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# taz.de -- Historiker über Albert Speer: „Er tat alles für den Endsieg“
> Albert Speer stilisierte sich jahrzehntelang zum guten Nazi. Wie er das
> machte und wer ihm dabei half, erklärt der Historiker Magnus Brechtken.
Bild: Speer (l.) stand Hitler ganz nah, verkaufte sich später aber erfolgreich…
taz: Herr Brechtken, warum 2017 eine Biografie über Speer?
Magnus Brechtken: Weil es noch keine archivbasierte gab.
Das Bild von Speer als unpolitischem Manager, der sich von Hitler verführen
ließ, ist schon oft widerlegt worden. Rennen Sie mit einer kritischen
Biografie nicht offene Tore ein?
Es wäre schön, wenn es so wäre. Aber die Legenden wirken noch. Ein
Beispiel: Im Wikipedia-Text zum Berliner Olympiastadion ist zu lesen:
Architekt Albert Speer. Als Quelle werden seine 1969 erschienenen
„Erinnerungen“ verwendet. Dabei hatte er mit dem Bau so gut wie nichts zu
tun. Es gibt Dutzende solcher Beispiele.
Haben Sie wesentliche neue Quellen verwandt?
Ja, es gab mannigfache politische und diplomatische Bemühungen der
Bundesrepublik, Speer, der in Nürnberg 1946 zu 20 Jahren Haft verurteilt
worden war, vorzeitig freizubekommen. Ich hatte dafür als Erster die Akten
des Auswärtigen Amts zur Verfügung. Vor 1945 hat Speer umtriebig für sich
Grundstücke erworben und kostspielige Gebäude geplant oder gebaut. Konkret:
ein arisiertes Areal in Schwanenwerder, eine Villa in Berlin-Tiergarten und
ein feudales Gut im Oderbruch, das er mit einem Schloss bebauen wollte. Für
diese Projekte hat er auch öffentliche Gelder benutzt. Das hat zuvor
niemand systematisch recherchiert.
Welche Erkenntnis lässt sich daraus gewinnen – dass Speer korrupt war?
Das NS-System ermöglichte ihm gerade wegen seiner Nähe zu Hitler Zugang zu
fast unbegrenzten Ressourcen. Wenn Hitler anordnete, das wird bezahlt, gab
es keine staatliche Kontrolle mehr. Speer konnte sich nahezu schrankenlos
bedienen. Das nutzte er aus.
Zum Beispiel?
1942 stellt er die Modelle für das künftige Berlin vor, die später so
genannten Germania-Pläne. Dafür erhält er seinerzeit 60.000 Reichsmark pro
Monat, obwohl er dafür nichts mehr zu tun hatte. 1945 reist er am 20. April
zu Hitlers Geburtstag nach Berlin – und lässt sich 30.000 Reichsmark
Reisekostenvorschuss auszahlen, obwohl für ihn keine Kosten anfallen. Das
wäre heute eine halbe Million Euro. Und so weiter.
Also Selbstbedienungsmentalität?
Die war typisch für die NS-Spitze. Göring hat daraus kein Geheimnis
gemacht. In Speers „Erinnerungen“ liest man dagegen, dass er aus Idealismus
auf Honorare verzichtete und sich sein Haus in Berlin-Schlachtensee nur
leisten konnte, weil er Geld von seinem Vater bekam.
Sie schreiben: Speer war stets „auf Geld und Anerkennung“ aus. Ist das, als
zentrales Motiv für eine Biografie, nicht etwas banal?
In Verbindung mit der NS-Ideologie – nein. Das Grundmotiv ist: So wie sich
die überlegene Rasse gegen die minderwertige durchsetzt, so verdrängt auch
das stärkere Individuum das schwächere. Das Leben ist Kampf. Das gilt gegen
deklarierte Feinde wie Juden oder Slawen, aber auch nach innen. Speer hat
dies in den internen Machtkämpfen durchweg angewandt und war meist
erfolgreich. Nach 1945 versuchte er, ebenfalls erfolgreich, alles zu
unterdrücken, was seinen Legenden im Weg steht.
Zum Beispiel?
Zur Legende zählt, dass er als Minister für das Rüstungswunder sorgt. Speer
übernimmt 1942 die Heeresrüstung, aber erst 1944 die Luftrüstung. Die
Produktionssteigerungen sind aber in beiden Bereichen fast gleich. Speers
Produktionserfolge fußten zudem teils auf Manipulationen. Bei bestimmten
Sprengstoffproduktionen werden für 100 Kilogramm Sprengstoff 50 Kilogramm
Füllstoff benötigt. Die Produktionen wurde immer getrennt ausgewiesen –
Speer ändert das und steigert so die Sprengstoffproduktion auf dem Papier
um 50 Prozent.
Sie nennen Speer „Prototyp der Generation des Unbedingten“. Ist er das
wirklich? Diese politische NS-Generation hasst die Weimarer Republik, will
Rache für Versailles, glaubt an die eigene rassische Überlegenheit,
bekämpft in den Universitäten jüdische Professoren. Speer stolpert hingegen
1931 zur NS-Bewegung.
Speer stolpert nicht, er arbeitet sich dort zielgerichtet nach oben.
Aber er ist kein Antisemit, der judenfeindliche Reden hält.
Für mich ist ein überzeugter Nationalsozialist jemand, der entsprechend
handelt. Speer agiert antisemitisch, sobald sich die praktische Möglichkeit
und für ihn ein Vorteil ergibt. Als er 1938 in Berlin Wohnraum für den
Umbau benötigt, startet er aus eigener Initiative die „Erfassung der
Judenwohnungen“.
Aber sein Weg zu den Nazis ist zu brüchig, zu eigenwillig, um ihn zum
Prototyp dieser Tätergeneration zu machen.
Eigenwillig ja, brüchig nein. Er ist ein Prototyp in dem Sinne, dass es für
Figuren wie ihn keine Grenzen gibt. Wenn er etwas will, tut er alles, um es
zu erreichen. Ein Beispiel: Im Juni 1943 tritt er mit Goebbels im Berliner
Sportpalast auf. Goebbels hält die übliche Rede gegen die jüdische
Weltverschwörung, Speer skizziert das Rüstungswunder. Beides, der Bericht
über die Bekämpfung der Juden und Speers Verheißungen, dass der Sieg
möglich ist, gehören kommunikativ zusammen. Speer tut alles für den Sieg
des Nationalsozialismus. Anfang 1944 wird er schwer krank. Das wäre die
ideale Gelegenheit, sich angesichts des verlorenen Kriegs unauffällig
zurückzuziehen. Er tut das Gegenteil. Himmler, Goebbels und er sind die
treibenden Kräfte bei der Totalisierung des Krieges, die Millionen Tote
kostet. Selbst Hitler ist in den Augen der drei zu lethargisch. Die
mörderische Endphase seit Sommer 1944 organisiert das Trio Speer, Himmler,
Goebbels.
Also ein Antisemit der Tat, nicht der Überzeugung?
So kann man es nennen.
Welche seiner Legende ist besonders spektakulär?
Die Episode, dass Speer 1945 Hitlers Befehl, die Infrastruktur in
Deutschland zu zerstören, ignorierte und so das spätere Wirtschaftswunder
ermöglichte. Das stimmt nicht. Besonders daran ist die Geschichte, dass
Speer kurz vor dem Ende im Führerbunker diese Befehlsverweigerung Hitler
gebeichtet und Hitler mit Tränen in den Augen zurückgelassen habe. Diese
Szene erfand 1952 ein französischer Journalist. Speer hat sie so gut
gefallen, dass er sie sich in den „Erinnerungen“ zu eigen machte. Sie
taucht auch im Kinofilm „Der Untergang“ auf, an dem Joachim Fest
mitarbeitete.
Speer hat seine Biografie gefälscht und sich als ahnungsloser Architekt
inszeniert. Das wurde in der Bundesrepublik freudig geglaubt. Dass Hitlers
möglicher Nachfolger nichts von Auschwitz wusste, war die perfekte
Entschuldigung für die Deutschen. So weit, so bekannt. Warum aber glaubt
auch der Emigrant Willy Brandt 1966 Speer? Oder der Ex-KZ-Häftling Eugen
Kogon?
Speer hat sich schon 1945 bei ersten Vernehmungen, dann beim Nürnberger
Tribunal, als reuig inszeniert und – allgemein – Verantwortung übernommen.
So wird er von den Medien gesehen – der Mann, der mit Hitler abrechnet. So
wird er zur Sehnsuchtsfigur: fleißig, loyal, unwissend von Hitler verführt
zu den Verbrechen. Bei Willy Brandt war es vermutlich politisches Kalkül,
Speer 1966 von Sühneverfahren zu verschonen. Brandt war, wohl zu Recht, der
Ansicht, dass viele in der Republik ein Verfahren nach Speers Entlassung
aus Spandau missbilligen würden. Dass er der Tochter zur Entlassung Blumen
schickte, war allerdings nicht nötig. Kogon glaubte, dass die Republik für
ihre Selbstheilung und Stabilität Figuren wie Speer brauchte, um Exnazis
den Weg in die Republik zu ebnen.
Im Rückblick ist frappierend, dass von fast allen die Kluft zwischen Fakten
und Speers Legenden übersehen wurde. 1948 tauchte ein Dokument auf, das
bewies, dass Speer 13,7 Millionen Reichsmark für Bauten in Auschwitz
bewilligt hatte, inklusive Krematorien . . .
Wäre das 1946 in Nürnberg bekannt gewesen, wäre er zum Tod verurteilt
worden.
Die Legende gewinnt mit seinen „Erinnerungen“ 1969 und den „Spandauer
Tagebüchern“ 1975, beides internationale Bestseller, richtig an Schwung.
Haben die Historiker versagt?
Nicht generell. Es gab seither viele Einzelforschungen, exakte Nachweise,
wie aktiv Speer an NS-Verbrechen beteiligt war. 1982 veröffentlichte
Matthias Schmidt „Speer – Das Ende eines Mythos“, das die Mittäterschaft
bei Deportationen und Holocaust nachweist.
Und?
Es passiert nicht viel. Das Bild von Speer, der an jüdische Organisationen
und auch Simon Wiesenthal spendet, Historikern als Augenzeuge viel wert
ist, ist seit Jahren tief eingefräst. Und Schmidt ist nur ein Doktorand,
der sich, so der Vorwurf, von Exnazis instrumentalisieren lässt. So
vielfach die Lesart. Hans Mommsen, eine Koryphäe der NS-Forschung, schrieb
in einer Kritik, dass Schmidts Buch Speers Glaubwürdigkeit nicht infrage
stelle. Das ist schon merkwürdig, keine Forschungsleistung jedenfalls.
Eine wesentliche Rolle bei der Verfertigung des Speer-Bilds spielen Joachim
Fest und Wolf Jobst Siedler, die ihm bei seinen „Erinnerungen“ seit 1967
zur Hand gingen. Hat Fest diesen Text frisiert?
Das klingt zu manipulativ. Es ist ein Gemeinschaftswerk, basierend auf
Speers Texten. Der Verleger Siedler weiß, was beim Publikum ankommt, der
Autor Fest, wie man es schreibt. Und Fest ermuntert Speer auch, ob ihm an
dieser oder jener Stelle nicht vielleicht doch noch ein Satz von Hitler
einfällt.
Eine Fälscherwerkstatt?
Nein, fälschen heißt bewusst gemeinsam lügen. Das ist zu normativ. Fest und
Siedler haben sich für bestimmte historische Fragen einfach nicht
interessiert. Sie verzichteten auf Nachprüfungen. Es ist eine literarische
Werkstatt, die lieferte, was nachgefragt war: das Bild des guten,
geläuterten, bereuenden früheren Nazis.
In den 90ern wird zunehmend klarer, dass Speer gelogen hat. Was tut Fest?
Er ignoriert den Stand der Forschung. Sonst hätte er ja seine eigene Rolle
bei der Herstellung der „Erinnerungen“ und seine Mitarbeit an den
„Spandauer Tagebüchern“ reflektieren müssen. Fest spürte wohl, dass er in
einer Sackgasse sitzt, wollte das aber nicht offen wahrhaben. Historiker,
die ihm Versäumnisse nachweisen, beschimpft er. 2005 veröffentlicht Fest
„Die unbeantwortbaren Fragen“, seine Notizen zu Speer. Da ist zu lesen –
der Eintrag ist datiert auf 1982 –, er habe zum Buch von Matthias Schmidt
notiert: „Im Ganzen enthält es exakt das, was ich mitunter befürchtet
hatte.“
Und?
Das wirft die Frage auf, warum Fest 1999 eine Biografie über Speer
schreibt, in der Schmidt und die Erkenntnisse über Speers Legenden kaum
vorkommen. Und diese Lesart noch Jahre verteidigt. Ich habe zweimal an
Alexander Fest, den Sohn und Verleger der Speer-Biografie und des
Notizen-Buchs geschrieben und gefragt, wie das sein kann. Und ob ich die
Originaldokumente der Notizen sehen könne. Ich habe keine Antwort erhalten.
22 Jun 2017
## AUTOREN
Stefan Reinecke
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