| # taz.de -- Comic-Schau in der Bundeskunsthalle: Society is nix | |
| > Vagabunden, Taugenichtse, Superman: Die Bonner Ausstellung „Comics! | |
| > Mangas! Graphic Novels!“ zeigt den künstlerischen Reichtum des Genres. | |
| Bild: Die Schau ist auch etwas für das kunstgeschichtlich interessierte Auge | |
| Die 1992 eröffnete monumentale Bundeskunsthalle will laut | |
| Selbstbeschreibung „den geistigen und kulturellen Reichtum der | |
| Bundesrepublik Deutschland angemessen darstellen“. Nun tut sie das mit der | |
| Ausstellung „Comics! Mangas! Graphic Novels!“. In sechs farblich | |
| voneinander abgehobenen Themenblöcken werden die wichtigen Spielarten der | |
| Kunstform in rund 300 originalen Objekten vorgestellt. | |
| Darunter „Happy Hooligan“, ein von Frederick Burr Opper gezeichneter | |
| US-amerikanischer Comic-Antiheld und Vorläufer von Charlie Chaplins | |
| Tramp-Figur, der in einem Strip von 1905 nach London reist und das | |
| ehrwürdige „House of Lords“ aufmischt. Nach Auffassung der beiden | |
| Kuratoren, Andreas C. Knigge sowie Alexander Braun, beginnt die | |
| Comicgeschichte mit dem nordamerikanischen Comicstrip – eine Sicht, die | |
| aber auch Wilhelm Busch und Rodolphe Töpffer als Vorläufer anerkennt. | |
| Comicstrips stellten um 1900, als der Film noch keine Konkurrenz | |
| darstellte, für Zeitungsleser ein neuartiges visuelles Vergnügen dar. | |
| Ganzseitige farbige, mit der Form spielende Sonntagsstrips von Winsor McCay | |
| („Little Nemo“) oder Richard F. Outcault („Hogan’s Alley“) erregten | |
| Aufsehen. In der jetzigen Ausstellung können einige zu Panoramen | |
| vergrößerte Seiten mit Virtual-Reality-Brillen besichtigt werden. | |
| ## Rudolph Dirks: „Society is nix“ | |
| Einige Zeichner brachten dabei früh minoritäre Sichtweisen in die Blätter. | |
| „Happy Hooligan“ oder „Mutt and Jeff“ provozierten das bürgerliche Pub… | |
| mit derben Scherzen. Aus den „Katzenjammer Kids“-Strips des deutschen | |
| Auswanderers Rudolph Dirks stammt das Zitat: „Society is nix!“ In dem Strip | |
| „Sambo“ von William F. Marriner (1910) triumphiert ein schwarzer Junge als | |
| Lausbuben-Held über weiße Spielgefährten. | |
| Zeitungsstrips richteten sich vorwiegend an die ganze Familie. Die | |
| Comichefte um Superman und Co führten Ende der 30er Jahre zu einem Boom und | |
| waren Teil einer frühen Jugendkultur. Doch während die prominenteren | |
| Stripzeichner noch reich wurden, lag jetzt die Macht in den Händen von | |
| Verlegern wie DC oder Marvel. Urheberrechte der Künstler waren schlecht | |
| geschützt. Jerry Siegel und Joe Shuster, die Schöpfer Supermans, wurden | |
| ausgebootet, durch andere Künstler ersetzt. Sie verarmten, während Verlage | |
| Millionengewinne machten. Gerne wurden die Superhelden für patriotische | |
| Propaganda eingespannt: kaum einer, der nicht gegen Nazis oder Japaner | |
| kämpfte. | |
| Mitte der 1950er Jahre setzte eine üble Diskussion um die angeblich | |
| jugendgefährdende Wirkung der „Schundhefte“ ein. Die Verlage unterwarfen | |
| sich dem Comic Code, einer Selbstzensur. Die Satirezeitschrift Mad war ein | |
| Leuchtturm auf dem verödenden US-Markt. Ende der 1960er wurde er durch die | |
| „Underground Comix“ neu belebt. Sex und Drogen – dank Künstlern wie Robe… | |
| Crumb war die Zeit der Tabus vorbei. | |
| ## Im Stile eines Film noir | |
| Solche Zusammenhänge veranschaulicht die Schau mit exzellent ausgewählten | |
| Originalen. Einige Comics sind dabei komplett lesbar, wie eine „The | |
| Spirit“-Folge Will Eisners von 1951, die im Stile eines Film noir | |
| komponiert ist. | |
| Die europäische Produktion gewinnt um 1930 an Kontur, als sich die | |
| Sprechblase in Comics wie „Tim und Struppi“ durchsetzt. In den 1950er und | |
| 60er Jahren entstehen die frankobelgischen Bandes dessinées, zunächst in | |
| Magazinen für Kinder und dann – erstmals 1962 durch die freizügige | |
| Weltraumreisende „Barbarella“, auch für erwachsene Leser. Im Schatten der | |
| bekannteren Zeichner steht meist der Szenarist, der oftmals Story und | |
| Szenen entwirft. Exemplarisch porträtiert wird der Franzose Pierre | |
| Christin, der anspruchsvolle Science Fiction-Geschichten („Valerian und | |
| Veronique“) und komplexe Gegenwartsstoffe entwarf. Die von ihm entworfene | |
| und Enki Bilal gezeichnete „Treibjagd“ nahm 1981 auf intelligente Weise das | |
| Ende des Eisernen Vorhangs vorweg. | |
| Der deutsche Comic wird nur knapp gestreift. Seine zähe Etablierung in der | |
| Nachkriegszeit deutet auf bildungsbürgerliche und antiamerikanische | |
| Ressentiments. Hier dominierte noch die Tradition eher biederer Formate | |
| („Mecki“, „Fix und Foxi“), von denen sich Manfred Schmidts origineller | |
| Detektiv „Nick Knatterton“ abhob. Die Exponate aktueller Künstler wie | |
| Mawil, Reinhard Kleist oder Isabel Kreitz belegen, dass die Entwicklung | |
| heute erfreulicher ist. | |
| ## Mangas und Graphic Novels | |
| Interessant auch die parallelen Entwicklungen in Japan. In den 1960ern wird | |
| der Manga vielfältiger. Düstere, alltagsnahe Geschichten wie von Yoshihiro | |
| Tatsumi entstehen, später Keiji Nakazawadas Werk „Barfuß durch Hiroshima“. | |
| Manche Manga-Comis haben bereits früh Graphic-Novel-Charakter. | |
| Die Bonner Schau macht deutlich, welch enormer künstlerischer Reichtum sich | |
| innerhalb des Mediums verbirgt. Und selbst in restriktiven Zeiten konnte | |
| Subversives in die vermeintlich gefällige Form eingeschmuggelt werden. | |
| Nicht zuletzt ist die Ausstellung etwas für ein kunstgeschichtlich | |
| interessiertes Auge: Ein überdimensionales Panel von Moebius (Jean Giraud) | |
| von 1976 zeigt den Ritt des rätselhaften Reisenden „Arzach“ auf einem | |
| Flugsaurier über die Landschaft eines fremden Planeten voller fremder | |
| Kreaturen. Es erinnert in seiner Detailfülle an die apokalyptischen Gemälde | |
| eines Hieronymus Bosch. Und zieht auch ganz ohne die High-Tech-Prothese | |
| einer Virtual-Reality-Brille in den Bann. | |
| 9 Jun 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Ralph Trommer | |
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