Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Merkel über die Ehe für alle: Ohne Fraktionszwang entscheiden
> Die Kanzlerin kann sich nun doch eine Abstimmung über die Ehe für alle
> vorstellen – als „Gewissensentscheidung“. Das gab es bisher nur bei
> ethischen Fragen.
Bild: Wenn der Staat entscheide, dass Kinder in einer gleichgeschlechtlichen Be…
Berlin taz | Als eine Art Kanzlerduell im Zustand gegnerischer Absenz darf
man sich das Format „Brigitte live“ vorstellen. Vor zwei Wochen war Martin
Schulz zum Gespräch auf offener Bühne ins Maxim-Gorki-Theater gekommen. Er
erzählte unter anderem von der großen Liebe zu seiner Frau; das Publikum
war hingerissen. Würde Angela Merkel nun also von Joachim Sauer schwärmen?
Nun, auf ihre spezielle Merkelsche Art tut sie das. Aber ihr seltsames
Kompliment für ihren Ehemann – der könne deutlich besser als sie den Witz
eines Cartoons entschlüsseln – ist nicht das, was bleiben wird von diesem
Abend. Sondern Merkels Einlassungen zur Ehe für alle.
Seit Wochen positionieren sich die Parteien zu diesem Thema. SPD, Grüne und
FDP haben die Ehe für alle zur Bedingung für eine wie auch immer geartete
Regierungskoalition erklärt. Nur die Union hat bislang stillgeschwiegen.
Nun, in der stickigen Luft des Maxim-Gorki-Theaters, fragt ein Mann aus dem
Publikum seine Kanzlerin („Ich bin ein großer Fan von Ihnen“), wann er denn
seinen Freund endlich seinen Ehemann nennen dürfe.
Merkel kreist das Thema erst einmal umständlich ein. Mehrere rhetorische
Runden dreht sie, bevor sie zum Kern der Sache vordringt, die Formulierung
„Ehe für alle“, das Wort „Homoehe“ gar kommen ihr nicht über die Lipp…
Man spürt in diesem Moment sehr deutlich jenen konservativen Kern, der
dieser Politikerin schon oft abgesprochen worden ist. Merkel mag in der
Mitte Themen wie Frauenquote, Klimapolitik oder Mindestlohn für sich
reklamieren. Die Ehe aber, der bürgerliche Familienbegriff, ist für sie wie
für viele in der christlich geprägten Union nochmal eine ganz andere
Baustelle.
Sie habe zur Kenntnis genommen, sagt sie nun, was die anderen Parteien zum
Thema gesagt hätten. Sie sei „ein bisschen bekümmert, dass das Gegenstand
von plakativen Beschlüssen ist“. Sie glaube nämlich, dass es sich hier um
etwas sehr Individuelles handelt. „Das andere“ sei eine genau so wertvolle
Partnerschaft, nach ihrem Eindruck leben „diese Paare“ die gleichen Werte.
In ihrem Wahlkreis kenne sie ein lesbisches Paar, das acht Pflegekinder
habe. Sie sei leider noch nicht dort gewesen; aber wenn der Staat
entscheide, dass Kinder in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung
aufwachsen, „muss ich das positiv zur Kenntnis nehmen“.
## „Eher in Richtung einer Gewissensentscheidung“
Und dann spuckt sie es endlich aus: Sie wünsche sich bei dem Thema eine
Diskussion, sagt Angela Merkel, die „eher in Richtung einer
Gewissensentscheidung geht“. Im Klartext: die ParlamentarierInnen sollen
ohne Fraktionszwang über die Ehe für alle entscheiden. Derlei gab es
bislang nur bei ethischen Entscheidungen, in Fragen, die gesellschaftlich
breit und leidenschaftlich diskutiert werden. Etwa bei der
Präimplantationsdiagnostik, beim Thema Sterbehilfe oder bei der
Bonn-Berlin-Entscheidung 1991.
Diese Debatten, frei von Fraktionsräson, gelten als Sternstunden des
Parlamentarismus. Auch der Tag, an dem die Ehe für alle vom Bundestag
beschlossen würde – ein solches Gesetz hätte sicher eine Mehrheit –, kön…
solch ein magischer Moment werden.
Kaum sind die ersten Tweets aus dem Berliner Gorki-Theater abgesetzt
(„Merkel wünscht sich Gewissensentscheidung zur [1][#Ehefueralle]“), tönt
es von der Gegengeraden zurück. Schon habe Merkel wieder mal im Vorbeigehen
eine Forderung ihrer politischen Herausforderer abgeräumt, wird gemeckert.
Aber die Freude überwiegt bei weitem. Und der Aktionismus.
„Auf geht’s!“ [2][twittert der gleichstellungspolitische Sprecher der
SPD-Fraktion Sönke Rix]. „Merkel will erst in nächster Wahlperiode frei
über die Ehe für alle entscheiden? Warum? Wir können diese Woche
abstimmen.“ Der aus dem Bundestag ausscheidende Grünen-Politiker [3][Volker
Beck appelliert]: „Liebe Frau Merkel, geben Sie die Abstimmung frei und
lassen Sie uns noch diese Woche abstimmen. Lassen Sie die Bevölkerung nicht
länger warten und ersparen Sie uns allen einen erneuten Wahlkampf zu dem
Thema.“ Auch der CDU-Abgeordnete [4][Stefan Kaufmann ist für eine rasche
Gewissensentscheidung]. Er twittert: „Danke, Frau Merkel! Wie befreiend!
Von mir aus könnten wir gerne noch diese Woche abstimmen!“
Auch die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine
Lüders, meint: „Lesben und Schwule sollten jetzt nicht wieder monatelang
warten müssen“. 83 Prozent der Deutschen seien nach einer repräsentativen
Umfrage der Antidiskriminierungsstelle eh für die Ehe für alle.
Der Druck auf Merkels Union, schnell abstimmen zu lassen, wächst also
dramatisch. Es ist aber nicht zu erwarten, dass die Regierungspartei dem
Koalitionspartner und der Opposition diesen Gefallen tun wird. Die
Aussicht, die Ehe für alle in Aussicht stellen zu können, soll und wird der
Union viele Stimmen im Wahlkampf bringen. Und der beginnt für CDU und CSU
erst am Montag, wenn der Sitzungsbetrieb zu Ende ist. Dann werden Horst
Seehofer und Angela Merkel ihr „Regierungsprogramm“ vorstellen.
Im Berliner Maxim-Gorki-Theater stehen nach dem Ende der
Merkel-Veranstaltung die Leute beisammen. Haben sie richtig gehört, Merkel
ist jetzt auch für die Homoehe? Ja, haben sie. An diesem Sommerabend gehen
all die anderen besprochenen Themen irgendwie unter. Dabei gab es so
interessante. Zum Beispiel, warum Donald Trump Merkel nicht die Hand geben
wollte. Oder dass sie Martin Schulz seinen „Angriff auf die
Demokratie“-Vorwurf nicht nachträgt („Schwamm drüber“). Und dass sie auf
„friedliche Proteste“ beim G20-Gipfel in Hamburg hofft. Die deutsche
Öffentlichkeit, sie kommt eben erst in Wallung, wenn es um das Privateste
geht.
27 Jun 2017
## LINKS
[1] https://twitter.com/search?q=%23EhefuerAlle&src=tyah
[2] https://twitter.com/SoenkeRix/status/879452119895609344
[3] http://www.volkerbeck.de/2017/06/27/merkel-will-gewissensentscheidung-zur-e…
[4] https://twitter.com/StefanKaufmann/status/879434811961741313
## AUTOREN
Anja Maier
## TAGS
Ehe für alle
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Schwerpunkt Angela Merkel
Maxim Gorki Theater
Gleichgeschlechtliche Ehe
Homo-Ehe
Ehe für alle
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Ehe für alle
Ehe für alle
Ehe für alle
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Ehe für alle
FDP
Ehe für alle
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Bundestag
## ARTIKEL ZUM THEMA
Debatte Parlamentarismus: Wider den Fraktionszwang
Abgeordnete müssen gelegentlich gegen die eigenen Überzeugungen stimmen.
Dabei täte weniger Druck der Demokratie gut.
Debatte Machtpolitik der Kanzlerin: Merkelt euch eins!
Im Wahlkampf wirkt Angela Merkel unpolitisch – und unverwundbar, trotz
aller Kritikpunkte. Wie kann sie sich das alles leisten?
Faktencheck zur Öffnung der Ehe: Ehe für alle statt Ehe light
Gleichgeschlechtliche Beziehungen sollen heterosexuellen gleichgestellt
werden. Jetzt auch mit dem Recht, gemeinsam Kinder zu adoptieren.
Abstimmung im Bundestag am Freitag: Auf zur Blitz-Hochzeit
Nach jahrelangem Gezerre um die Ehe für alle geht es jetzt ganz schnell.
Schon am Freitag soll das Parlament entscheiden. Ein Affront gegen die
Union.
Kommentar SPD und Ehe für alle: Lob des Wahlkampfmanövers
Alles nur Wahlkampf, der Streit um die Ehe für alle? Vielleicht. Doch ganz
nebenbei hat die SPD so ein längst überfälliges Gesetz verwirklicht.
Wahlkampfthema Ehe: Scheidung für alle
Huch, die SPD zeigt plötzlich Mut: Wie es Schulz gelingt, Merkel zu
düpieren und dem Fortschritt der Gesellschaft zu dienen.
Kommentar Merkel und die Ehe für alle: Das Kämpfen hat sich gelohnt
Die Kanzlerin sagt, sie würde die Abstimmung im Parlament gerne freigeben.
Das bedeutet im Klartext: Die Ehe für alle kommt.
„Ehe für alle“ als Wahlkampfthema: FDP will, was alle wollen
Die FDP macht die „Ehe für alle“ zur Bedingung für eine mögliche Koaliti…
nach der Bundestagswahl. Das ist kein Alleinstellungsmerkmal.
Jamaika will dafür stimmen: Schleswig-Holstein will Ehe für alle
Die CDU-geführte Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein will die Ehe auch
für gleichgeschlechtliche Paare öffnen und im Bundesrat für die Ehe für
alle stimmen
Kommentar Verlorene Ehe-für-alle-Klage: Grünes Showjammern
Die Klage der Grünen ist gescheitert – der Bundestag muss nicht über die
„Ehe für alle“ abstimmen. Geholfen hat es der Partei dennoch.
Bundestagsabstimmung zur Ehe für alle: Grüne Anträge erfolglos
Im Bundestag gibt es vorerst keine Abstimmung über die Einführung der Ehe
für alle. Das Bundesverfassungsgericht hat Eilanträge der Grünen
abgewiesen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.