# taz.de -- Grüner Innenpolitiker von Notz: „Die Große Koalition ist saubeq… | |
> Vor der Bundestagswahl spricht Konstantin von Notz, grüner Innenpolitiker | |
> aus Schleswig-Holstein, über Jamaika und Große Koalition, G20 und | |
> alternative Sicherheitspolitik | |
Bild: Steht ein für linke Sicherheitspolitik: Konstantin von Notz | |
taz: Herr von Notz, worin besteht der wesentliche Unterschied zwischen den | |
Grünen im Bund und in Schleswig-Holstein? | |
Konstantin von Notz: Ich sehe da ehrlich gesagt keinen großen Unterschied. | |
Die im Bund haben miese Umfragewerte, die in Schleswig-Holstein haben gute | |
Ergebnisse. | |
Ja, und die in Baden-Württemberg noch bessere. Man sollte da keine Gräben | |
aufmachen zwischen Bund und Land. Richtig ist aber sicherlich, dass die | |
Grünen im Bund sich die positive Grundhaltung der Grünen in | |
Schleswig-Holstein zum Vorbild nehmen könnten. Wenn man nicht schlecht über | |
andere, sondern gut über sich selbst und die eigenen Themen redet, wie wir | |
es in Schleswig-Holstein getan haben, wird das auch im Bund gut laufen. | |
Welches sollten denn die Themen sein, die das biedere Spitzenteam Katrin | |
Göring-Eckardt und Cem Özdemir verkaufen könnte? | |
Erstens sind die nicht bieder. Zweitens sind neben diesen Köpfen grüne | |
Themen die entscheidenden für die nächsten Jahre. Ganz aktuell ist die | |
Modernisierung und Ökologisierung der Mobilität. Der Dieselruß-Skandal | |
erschüttert die deutschen Autokonzerne. Die Verkehrswende hin zu einer | |
umweltverträglichen Mobilität ist ein ur-grünes Thema und sie ist zwingend | |
notwendig. | |
Was würde ein grüner Verkehrsminister tun? | |
Man muss klare Vorgaben und Regeln machen und die Dreckschleudern | |
mittelfristig aus dem Verkehr ziehen. Zugleich müssen erwünschte | |
Entwicklungen hin zu sauberen Autos gefördert werden. Da hat die jetzige | |
Bundesregierung versagt: Die Kanzlerin ist mit ihrem Ziel von einer Million | |
Elektroautos kläglich gescheitert, wie mit ihrer gesamten halbherzigen | |
Klimaschutzpolitik. Aber das ist nicht das einzige Thema… | |
Nämlich? | |
Ganz aktuell steht die Zukunft der Demokratie und die Europas auf dem | |
Spiel. Die Stichworte lauten Brexit, Polen und Ungarn, Trump, Putin und | |
Erdogan. Die Grünen als Partei der Rechtsstaatlichkeit und der Bürgerrechte | |
können auch bei diesem brennenden Thema Angebote machen. Wir brauchen ein | |
demokratisches und transparentes Europa und wir müssen uns sehr scharf mit | |
rechtsnationalen bis faschistischen Bewegungen auseinandersetzen. Die | |
wollen den liberalen Rechtsstaat und die offene Gesellschaft aufbohren. Wir | |
haben viel zu verlieren. | |
Wenn also die Grünen so tolle Leute und so tolle Themen haben, warum | |
dümpeln sie dann in Umfragen bei acht Prozent? | |
Ich teile nicht diese Verortung an Umfrageergebnissen. Diese wöchentliche | |
Temperaturmessung geht doch an der Wirklichkeit vorbei. Es sind noch sieben | |
Wochen Zeit bis zur Bundestagswahl. Bei den beiden letzten Bundestagswahlen | |
hatten wir bessere Umfragewerte als Ergebnisse, dieses Jahr kann es gut | |
genau anders herum sein. Aber natürlich müssen wir dafür noch hart | |
arbeiten, das ist klar. Entscheidend sind nicht wöchentliche Pegelstände, | |
sondern was am 24. September tatsächlich passiert. | |
Trotzdem: Wäre Robert Habeck der bessere Kandidat gewesen? | |
Also eines muss man doch mal festhalten: Wir haben basisdemokratisch | |
legitimierte Spitzenleute. Bei der SPD wurde das 2013 noch von drei Männern | |
ausgekungelt, dieses Mal hat Gabriel es mit sich allein ausgemacht – von | |
der Union mal ganz zu schweigen. | |
Aber Sie haben Recht: Robert wäre ganz sicher ein sehr guter Kandidat | |
gewesen, deshalb hat er beim Mitgliederentscheid auch ein so tolles | |
Ergebnis bekommen. Aber die knappe Mehrheit hat sich für Cem entschieden, | |
das ist zu respektieren. Deshalb ist diese Kandidatenfrage jetzt müßig. Und | |
außerdem war Robert bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein im Mai neben | |
Monika Heinold unser großes Zugpferd. Für die Grünen im Land und für | |
Schleswig-Holstein ist es gut, dass es hier weiterhin Minister ist. | |
Und auch für Sie persönlich. Hätte Robert Habeck die Urwahl gewonnen, hätte | |
er Ihnen einen sicheren Listenplatz weggenommen. Wie ist aktuell das | |
Verhältnis zwischen Ihnen beiden? | |
Unser Verhältnis ist gut. Wir haben es geschafft, mit dieser schwierigen | |
Situation, die einige Medien als Dilemma von Shakespearschen Dimensionen | |
beschrieben haben, so fair umzugehen, dass wir immer noch gute Freunde | |
sind. Da ist nichts in die Brüche gegangen. Hätte Robert die Urwahl | |
gewonnen, hätte ich zurückgezogen. Auch damit hätte ich leben können. Jetzt | |
aber kämpfen wir beide gemeinsam für den grünen Erfolg bei der | |
Bundestagswahl. | |
In Schleswig-Holstein wollten die Grünen die Küstenkoalition mit SPD und | |
SSW fortsetzen und landeten mit CDU und FDP in Jamaika. Droht | |
Schwarz-Gelb-Grün auch im Bund? | |
Das halte ich für sehr unwahrscheinlich. Im Bund müssten die Grünen sich | |
dann in einer Vierer-Konstellation bewegen, die CSU wäre ja auch mit dabei. | |
Und mit der wäre es weitaus schwieriger als mit CDU oder FDP, verlässlich | |
zu regieren. | |
Aber bekanntlich entscheiden ja die WählerInnen über mögliche Koalitionen. | |
Rein rechnerisch dürfte es nur drei Möglichkeiten geben: Die Fortsetzung | |
der Großen Koalition aus CDU und SPD, Jamaika oder eventuell reicht es ganz | |
knapp für Schwarz-Gelb. | |
Ich bin sicher, dass es nach der Wahl eine große Dynamik geben wird, die | |
Große Koalition fortzusetzen. Es ist einfach saubequem für die Agierenden, | |
im Parlament nicht für Mehrheiten kämpfen zu müssen. Wenn Angela Merkel, | |
Horst Seehofer und künftig dann wohl Martin Schulz zusammen mit den | |
Fraktionschefs hinter verschlossenen Türen im Kanzleramt Beschlüsse fassen, | |
die die gigantische Parlamentsmehrheit dann einfach nur noch umsetzt, ist | |
das eben höchst bequem. | |
Umso mehr müsste es dann doch im Interesse der Grünen sein, fast schon | |
staatsbürgerliche Pflicht, der CDU Angebote zu machen, die sie nicht | |
ausschlagen kann? | |
So würde ich es nicht formulieren. Wir werden nicht in Opportunismus | |
verfallen, um die erneute Groko zu verhindern. Es muss um glasklare Inhalte | |
gehen. Der Weg nach Jamaika ist im Bund sehr viel weiter als in | |
Schleswig-Holstein, auch weil er über München führt. Die Union müsste sich | |
sehr stark bewegen. | |
Welcher potenzielle Koalitionspartner würde Sie persönlich mehr schrecken: | |
CSU oder Linke? | |
Es gibt ein Gleichgewicht des Schreckens. In meinen Ressorts in der | |
Innenpolitik ist die CSU maximal schwierig, hingegen kann ich mit den | |
Fachpolitikern der Linken sehr gut zusammenarbeiten. Aber natürlich gibt es | |
bei den Linken auch eine ganze Reihe von Leuten, mit denen eine | |
Zusammenarbeit in der Europa- und Außenpolitik schwierig bis unmöglich ist. | |
Sarah Wagenknecht? | |
Ja. Frau Wagenknecht hat viel dafür getan, dass Rot-Rot-Grün keine | |
ernsthafte Option ist. Ich persönlich bedauere, dass manche Leute sich im | |
Destruktiven gefallen. | |
Herr von Notz, Sie sind einer der profiliertesten deutschen Innen- und | |
Justizpolitiker. Was sind für Sie persönlich die politischen Schwerpunkte | |
im Wahlkampf und in der nächsten Legislatur? | |
Wir müssen zu einer effektiven Sicherheitspolitik kommen, die nicht der | |
repressiven Logik dieser Großen Koalition entspricht. Wir müssen weg von | |
Totalüberwachung und Massenspeicherungen gigantischer Datenmengen, sondern | |
Kriminelle und politische Gewalttäter gezielt bekämpfen. | |
Die Integrationspolitik muss dringend verbessert und intensiviert werden, | |
vor allem durch mehr, frühere und bessere Sprachkurse. | |
Und wir brauchen eine grundsätzliche Reform beim Verfassungsschutz. Diese | |
Struktur mit dem Bundesamt und den 16 Landesämtern, die noch aus dem Denken | |
des Kalten Kriegs stammt, muss modernisiert werden. Im Terrorabwehrzentrum | |
sitzen 42 Behörden beieinander, die fast alle V-Leute beschäftigen, die | |
sich wahrscheinlich auch gegenseitig bespitzeln – so geht das nicht. Es | |
gibt in der Innenpolitik viele Baustellen, die wir anpacken müssen, um die | |
Sicherheit für die Bürger zu erhöhen, ohne die Bürgerrechte anzutasten. Da | |
müssen wir ran. | |
Was würde denn ein grüner Innenminister anders machen? | |
Er müsste natürlich auch für Sicherheit sorgen. Aber nach Otto Schily und | |
Thomas de Maiziére müsste er eine andere, neue Erzählung haben. Der | |
Innenminister ist auch Verfassungsminister – das ist in den vergangenen 16 | |
Jahren, freundlich gesagt, etwas kurz gekommen. | |
Zuletzt haben die Ereignisse um den G20-Gipfel in Hamburg gezeigt: | |
Natürlich muss staatliche Gewalt – auch die Arbeit der Polizei und anderer | |
Sicherheitskräfte – immer hinterfragt, aufgearbeitet und wirksam | |
kontrolliert werden müssen. Aber wir brauchen eben auch moderne und bessere | |
Einsatzkonzepte. Denn ein funktionierender Rechtsstaat ist ohne eine gut | |
ausgebildete und gut ausgerüstete Polizei nicht möglich. Diese | |
Modernisierung wäre eine klassische grüne Aufgabe. | |
Hätte es denn unter einem grünen Bundesinnenminister ein Polizeikonzept wie | |
in Hamburg beim G20-Gipfel gegeben? | |
Da wird sicher noch Einiges aufzuarbeiten sein. Deshalb jetzt nur soviel: | |
Ich glaube nicht, dass eine Einsatzstrategie, die nicht auf Deeskalation | |
setzt, noch zeitgemäß ist. Und man sollte sich bei Großveranstaltungen | |
nicht überraschen lassen – das gilt für die Love Parade in Duisburg, die | |
Silvesternacht von Köln und eben auch den G20-Gipfel von Hamburg. Daraus | |
sollte man für die nächsten Großveranstaltungen in Deutschland Lehren | |
ziehen. | |
Zum Schluss zurück nach Schleswig-Holstein: Ein brisantes Thema ist die | |
Fehmarnbelt-Querung. Die Grünen haben dieses Projekt im Jamaika-Vertrag | |
akzeptiert, Sie persönlich lehnen es weiterhin ab. Eine Zerreißprobe | |
zwischen der Partei daheim und ihrem Mann in Berlin? | |
Nein. Die Argumente gegen die Fehmarnbelt-Querung sind durch einen | |
Koalitionsvertrag nicht weg. Wir haben CDU und FDP nicht davon überzeugen | |
können, dass es sich um ein sinnloses und nicht bezahlbares Projekt | |
handelt. Letztlich liegt es ebenso wie die A20 in der Verantwortung des | |
Bundes, das Land kann da kaum etwas selbständig entscheiden. Deshalb ist in | |
diesem Fall das Papier des Koalitionsvertrags geduldig. | |
Wird der Tunnel gebaut oder nicht? | |
Das ist vollkommen offen. Die Investoren müssen nach Ablauf der | |
Widerspruchsverfahren entscheiden, ob es sich lohnt und zeitgemäß ist, zehn | |
Milliarden Euro im Fehmarnbelt zu vergraben. | |
6 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Sven-Michael Veit | |
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