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# taz.de -- Martin Schulz bei Berliner Leserkonferenz: Eine ehrliche Haut
> Auf der Konferenz schwingt eines mit: Schulz wird wohl nicht Kanzler.
> Dass er hier Rede und Antwort steht, kann man fast „tapfer“ nennen.
Bild: „Ich habe ein paar Überzeugungen. Auch wenn ich nicht gewinne“
„Das ist kein Interview, das ist keine Pressekonferenz“, sagt Wolfgang
Büchner. „Das ist die Bundesleserkonferenz.“ Der Chefredakteur des
„RedaktionsNetzwerk Deutschland“ begrüßt LeserInnen seiner Zeitungsgruppe,
die am Montagabend nach Berlin gekommen sind: 180 Menschen, die im Saal der
Bundespressekonferenz die Leserkonferenz erleben möchten. Stargast heute
auf dem Podium: SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz.
Man hatte sich ja zuletzt schon gewundert, wo er steckt, der Kandidat.
Mitten im Wahlkampf war es so still um ihn gewesen, dass man sich fragte,
ob ihn aus Versehen jemand in der Tiefgarage des Willy-Brandt-Hauses
eingeschlossen habe oder so. Aber da kommt er ja, der Martin. Und er macht
einen ausgesprochen munteren Eindruck.
Hinten links im Saal sitzen Annakatrin und Hannes G. aus Rostock.
Großmutter und Enkelsohn sind Leser der Ostsee-Zeitung und heute auf
Verlagskosten nach Berlin gereist, zur Bundesleserkonferenz. Frau G., 76
Jahre alt und früher Russisch- und Englischlehrerin, schaut ein bisschen
ratlos auf die Frage, warum es für die Sozialdemokraten und deren
Kandidaten so schlecht läuft. „Im Prinzip“, sagt Frau G., sei sie
SPD-Wählerin. Aber Schulz – sie seufzt hörbar und sagt schließlich: „Ich
weiß ja auch nicht“. Enkel Hannes, 18, ergänzt: „Anfangs hat man sich
soviel Hoffnung gemacht.“
Mit diesem Satz fasst Hannes G. recht gut zusammen, wie es auch dem
Kandidaten ums Gemüt sein mag. Die schlechten Landtagswahlergebnisse dieses
Jahres, sagt Martin Schulz auf eine entsprechende Frage aus dem Publikum,
„drücken auf die Stimmung“. Mittlerweile wisse auch der letzte im Land:
„Ich kann nicht über Wasser laufen.“
## Auf jeden Fall bleibt er SPD-Vorsitzender
Mit einem Sieg, und damit einem Politikwechsel, rechnet Schulz scheinbar
selbst nicht mehr. Ohne seinen Anspruch auf das Amt des Bundeslanzlers zu
betonen, beantwortet er die Frage eines Lesers nach seinen Plänen für die
Zeit nach dem 24. September. Wird er auf jeden Fall sein Bundestagsmandat
annehmen? „Ja klar“, sagt Martin Schulz, „zunächst einmal bewerbe ich mi…
um ein Mandat im Deutschen Parlament. Es wäre doch unlogisch, dieses Mandat
nicht anzunehmen.“ Auf jeden Fall bleibe er Vorsitzender der SPD.
„Zumindest bis Anfang Dezember“. Dann beabsichtige er, sich als Parteichef
der Wiederwahl zu stellen.
Schulz greift routiniert in seinen Textbausteinkasten und tut, was auch
Angela Merkel gern tut: sedieren und emotionalisieren. „Unser Land kann
mehr“, sagt Martin Schulz. Was genau, bleibt erst einmal im Vagen. Immerhin
hackt er nicht wie sein Kandidatenvorgänger von 2013 wahllos auf die Union
ein. Das Land, in dem seine Wähler leben, schlechtzureden – darin hatte es
Peer Steinbrück im Jahr 2013 zu einer gewissen Meisterschaft gebracht.
Weiter geht es in Berlin durch den von der Leserschaft abgesteckten
Themen-Parcours. Diesel-Krise, Mieten, Renten, Gesundheitspolitik,
Bedingungsloses Grundeinkommen – auf alles gibt der freundliche Herr Schulz
Antworten. Beim Thema Altersarmut streichelt Frau G. aufmunternd den
Oberarm ihres Enkels.
Es ist ein bisschen, als wohne man einer Generalprobe der zweiten Besetzung
bei, weil die Hauptdarstellerin keine Zeit hat. Der Darsteller weiß es, das
Publikum weiß es. Aber nun ist die Vorstellung schon mal angesetzt, da
bleibt man auch sitzen.
## Von 33 auf 25 Prozent abgesackt
So war das nicht geplant, als Martin Schulz Anfang des Jahres den ewigen
Sigmar Gabriel als Parteivorsitzender und Kanzlerkandidat ablöste.
Chaotische Kommunikation in der Parteizentrale, Absenz des
Spitzenkandidaten im NRW-Landtagswahlkampf, drei verlorene Wahlen –
mittlerweile ist Schulz von 33 auf 25 Prozent abgesackt. Wie sagte Frau G.
eingangs? „Ich weiß ja auch nicht.“
[1][Erst beim Thema Flüchtlinge] kommt wieder Schwung in die Bude. „Was,
wenn noch einmal eine Million Flüchtlinge auf Deutschland zukämen?“ fragt
eine Frau. Diese Leistung aus dem Jahr 2015 werde ja immer „von einer
Person reklamiert“, sagt Martin Schulz, ohne Merkels Namen zu nenne. „Aber
das war eine Gesamtleistung des deutschen Volkes“, streichelt er die
Bürgerseele. Gleichwohl sei die europäische Flüchtlingspolitik „ein
Desaster“. Sagt's und zeigt auf das „Nettoempfängerland“ Polen und auf
seinen ungarischen Intimfeind Viktor Orban. Er habe, sagt der
Europapolitiker Martin Schulz nun, „ein paar Überzeugungen, für die ich
eintrete. Auch wenn ich die Bundestagswahl nicht gewinne.“
Angenehm, dass Martin Schulz eine ehrliche Haut ist. Aber ist das klug?
Dieser Satz kommt einer Bankrotterklärung gleich. Nach einer Stunde fällt
gnädig der Vorhang. Annakatrin und Hannes G., Schulz' Zuhörer aus Rostock,
sind jetzt möglicherweise schlauer.
8 Aug 2017
## LINKS
[1] /Pro--Contra-Martin-Schulz-Wahlkampf/!5429041
## AUTOREN
Anja Maier
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