Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kulturgeschichte des Rheins: Verträumte inspirieren
> Das bringt Schulklassen ins Schwitzen: Die Ausstellung „Der Rhein – eine
> europäische Flussbiografie“ in Bonn folgt dem Fluss über 1.200 Kilometer.
Bild: In der europäischen Kunst hat der Rhein seinen Platz, auch als Allegorie…
Behäbig und grau wälzt sich der Rhein in diesen Herbsttagen von der Schweiz
bis in die Niederlande, einmal längs durch Deutschland, mitten durch
Europa. Rechts und links davon wird bis heute Politik gemacht: Rund 7.000
Bundesbeamte arbeiten allein in Bonn, 6 von 14 Ministerien haben hier immer
noch ihren Hauptsitz. 18 Agenturen der Vereinten Nationen liegen am Rhein.
Kaum ein anderer Fluss scheint heute ähnlich für die Idee des Weltfriedens
zu stehen: Vom Grenzfluss wurde der Rhein nach dem Zweiten Weltkrieg
symbolisch zur Hauptschlagader der deutsch-französischen Freundschaft
erklärt, später zum Träger des europäischen Gedankens. Im Spätoktober sieht
er allerdings mehr so aus, als habe ihn sein bewegtes Leben müde gemacht.
Die Bundeskunsthalle in Bonn trägt der Geschichte nun gemeinsam mit dem
LVR-Museum (Landesverband Rheinland) mit einer umfassenden Ausstellung
Rechnung. „Der Rhein – eine europäische Flussbiografie“ heißt die Schau,
deren Titel Schulklassen Angst macht. Ihr Inhalt könnte Regalmeter füllen,
zimmerweise, mehrere Stockwerke hoch, etliche Häuserblöcke entlang. 1.200
Kilometer weit reicht übrigens der Strom selbst von der Quelle bis zur
Mündung in der Nordsee. Kuratiert hat die Ausstellung die
Kulturhistorikerin und Schriftstellerin Marie-Louise von Plessen.
## Skelette und Jungrfrauen
Die Fülle beeindruckt. Die Ausstellungsstücke weisen 14.000 Jahre zurück:
So alt sind die Skelette, ein Mann und eine Frau, die in Bonn im
„Oberkasseler Doppelgrab“ gefunden wurden und die den Besucher gleich beim
Eintreten begrüßen.
In der europäischen Kunst und Mythologie hat der Fluss einen festen Platz.
Der Holländer Salomon van Ruysdael (1600–1670) hat den Rhein gemalt, der
britische Landschafts- und Lichtkünstler William Turner (1775–1851) auch.
Der Deutsche Johann Adolf Lasinsky hat Fischerei und frühen Güterverkehr am
Rhein in Öl 1828 gepinselt. Der Franzose Victor Hugo (1802–1855) hat über
ihn geschrieben, Robert Schumann (1810–1851) ihm eine Symphonie gedichtet.
Der Schatz der Nibelungen, nach einer alten Germanensage im Rhein begraben,
wurde bis heute nicht gehoben. Auf dem Drachenfels, wo heute eine Festung
steht, rang Siegfried der Legende nach einen Drachen nieder, um eine
Jungfrau zu ihren Eltern nach Worms zurückzubringen – Shit happens. Caspar
Johann Nepomuk Scheuren hat den sagenumwobenen Felsen 1851 gemalt.
Weltliche Herrscher gingen es pragmatisch an: Das Rheingold inspirierte sie
zum Prägen von Goldtalern.
## Ungekannte Stille
Fotografien von Willy Römer zeigen den Rhein Anfang des Jahrhunderts (1918)
als Kriegsschauplatz, als geografische Linie, die die Erbfeinde Deutschland
und Frankreich nur mit Mühe auseinanderzuhalten vermag. Andreas Gursky
fotografiert die heutige Industrielandschaft entlang des Rheins, aufgereiht
in sauberer Geometrie und auf seinen Bildern auch in großer, ungekannter
Stille. Claudio Hills arbeitet ebenfalls mit Leere, wo Getümmel vermutet
wird, Valeska Achenbach und Isabela Pacini mit ungewöhnlichen Perspektiven
auf allzu Vertrautes: Wasser.
Das Ende bilden die farbensatten Container des „Europort“ in Rotterdam: Von
hier aus geht der Blick in die Welt hinaus und ganz besonders nach drüben,
in die USA.
2.000 Jahre Geschichte erzählen und trotzdem den Blick für einzelne Details
schärfen – dies ist der Anspruch, den sich die Ausstellungsmacher selbst
gegeben haben und an dem sie sich nun messen lassen müssten. Die Schau
möchte für Wissende eine Chronologie nacherzählen, Unwissenden einen
Überblick vermitteln, Verträumte inspirieren und Unentschlossene zum
Verweilen bewegen.
## Weiß nicht, was soll es bedeuten
Und fast ist so schon vor dem Rundgang klar: Da könnte sich wer verhoben
haben, einfach, weil’s nicht anders sein kann. Mystik, Romantik, Krieg und
Frieden, Handel und Industrielandschaft und eine ganze Menge Wasserbilder
fließen nicht zusammen. Politik kommt vor, Religion wird gestreift,
manchmal auch alles zusammen – und so steht der Besucher dann vor Anselm
Kiefers Andachtsbild „Vater, Heiliger Geist und Sohn“ (1973) und weiß nicht
so recht, was es ihm bedeuten soll. 13 Kapitel wollen eine (Schein-)Ordnung
stiften, wo im Grunde keine zu schaffen ist. Nachvollziehbar sind die
Brüche nicht immer. Akkuratesse ist ein Prinzip, das offenbar maximal für
stehende Gewässer funktionieren kann.
Da die thematische Verwässerung in dieser Schau allerdings auf eine
interessante, intellektuell stimulierende Weise geschehen ist, will man ihr
ihre Vielfältigkeit letztlich nicht vorwerfen. Allein die Qualität der
Ausstellungsstücke begeistert – und an welchem Fluss geht es schon ruhig
zu?
30 Oct 2016
## AUTOREN
Johanna Schmeller
## TAGS
Rhein
Romantik
Mythologie
Der Ring des Nibelungen
Manga
Barock
Kreuzfahrt
Wien
Rhein
## ARTIKEL ZUM THEMA
Comic-Schau in der Bundeskunsthalle: Society is nix
Vagabunden, Taugenichtse, Superman: Die Bonner Ausstellung „Comics! Mangas!
Graphic Novels!“ zeigt den künstlerischen Reichtum des Genres.
Barock-Ausstellung in Mannheim: Auf den Spuren eines Zeitalters
Das Barock hat bis heute nichts an Aktualität verloren. Es geht um die
Angst vor Multikulturalität – und ein auseinanderbrechendes Europa.
Fröhliche Kreuzfahrt: River Cruise Blues
Die Konkurrenz nimmt zu, die Arbeitsbedingungen auf Flusskreuzfahrtschiffen
werden härter. Unterwegs auf der Schattenseite eines Boomsektors.
Museums-Direktor über Sex in Österreich: „Wien hatte eine Vorreiterrolle“
Was ist besonders an „Sex in Wien“? Matti Bunzl über die gleichnamige
Ausstellung in der Metropole des Judentums, der Psychologie und
Sexualforschung.
Kolumne Generation Camper: Die Grenzen der Aufklärung
Die Rheinromantik ist nicht kleinzukriegen, auch wenn sie sich aus Legenden
und Halbwahrheiten speist: wir suchen immer noch den Schatz der Nibelungen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.