# taz.de -- Kommentar De Maizière gegen links: Es wird langsam absurd | |
> Indymediaverbot, verschärftes Demonstrationsrecht: Der | |
> Bundesinnenminister setzt im Wahlkampf plötzlich auf den Kampf gegen | |
> Linksextremismus. | |
Bild: Der Bundesinnenminister hat sein Thema gesucht – und gefunden | |
Da hat also jemand sein Thema gefunden. Es brauche eine harte Kante gegen | |
Linksextremismus, verkündeten Bundesinnenminister Thomas de Maizière und | |
seine Unions-Kollegen aus den Ländern am Freitag. Autonome Zentren wie die | |
Rote Flora dürften nicht mehr toleriert, das Demonstrationsrecht müsse | |
nochmals verschärft werden. | |
Die Forderungen sind späte Ausläufer der G20-Randale in Hamburg. Sie sind | |
aber vor allem: Wahlkampf. Und das reichlich durchschaubar. | |
Den Auftakt hatte de Maizière schon vor einer Woche gemacht. Er ließ das | |
linke Onlineportal Indymedia verbieten, angeblich von langer Hand | |
vorbereitet – aber doch gut getimed vor der Bundestagswahl verkündet. Und | |
statt die vermeintlich aufgetriebenen Betreiber aufzufordern, | |
problematische Beiträge zu löschen, [1][wurde gleich die ganze Plattform | |
dichtgemacht]. | |
Es ist eben gerade nicht die Zeit für Zwischentöne. Und für die Union | |
scheint das Thema Linksextremismus wie gemacht. Die Hamburger Randale hatte | |
bundesweit für Empörung gesorgt. Für ein hartes Durchgreifen gegen die | |
autonome Szene können die Christdemokraten auf breiten Zuspruch hoffen, | |
auch von schwankenden AfD-Anhängern. Gleichzeitig versucht die Union SPD, | |
Grüne und Linke in die Enge zu treiben, denen sie ein ambivalentes | |
Verhältnis zu linker Militanz vorwirft. Indes: Es ist nicht ausgemacht, | |
dass die Sache nicht noch nach hinten losgeht. | |
## Sinkende Zahl von Straftaten | |
Bis Hamburg jedenfalls war das Thema auch für de Maizière kaum eines. Auch | |
er äußerte sich zum Linksextremismus, wenn überhaupt, nur am Rande. Das | |
Problem schien beherrschbar. Konspirative Radikale wie die „militante | |
gruppe“, die mit Brandanschlägen für Unruhe sorgten, wurden schon vor | |
Jahren hochgenommen. Die Zahl linker Straftaten sank im vergangenen Jahr um | |
zwei Prozent auf 9.389 Delikte, die der linken Gewalttaten gar um 20 | |
Prozent. | |
Anders auf rechtsextremer Seite, wo die Straftaten leicht auf 23.555 | |
Delikte anstiegen – auf den Höchststand seit 15 Jahren. Und | |
Präventionsprojekte gegen Linksextremismus führten ein Schattendasein. 1,3 | |
Millionen Euro gibt die Bundesregierung dafür in diesem Jahr aus – bei | |
103,2 Millionen Euro für alle anderen Präventionsmaßnahmen. | |
Nun aber gab es die G20-Krawalle. Und es ist Wahlkampf. | |
Da bekundet auch CDU-Generalsekretär Peter Tauber, die „Rote Flora“ und ein | |
Hausprojekt in der Rigaer Straße in Berlin hätten ihren | |
Existenzberechtigung verwirkt. Da bezeichnet Kanzleramtschef Peter Altmaier | |
die Hamburg-Krawalle wortgewaltig als „Terror, sonst nichts“. Und da | |
paktiert die CDU in Sachsen-Anhalt gar mit der AfD und stimmt für deren | |
Antrag auf eine Enquetekommission zum Linksextremismus. Eine, die auch den | |
Kinder- und Jugendring auf linksextreme Tendenzen untersuchen soll. Es wird | |
also langsam absurd. | |
## Kreativer Verfolgungsdruck | |
Und die Kampfansage gegen linksaußen könnte auch an anderer Stelle noch auf | |
die Union zurückfallen. Beim Thema Indymedia musste de Maizière bereits | |
etwas zurückrudern. Ob die von den Behörden präsentierten Waffen bei den | |
Razzien tatsächlich den Betreibern der Plattform zuzuordnen sind, [2][ist | |
nun doch nicht so klar]. Und auch, ob das Verbot Bestand hat, ist nicht | |
ausgemacht. | |
Eine offene Plattform, auf der erstmal jeder, der will, Beiträge schreiben | |
kann, als Verein zu verbieten, ist schon kreativ. Hier „Vereinsvorsitzende“ | |
gerichtsfest nachzuweisen, wird anspruchsvoll. Die Durchsuchten jedenfalls | |
behaupten, diese Funktion nicht inne gehabt zu haben – und [3][klagen | |
inzwischen gegen das Verbot]. Sollten sie Recht bekommen und das Verbot | |
aufgehoben werden: Es wäre eine saftige Blamage für de Maizière. | |
Auch die Räumung linker Zentren ist weit leichter gefordert, als umgesetzt. | |
In Berlin hatte das bereits der einstige CDU-Innensenator Frank Henkel | |
versucht, in besagter Rigaer Straße. Als die Polizei schließlich zu einer | |
Teilräumung ausrückte, wurde diese anschließend vom Landgericht als | |
rechtswidrig kassiert: Die Autonomen bekamen ihre Räume wieder. Und Henkel | |
war bloßgestellt. | |
## Verhältnismäßigkeit über Bord | |
Auch die am Freitag angekündigte Verschärfung des Demonstrationsrechts wird | |
auf Widerstand stoßen. Erst im Juni hatte die Große Koalition die Strafen | |
für Angriffe auf Polizisten verschärft. Mindestens drei Monate | |
Freiheitsstrafe gibt es nun, und sei es nur ein Schubser. Bekanntschaft mit | |
dem neuen Gesetz machte diese Woche ein 21-jähriger G20-Gegner, der bei den | |
Protesten zwei Flaschen auf Polizisten warf: Er wurde zu zwei Jahren und | |
sieben Monaten Haft verurteilt. Strafen die sonst etwa für schweren Raub | |
verteilt werden. Rechtsstaatliche Verhältnismäßigkeit vermittelt das nicht | |
mehr. | |
Der neue Vorschlag geht nun noch weiter: Verurteilt werden könnte nun | |
schon, wer sich nur in der Nähe von Flaschenwürfen befinden würde – ohne | |
selbst zur Tat zu schreiten. Ganze Demonstrationszüge könnten so in | |
Mithaftung für das Fehlverhalten Einzelner genommen werden. Es wäre eine | |
massive Beutelung des Versammlungsrechts. | |
Thomas de Maizière muss sich mit solchen „Details“ vorerst nicht aufhalten. | |
Er hat sein Thema gesetzt. Und schon am Montag will er weitermachen, in | |
Hohenschönhausen in Berlin. | |
In der dortigen Stasi-Gedenkstätte will er ein | |
Anti-Linksextremismus-Seminar für Schüler besuchen. Auch dieser Besuch ist | |
wohlterminiert. Dass die dortigen Seminare in der letzten Evaluation des | |
Familienministeriums denkbar schlecht abschnitten, dass ihnen eine | |
„weitreichend einseitige Materialauswahl“ und einen „unausgesprochenen | |
Totalitarismusverdacht“ gegen alle möglichen linke Strömungen vorgeworfen | |
wurden – auch an diesen Details wird sich de Maizière wohl vorerst nicht | |
stören. Es ist ja Wahlkampf. | |
1 Sep 2017 | |
## LINKS | |
[1] /Verbotsverfuegung-gegen-linksunten/!5442346 | |
[2] /Verbot-von-linksuntenindymediaorg/!5442488 | |
[3] /Gesperrte-Indymedia-Website/!5440646 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
## TAGS | |
Thomas de Maizière | |
Indymedia | |
Demonstrationsrecht | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2021 | |
taz.wahl17 | |
CDU | |
Linksextremismus | |
Indymedia | |
TV-Dokumentation | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2021 | |
Rechtsradikale | |
Indymedia | |
Indymedia | |
Indymedia | |
Gesichtserkennung | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Aussteigerprogramm für Linke: Alles in einem Topf | |
Niedersachsens GroKo will wieder Aussteigerprogramme für Linke und | |
Forschungen zu linker Militanz. Ernsthaft? Schon der Ansatz ist falsch. | |
Appell an linksunten.indymedia: Wer schreibt, der bleibt | |
Autor*innen der Plattform rufen Kolleg*innen dazu auf, Texte auf einem | |
neuen Blog zu veröffentlichen. So wollen sie das Medium wiederherstellen. | |
Skurrile TV-Doku über linke Gewalt: Mit dem Zweiten basht es sich besser | |
Passend zu de Maizières Offensive gegen Links strahlt ZDFinfo „Radikale von | |
Links – Die unterschätzte Gefahr“ aus. Es ist eine Relativierung rechter | |
Gewalt. | |
CDU-Wahlkampf gegen links: De Maizières neuer Lieblingsgegner | |
Der CDU-Bundesinnenminister nimmt an einem Schülerseminar gegen | |
Linksextremismus teil. Sein neuer Lieblingsgegner: die Autonomen. | |
Protest gegen Rechts in Wurzen: Friedlich, aber nicht in Frieden | |
Bei einer antifaschistischen Demonstration gibt es Übergriffe von | |
Rechtsradikalen auf Protestierende. Die Polizei war mit einem Großaufgebot | |
vor Ort. | |
Gesperrte Indymedia-Website: Klagen gegen „linksunten“-Verbot | |
Die angeblichen Betreiber klagen gegen das Verbot der Indymedia-Website | |
„linksunten“. Die Seite bleibt zunächst weiter unerreichbar. | |
Verbot von linksunten.indymedia.org: Waffen, Waffen, Waffen | |
Für das Linksunten-Verbot spielt es keine zentrale Rolle, ob die Betreiber | |
selbst Waffen besitzen. Für die öffentliche Wahrnehmung schon. | |
Kommentar Verbot von „linksunten“: Keine Sorge, der Feind steht links | |
Der Innenminister will die linksradikale Plattform „linksunten.indymedia“ | |
abschalten. Damit zeigt er, wo seine politischen Prioritäten liegen. | |
Gesichtserkennung an Berliner Bahnhof: Schöngemacht für de Maizière | |
Der Bundesinnenminister besucht das Südkreuz und lobt die automatische | |
Gesichtserkennung. Aktivisten fordern den Abbruch des Tests. |