# taz.de -- Finanzen der Entwicklungsländer: Und nun fleißig Steuern eintreib… | |
> Entwicklungsländern entgehen Milliarden, weil multinationale Konzerne | |
> sich der Besteuerung entziehen. Die G20 könnte das ändern. | |
Bild: Um Steuern zu vermeiden, verkaufen Unternehmen Bananen über Unterfirmen … | |
BERLIN taz | Eigenanstrengung ist ein fieses Wort. Es braucht keine | |
blühende Fantasie, um dabei auch das Wörtchen „bequem“ mitschwingen zu | |
hören. Mehr Entwicklungshilfe sei richtig und wichtig, hatte | |
Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) einst erklärt. Sie sei „aber | |
kein Ersatz für Eigenanstrengungen und Investitionen, sondern eine | |
Ergänzung.“ | |
Das war 2015, als sich die UNO auf einem Gipfel im äthiopischen Addis Abeba | |
die Frage stellte: Wie soll die Entwicklung der ärmeren Länder finanziert | |
werden, wie können sich die Staaten und ihre Bürger aus der Armut befreien? | |
Antwort: Dafür müssten nicht zuletzt mehr Steuern in ihre Kassen fließen. | |
Die „Mobilisierung von Eigeneinnahmen“, wie es im Bürokraten-Slang heißt, | |
war keine neue Idee. Aber nun, im Lichte der im selben Jahr beschlossenen | |
nachhaltigen Entwicklungsziele, musste mehr Geld her, viel mehr Geld. | |
Eigenanstrengung also sollte es sein – und das ist auch in diesem Jahr | |
wieder ein Fokus bei den Mitgliedern der G20: Die Finanzminister der Gruppe | |
haben sich in diesem Jahr abermals nach ihrem Treffen zu den Prinzipien der | |
sogenannten Addis Tax Initiative bekannt. Das ist eine Aktion, mit der | |
Länder wie Deutschland, Großbritannien und Institutionen wie der | |
Internationale Währungsfonds IWF Entwicklungsländern Hilfe beim Aufbau | |
ihrer Steuersysteme geben wollten. | |
## Fatal, Steuereinnahmen zu missachten | |
Tatsächlich treffen die Minister damit einen wunden Punkt: Die | |
Steuereinnahmen vieler Entwicklungsländer sind sehr niedrig. Mancherorts | |
ist offensichtlich, woran das liegt, etwa beim Krisenstaat Somalia, in dem | |
die staatlichen Institutionen kaum funktionieren. In Brüssel erklärte | |
IWF-Chefin Christine Lagarde aber kürzlich, die Steuern machten weniger als | |
zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts Somalias aus. Im Kongo liegt der | |
Anteil bei 6 Prozent, in Afghanistan und Myanmar sind es 7 bis 8 Prozent. | |
Zum Vergleich: In Deutschland waren es 2015 rund 37 Prozent, in Dänemark | |
rund 47 Prozent. | |
Nur weil ein Staat eine niedrige Steuerquote hat, muss er nicht arm oder | |
rückständig sein: Immerhin liegen die USA mit nur rund 26 Prozent | |
Steuereinnahmen am Bruttoinlandsprodukt BIP auch deutlich unter dem Schnitt | |
der OECD-Industriestaaten. | |
Angesichts der Ebbe in den Kassen vieler Entwicklungsländer wäre es jedoch | |
fatal, die Steuereinnahmen nicht im Blick zu haben. Der IWF empfiehlt | |
diesen Staaten, zumindest 15 Prozent des BIP anzustreben. | |
## Viele Jobs laufen unter dem Radar der Finanzverwaltung | |
Für Entwicklungsländer sind Steuern eine mehr oder weniger stabile | |
Finanzquelle – anders als Gelder, die als Hilfszahlungen hereinkommen und | |
womöglich sinken, weil sich die Europäer in einer Eurokrise befinden oder | |
weil US-Präsident Donald Trump ausgerechnet an der Entwicklungshilfe sparen | |
will. | |
Nun könnten die Staaten theoretisch erst mal bei den Bürgern im eigenen | |
Land anfangen. Dort verspricht sich etwa der IWF-Experte Sanjeev Gupta den | |
größten Gewinn. „Das wichtigste Thema, auf das sich die Länder mehr | |
konzentrieren sollten, sind die inländischen Steuern“, sagt der Forscher, | |
der beim IWF die Abteilung Fiskalpolitik leitet. Mehrwertsteuer, | |
Einkommensteuer, Grundsteuer – „die müssen sie in Ordnung bringen“, beto… | |
Gupta. „Denn dort liegt das Potenzial, mehr Mittel aufzubringen.“ | |
Praktisch stoßen die Staaten hier aber sehr schnell auf Hindernisse, etwa | |
bei den Einkommensteuern: In den meisten ärmeren Ländern gibt es einen | |
riesigen informellen Sektor mit vielen Jobs, die unter dem Radar der | |
Finanzverwaltungen laufen: dazu zählen die Marktleute, Schuhputzer oder | |
Scheibenreiniger, die ihren Service an Ampeln anbieten. | |
## Die Mehrwertsteuer trifft die Armen | |
Die internationale Arbeitsorganisation ILO schätzt, dass die Hälfte bis zu | |
drei Viertel aller außerhalb der Landwirtschaft Beschäftigten im | |
informellen Sektor arbeiten. „Wenn man Steuern von den Leuten einsammelt, | |
die im formellen Sektor angestellt sind, dann ist es eine sehr niedrige | |
Spanne, ein sehr niedriger Prozentsatz“, sagt Steuerspezialistin Luckystar | |
Myandazi vom European Centre for Development Policy Management (ECDPM). | |
Auch deshalb griffen die Staaten meist darauf zurück, eine zusätzliche | |
Mehrwertsteuer zu erheben, die unkompliziert einzutreiben sei, sagt sie. | |
Wenn die Mehrwertsteuer wie etwa in ihrem Heimatland Kenia auf einmal von | |
12 auf 16 Prozent steige, mache sich das sofort bemerkbar. | |
Allerdings sei „das Problem mit der Mehrwertsteuer, dass es eine Steuer auf | |
sehr einfache Güter und Dienstleistung ist“. Dinge wie Brot oder Milch | |
brauche zwar jeder, aber für die Ärmsten der Bevölkerung, die Frauen und | |
Kinder, sei es besonders schwierig, wenn die Preise steigen, sagt die | |
Steuerspezialistin Myandazi. „Deshalb wird die Mehrwertsteuer meist als | |
nicht sehr fortschrittliche Form der Besteuerung angesehen.“ | |
## Multinationale Konzerne umgehen Steuern | |
Wo also noch anpacken? „Alle Steuern sind wichtig“, sagt Tom Cardamone, der | |
Geschäftsführer von Global Financial Integrity (GFI). Aber die | |
Unternehmensteuer hätte womöglich einen größeren Anteil am Steueraufkommen | |
– sofern das Geld auch wirklich in den Entwicklungsländern ankäme. | |
Wie viel den Entwicklungsländern Jahr für Jahr entgeht, erhebt Cardamones | |
gemeinnützige Organisation GFI immer wieder in ihren Studien. Die jüngsten | |
Zahlen gehen davon aus, dass im Jahr 2014 abermals zwischen 620 Milliarden | |
und knapp 1 Billion US-Dollar aus Entwicklungsländern weltweit abgeflossen | |
sein dürften. Diese Schätzung umfasst illegale Finanzströme wie etwa | |
Geldwäsche, aber eben auch Steuerhinterziehung. Zum Vergleich: Die gesamten | |
OECD-Mitglieder machten im Jahr 2014 zusammen nur rund 135 Milliarden | |
US-Dollar für die Entwicklungshilfe locker. | |
Diese Schieflage ist offensichtlich: „Wir denken, dass die meisten | |
multinationalen Konzerne in Entwicklungsländern nicht die Menge an Steuern | |
zahlen, die sie in diesen Ländern abgeben sollten“, sagt Luckystar | |
Miyandazi. „Das Geld wird also durch illegale Finanzströme entnommen, durch | |
Steuerhinterziehung oder -vermeidung.“ | |
## Zwischenhandel im Steuerparadies | |
Dabei gibt es die unterschiedlichsten Tricks, bei denen Unternehmen meist | |
Rechtslücken ausnutzen und Gewinne so innerhalb des Unternehmens | |
verschieben, dass kaum Steuern fällig werden. | |
Ein Beispiel: Eine Firma hat drei Tochterunternehmen, A, B und C. | |
Unternehmen A sitzt in Angola und verkauft Bananen zu einem irrwitzig | |
niedrigen Preis an Firma B, die zufälligerweise in der Steueroase Bahamas | |
sitzt. B verkauft die Bananen weiter zu einem sehr hohen Preis an | |
Firmentochter C in den USA. So zahlt A nur sehr niedrige Steuern in Afrika, | |
schließlich macht sie mit den Bananen nur wenig Gewinn. B in den Bahamas | |
hat billig gekauft, teuer verkauft und somit Riesenprofit gemacht, der aber | |
im Steuerparadies nur niedrig oder gar nicht versteuert wird. C in den USA | |
wiederum hat die Bananen fast so teuer gekauft wie sie wiederum an den | |
Kunden verkauft werden – schon wieder verbuchen sie kaum Gewinn und zahlen | |
deshalb kaum Steuern. | |
## Afrika braucht die G20 | |
Nach den Steuerskandalen bei Apple und Starbucks dürfte eigentlich jedem | |
klar sein, dass Konzerne auch in den Industrieländern viel Energie darauf | |
verwenden, möglichst wenig Geld an den Fiskus abzudrücken. Aber: Die | |
ärmeren Staaten trifft das viel härter, betonen NGOs wie das Tax Justice | |
Network, denn alternative Einkommensquellen sind oft rar. Das Geld fehlt | |
bei ganz wesentlichen Leistungen wie der Gesundheitsversorgung oder in | |
Schulen. | |
Deswegen fordern Entwicklungsorganisationen von den G20, endlich für mehr | |
Steuergerechtigkeit auf internationaler Ebene zu sorgen. Das erhofft sich | |
etwa Oxfam-Direktorin Winnie Byanyima: Afrika selbst, das Deutschland in | |
seiner G20-Präsidentschaft besonders in den Fokus genommen hat, könne für | |
eine Reform des globalen Steuersystems eintreten – aber es brauche dabei | |
die Unterstützung der G20. | |
## Deutschland fordert automatischen Datenaustausch | |
Steuern sind eigentlich traditionell ein Riesenthema für die G20. | |
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hatte sich in den vergangenen Jahren | |
dabei sogar manches Mal hervorgetan. Ein von ihm mitinitiiertes Vorhaben | |
gipfelte sogar in einem G20-Aktionsprogramm unter der Abkürzung BEPS, das | |
sich Gewinnverlagerung und Steuersparmodellen globaler Konzerne widmet. | |
Tom Cardamone von Global Financial Integrity wertet die Arbeit der G20 der | |
letzten Jahre im Bereich Steuern auch deshalb als „gewaltigen | |
Fortschritt“. | |
Jedoch: Beim Finanzministertreffen in Baden-Baden waren die Steuern in den | |
Hintergrund gerückt, weil sich nun alles um den Streit mit den USA über ein | |
Bekenntnis zum Freihandel drehte. Die Politiker versprachen zwar in einer | |
Abschlusserklärung, sie wollten sich weiter für ein faires, globales und | |
modernes Finanzsystem einsetzen. Deutschland hat sich in diesem | |
Zusammenhang dem Aktionsprogramm verschrieben, das etwa einen automatischen | |
Datenaustausch fordert. | |
## Das sollen die Bürger keinesfalls wissen | |
Gleichzeitig wendet sich Schäuble aber gegen die Forderung, dass | |
Unternehmen veröffentlichen müssen, wo sie welche Gewinne machen und wo sie | |
welche Steuern zahlen. Der Minister will, dass solche Aufschlüsselungen nur | |
die Finanzbehörden sehen können, auf keinen Fall aber auch die Bürger. | |
Einen Vorschlag der EU-Kommission für mehr Steuertransparenz hat der | |
Deutsche deshalb im vergangenen Jahr verrissen, er sprach von | |
„Prangerwirkung“. | |
Anfang Juni haben fast 70 Länder eine Vereinbarung gegen | |
Steuerschlupflöcher unterschrieben. Konkret ging es um die | |
Doppelbesteuerungsabkommen: Dazu gedacht, dass Unternehmen nicht in | |
mehreren Staaten dieselben Einkommen besteuern müssen, haben die Konzerne | |
diese Verträge in der Praxis oft so ausgenutzt, dass sie teils gar keine | |
Steuern mehr zahlten. Das sollte nun unmöglich werden – nur haben leider | |
die USA ihre Unterschrift verweigert. Davon abgesehen hat die | |
Steuerspezialistin Miyandazi aber noch eine ganz grundlegende Kritik: Den | |
G20-Aktionsplan gegen Gewinnverlagerung und -kürzung und das Abkommen haben | |
die G20 mit der OECD ausgeheckt. | |
## „Eigenanstrengung“ von der G20 | |
Entwicklungsländer seien viel zu spät involviert worden. „Wenn ich Afrika | |
als Beispiel nehme: Wir haben 55 Staaten, wir können nicht Südafrika im | |
Namen aller dieser Länder sprechen lassen“, sagt sie. | |
Die Regierungen in Senegal, Nigeria und Ghana hätten bereits kritisiert, | |
dass sie nicht von Anfang an dabei gewesen seien, aber dann zum | |
Unterzeichnen an den Tisch kommen dürfen. Von solchen Verträgen | |
profitierten die reicheren Länder in der Regel mehr als die | |
Entwicklungsländer, sagt Miyandazi. | |
„Eigenanstrengung“ braucht es daher wohl auch erst mal von den G20. | |
4 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Eva Oer | |
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