänomen habe hinweisen können; dem ist freilich | |
entgegenzuhalten, dass sich die antisemitische Propaganda seit dem | |
Kaiserreich nicht nur gegen jüdische Einwanderer wandte, sondern stets auf | |
den Umstand hinwies, dass sich unter den Führungskräften der gefürchteten | |
Bolschewiki überdurchschnittlich viele Juden befanden. | |
## Tief verwurzelter Rassismus | |
So sehr also AfD und ihre WählerInnenschaft Ausdruck einer | |
gesamtwesteuropäischen Stimmung sind, so sehr beerben sie doch auch den in | |
der politischen Kultur Deutschlands tief verwurzelten Rassismus – und das | |
angesichts einer Geschichte, die zumal der Bevölkerung Ostdeutschlands kaum | |
Gelegenheit zum Erfahren einer liberalen Kultur ließ. Tatsächlich gab es in | |
den östlichen Landesteilen seit Gründung des Deutschen Reichs 1871 nur | |
vierzehn Jahre, in denen Demokratie gelebt werden konnte: zwischen 1919 und | |
1933. Vorher, von 1871 bis 1919 lebten die Ostdeutschen im autoritären | |
Staat des Kaiserreichs, von 1933 bis 1945 unter dem NS-Staat, anschließend, | |
von 1945 bis 1989 unter einer kommunistischen Parteidiktatur. Erst seit | |
knapp dreißig Jahren, seit der Wende, leben sie unter Umständen, die | |
überhaupt demokratisch zu nennen sind – und das angesichts von Verlust- und | |
Enteignungserfahrungen, die viele die Wiederkehr autoritärer Verhältnisse | |
ersehnen lassen. | |
Die AfD erweist sich somit strukturell als eine zeitgemäß modifizierte | |
Wiedergängerin der NSDAP. Das gilt nicht für all ihre Mitglieder, | |
vielleicht nicht einmal für deren Mehrheit, aber: Im Falle der AfD gilt, | |
dass sie als Partei allemal mehr ist als die Summe ihrer Teile. Sie ist | |
eine Partei, die anstelle des Antisemitismus die Islamophobie und anstelle | |
des hierzulande – anders in Polen und Ungarn – diskreditierten | |
Führerprinzips eine plebiszitäre, totalitäre Demokratie einführen will. | |
Beides wird das gesellschaftliche Klima grundsätzlich verändern – in welche | |
Richtung, das hat Thomas Mann in seinem Roman „Der Zauberberg“ für die | |
letzten Jahre vor dem Ersten Weltkrieg unübertroffen beschrieben: „Was lag | |
in der Luft? – Zanksucht. Kriselnde Gereiztheit. Namenlose Ungeduld. Eine | |
allgemeine Neigung zu giftigem Wortwechsel, zum Wutausbruch, ja zum | |
Handgemenge. Erbitterter Streit, zügelloses Hin- und Hergeschrei … und das | |
Kennzeichnende war, daß die Nichtbeteiligten … sympathetischen Anteil daran | |
nahmen und sich dem Taumel innerlich ebenfalls überließen.“ | |
Es war der Hausphilosoph der AfD, Marc Jongen (ein Mitarbeiter Peter | |
Sloterdijks), dessen Strategie aufgegangen ist, die langjährige | |
„Unterversorgung der Republik an Zorn und Wut“ mit dem Einzug der AfD in | |
den Bundestag zu beenden. Ob es den bisherigen politischen Gegnern dieser | |
Partei gelingen wird, sich nicht anstecken zu lassen? | |
Das alles ist noch kein Anlass zum Alarmismus, wohl aber zu Achtsamkeit: | |
vor allem im Blick auf Landesparlamente, wo dieser Partei – anders als im | |
Bundestag – die eine oder andere Allianz möglich sein dürfte oder schon | |
war. Etwa in Sachsen-Anhalt, wo doch die CDU tatsächlich einem Antrag der | |
AfD zum „Linksextremismus“ zustimmte. | |
[1][ Lesen Sie mehr zur Bundestagswahl 2017 in unserem Schwerpunkt ] | |
25 Sep 2017 | |
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## AUTOREN | |
Micha Brumlik | |
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