# taz.de -- Neues Buch über Vernichtungslager: Effiziente Ausbeutung in Auschw… | |
> Susanne Willems' neue Geschichte über Auschwitz zeigt, wie effizient | |
> Menschen in diesem Vernichtungslager ausgebeutet und verwertet wurden. | |
Bild: Ort der Internierung, Folter, Vernichtung - und Ausschlachtung: Auschwitz. | |
Für Deutsche, die über dreißig sind, ist der Name Auschwitz zum Synonym für | |
den Versuch der Nationalsozialisten geworden, das europäische Judentum | |
auszulöschen. Laut einer vor drei Jahren durchgeführten Umfrage kann aber | |
jeder fünfte Deutsche unter dreißig nichts mit dem Wort „Auschwitz“ | |
anfangen. Jeder dritte Deutsche weiß nicht, in welchem Land das ehemalige | |
Konzentrationslager steht. | |
Vor wenigen Tagen ist bei der Edition Ost ein reich bebildeter Band | |
„Auschwitz. Die Geschichte des Vernichtungslagers“ erschienen. Er hat den | |
Anspruch, den Stand der Forschung zum Lagerkomplex Auschwitz-Birkenau | |
abzubilden. Die Autorin Susanne Willems hat sich mit der Erforschung der | |
Rolle Albert Speers beim Ausbau und der Funktionsbestimmung des | |
Vernichtungslagers einen Namen gemacht. Als Generalbevollmächtigter für die | |
Regelung der Bauwirtschaft und als Rüstungsminister trieb Speer den Ausbau | |
des Lagers Auschwitz-Birkenau voran. | |
Sehr detailliert und mit noch mehr Zahlenmaterial legt Susanne Willems nun | |
akribisch dar, wie Auschwitz von einem Ort der Internierung, Folter und | |
Vernichtung polnischer politischer Gefangener zum Zentrum der Versklavung | |
und Vernichtung von sowjetischen Kriegsgefangenen, Juden, Sinti und Roma | |
wurde. Im Auschwitzer Lagerkomplex wurden mindestens eine Million, | |
möglicherweise aber eineinhalb Millionen Menschen von der SS ermordet. | |
Registriert und mit Nummern versehen wurden nur diejenigen, die bei der | |
Selektion nicht zur sofortigen Vernichtung bestimmt wurden. Wer alt, | |
schwach, krank oder ein Kind, also nicht arbeitsfähig war, überlebte die | |
Ankunft im Lager meist nicht länger als einige Stunden. | |
Willems zeichnet die Entwicklung des Lagers nach und würdigt auch die | |
Arbeit des unmittelbar nach der Befreiung durch die Rote Armee dort | |
entstandenen Museums. Das Buch befasst sich kaum mit der Selbstorganisation | |
der Häftlinge, doch Widerstandsaktivitäten bis zum Aufstand des | |
Sonderkommandos wird die gebührende Aufmerksamkeit zuteil. | |
## Wichtige Dokumente als Faksimile | |
Vor allem aber zeigt die Autorin, und das ist die große Leistung dieses | |
Buchs, wie sich der Charakter des Lagers veränderte und wie sich die SS bei | |
der Bestimmung seiner Funktion nicht nur an eigenen politischen und | |
ökonomischen Interessen orientierte, sondern auch an denen ihrer Partner. | |
Zu diesen zählten die I.G. Farbenindustrie, das mächtigste | |
Chemieunternehmen der Welt und der größte Konzern Europas, aber auch die | |
Wehrmacht und das Rüstungsministerium Albert Speers. | |
Der Band enthält historische Fotos und Aufnahmen vom heutigen Auschwitz, | |
die Frank und Fritz Schumann gemacht haben. Auf den ersten Seiten ist | |
erstmals der Lageplan vom 6. Oktober 1942 abgedruckt, auf dem der Ausbau | |
des Lagers im Rahmen des „Sonderprogramms Prof. Speer“ dargestellt ist. Es | |
finden sich viele andere wichtige Dokumente als Faksimile, etwa der Bericht | |
des Chefs des SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes Pohl vom 16. September | |
1942, in dem es über eine Besprechung mit Speer heißt: „Alle Beteiligten | |
waren sich einig, dass die in den Konzentrationslagern vorhandene | |
Arbeitskraft nunmehr für Rüstungsaufgaben von Großformat eingesetzt werden | |
müsse.“ | |
Die SS vermietete ihre Sklavenarbeiter an deutsche Unternehmen. 7.000 | |
arbeiteten im Jahr 1943 für die I.G. Farben im Außenlager Monowitz. Unter | |
ihnen waren Ernst und Hans Frankenthal aus Schmallenberg im Sauerland. Der | |
Masse an Zahlen und Fakten stellt die Autorin immer wieder die Geschichte | |
von Menschen gegenüber, die in Auschwitz ausgebeutet und ermordet wurden. | |
Die Frankenthals überlebten auch dank der Unterstützung von Jan Grubka, dem | |
späteren Bürgermeister von Oświęcim, wie Auschwitz auf Polnisch heißt. Er | |
sagte den Brüdern: „Dieses Werk baut ihr nicht für die Deutschen, sondern | |
für uns.“ | |
Die I.G. Farben hatte anderes vor. Zehntausende deutsche Chemiearbeiter und | |
Angestellte sollten in Auschwitz angesiedelt werden. Die dortige | |
Kunststoffproduktion sollte es der I.G. Farben ermöglichen, sich mit | |
innovativen Produkten auf dem Weltmarkt der Nachkriegszeit zu | |
positionieren. Die Voraussetzungen waren gut. Die Reichsregierung hatte das | |
eingegliederte polnische Okkupationsgebiet zum Steuerparadies für deutsche | |
Firmen erklärt, um dort das „Deutschtum zu festigen und zu fördern“. Die | |
von der SS vermieteten Arbeitssklaven kosteten nur drei bis sechs | |
Reichsmark pro Zehnstundentag. | |
Wie ist es zu erklären, dass in Auschwitz so viele Menschen ermordet | |
wurden, wenn sie der deutsche Wirtschaft als Arbeitskräftereservoir dienen | |
sollten? Die Antwort liegt unter anderem in der schieren Masse der aus ganz | |
Europa deportierten Juden. Das KZ Auschwitz verfügte, erklärt Susanne | |
Willems, „über so große, kontinuierlich ergänzte Arbeitskräftereserven, | |
dass ein Gefangenenleben der SS auch weiterhin nichts galt.“ | |
15 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
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