| # taz.de -- Ausstellungsempfehlung für Berlin: Beunruhigung in der Ehrenhalle | |
| > Die Ausstellung „A Handful of Dust“ auf einem Neuköllner Friedhof setzt | |
| > sich mit der Komplexität von Geschichtsschreibung auseinander. | |
| Bild: Ursprünglich als „Tempel des Vaterlandes“ erbaute Ehrenhalle auf dem… | |
| 1938, in dem Jahr, als Österreich heim ins Reich kehrt und die | |
| Tschechoslowakei zerschlagen wird, im Jahr der Reichspogromnacht, entsteht | |
| in der Neuköllner Lilienthalstraße ein Friedhof für gefallene | |
| Wehrmachtsoldaten. Wohlgemerkt ein Jahr bevor der deutsche Überfall auf | |
| Polen den Zweiten Weltkrieg in Gang setzt. | |
| Zu der Friedhofsanlage gehört eine als „Tempel des Vaterlandes“ konzipierte | |
| Ehrenhalle, ihr Auftraggeber ist Generalbauinspektor [1][Albert Speer], der | |
| für Hitler aus Berlin ein monströses neues Rom namens Germania meißeln | |
| lassen wollte. | |
| Als Architekt fungiert Wilhelm Büning, in den zwanziger Jahren Miturheber | |
| der Weißen Stadt in Reinickendorf, mittlerweile ein Unesco-Kulturerbe. Die | |
| Bauarbeiten an Friedhof und Halle dauern bis 1941, dem Jahr, in dem das | |
| Dritte Reich Jugoslawien zerschlagen und die Sowjetunion überfallen wird. | |
| 80 Jahre später hängen an der Außenfassade des Gebäudes drei längliche | |
| Stofffahnen. Sie greifen die Oberflächenstruktur des Gebäudes und seine | |
| historische Bannerhängung auf. Von innen betrachtet wirkt die mittlere der | |
| Stoffbahnen über dem Eingangsbereich wie ein Fallbeil. „Hallen-Haut-Halle“ | |
| hat der Künstler Virol Erol Vert diese Intervention im öffentlichen Raum | |
| genannt, sie ist Teil der bis zum 24. September laufenden Ausstellung | |
| „[2][A Handful of Dust]“. | |
| Von Pauline Doutreluingne und Petra Poelz kuratiert, wird sie die | |
| Ehrenhalle und das Areal mit diversen künstlerischen Aktionen bespielen: | |
| Konzerte mit improvisierter und experimenteller Musik, Klanginstallationen, | |
| Performances, Rundgängen, Gesprächen und Vorträgen. So ziemlich alles das, | |
| was sich „der gute Nazi“ Speer kaum vorgestellt haben dürfte. | |
| ## Die Ordnung des Raums durchkreuzt | |
| An der rückwärtigen Innenwand der Ehrenhalle hat sich, einem | |
| Bühnenhintergrund ähnlich, ein wuchtiger Reichsadler erhalten. Die Ordnung | |
| des Raums jedoch wird durch eine Anordnung durchkreuzt. Halb könnte sie aus | |
| dem Hygienemuseum stammen, halb aus einem Fetischclub; so ragen drei | |
| beleuchtete Skulpturen in Richtung des Hallengewölbes, Schlingentürme, | |
| deren Ledergurte, Ketten und Karabinerhaken anorganische Anatomie fixieren: | |
| ein Paar aufblasbare Lippen, ein Ohr, mehrere Augäpfel. | |
| „Lösch mir die Augen aus“ haben Viron Erol Vert und die Künstlerin Anne D… | |
| Hee Jordan ihre gemeinsame Installation nach einem Gedicht Rainer Maria | |
| Rilkes betitelt, das der Neuromantiker im letzten Jahr des 19. Jahrhunderts | |
| geschrieben hatte. | |
| Bereits 1966 hat das Friedhofsensemble eine Erweiterung erfahren, als in | |
| die Freitreppe zur Ehrenhalle ein als Krypta denkbarer Raum eingebaut | |
| wurde. Bis 2004 war in dem Geviert der „Silberkranz“ des Bildhauers Ludwig | |
| Gies zu sehen. Eine Arbeit von Gies übrigens hängt heute im Plenarsaal des | |
| Berliner Reichstags, es ist eine modifizierte Variante seines | |
| „Bundesadlers“. | |
| Der „Silberkranz“ ging an das Deutsche Historische Museum und wurde von | |
| einer Plastik des Bildhauers Fritz Cremer abgelöst. Cremer hatte enge | |
| Kontakte zur antifaschistischen Widerstandsgruppe Rote Kapelle und 1950 | |
| übersiedelte er in die DDR. Er nahm die Totenmaske Bertolt Brechts ab und | |
| erarbeitete die Figurengruppe des Buchenwald-Denkmals. Auch so lässt sich | |
| mit einem Speer-Bau umgehen. | |
| ## Selbstzeugnisse von Nationalsozialistinnen | |
| Cremers Plastik heißt „Sorgende Frau“ und ist 1948 unmittelbar nach dem | |
| Zweiten Weltkrieg entstanden. Im Rahmen von „A Handful of Dust“ sind um die | |
| Figur acht Frauenbiographien ausgelegt. Es handelt sich dabei um | |
| Selbstzeugnisse von Nationalsozialistinnen, die vor 1933 NSDAP-Mitglieder | |
| geworden waren, gesammelt von dem US-amerikanischen Soziologen Theodore | |
| Fred Abel während eines Forschungsaufenthalts 1934 in Deutschland und in | |
| Kooperation mit der NSDAP. | |
| Achtmal geben Frauen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher | |
| Profession darüber Auskunft, wie ihnen der Führer geholfen habe, „ein | |
| kleines Glied an einer großen Kette sein zu dürfen“. Ähnliche Bilder finden | |
| sich mehrmals, wie auch die Niederschriften sich in ihrem Aufbau oft | |
| ähneln. Gegen ihren Informationsgehalt spricht das nicht. | |
| Die Frauen berichten davon, was für sie auch zum Nazisein gehörte, dem | |
| anfänglichen Gefühl, einer verschworenen Gemeinschaft anzugehören, dem | |
| Versteckspiel an der Schule, der Auflehnung gegen das Elternhaus. Dass sie | |
| sich als um die Kameraden Sorgende porträtieren ist kein Argument gegen | |
| Fritz Cremer. Auch nicht, wenn eine von ihnen schreibt, wie ehemalige | |
| Kommunisten „die besten und entschlossensten Mitkämpfer“ werden konnten. | |
| Eine Beunruhigung ist es auf jeden Fall. | |
| 8 Sep 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Robert Mießner | |
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