# taz.de -- Kolumne Generation Camper: Die Grenzen der Aufklärung | |
> Die Rheinromantik ist nicht kleinzukriegen, auch wenn sie sich aus | |
> Legenden und Halbwahrheiten speist: wir suchen immer noch den Schatz der | |
> Nibelungen. | |
Bild: Ein güldner Sonnenaufgang unterstreicht den romantischen Blick | |
Ach“, seufzt Tante Gudrun. „Hätten sie doch mehr Mut gehabt. Sie passten | |
doch so gut zueinander …“ Unser Blick schweift in die Ferne ins pittoreske | |
Rheintal, die Aussicht auf den Fluss ist umwerfend. Es gibt Kaffee und | |
Kuchen auf der Terrasse des alten Günderrod-Hauses (oberhalb von | |
Oberwesel), und die betagte Tante fährt gerührt fort, vom Unglück der | |
gebildeten und deshalb unangepassten Karoline von Günderrode und dem | |
genialischen und sensiblen Heinrich von Kleist zu berichten. | |
Sie beklagt die Brutalität gesellschaftlicher Normen und erzählt, dass sich | |
beide umbrachten, und sie mag einfach nicht verstehen, dass sich Günderrode | |
und Kleist nicht fanden, damals, bei den Brentanos am Rhein, wo sie doch | |
gleich ihre geheime Wesensverwandtschaft erahnt hätten. Mir fällt auf, dass | |
die Tante mit ihrer Schwärmerei einer Romanhandlung aufgesessen ist. Denn | |
die beiden Dichter haben sich nie kennengelernt, das Treffen anno 1804, um | |
das es hier geht, war ein Coup der Schriftstellerin Christa Wolf. „Kein | |
Ort. Nirgends.“ So hieß der Roman. Ein Buchtitel, der so gut ist, dass er | |
zum geflügelten Wort wurde. Aber ich sage nix dazu. Denn die Tante ist | |
glücklich. | |
„Dass ich eines Tages mal im Haus der Günderrode sitzen würde …“ Das Ha… | |
der Günderrode? Auch das ist nicht real. Das Haus ist Kino. Ein Ort in der | |
Heimattrilogie von Edgar Reitz. Dritter Teil der Hunsrücksaga. Die | |
Film-Städter wollen zurück, sie wollen sich niederlassen. Ihr Dorf im | |
Hunsrück ist keine Option mehr – aber am Rhein, an prominenter Stelle, | |
lässt Edgar Reitz sie ein altes Fachwerkhaus sanieren und erfindet die | |
Legende vom historischen Haus der Günderrode. Noch ein Fake, dem die Tante | |
aufgesessen ist. | |
Vielleicht ist es darum am Rhein so schön: Die romantischen Projekte reißen | |
bis heute nicht ab. Je professioneller, umso überzeugender. Die Utopien der | |
Rheinromantiker sind ohnehin die besseren Orte dieser Welt. Ob bei Heinrich | |
Heine, Christa Wolf oder Edgar Reitz. Wenn dann auch noch der Rheinblick | |
stimmt, nimmt man ihnen alles ab. | |
6 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Christel Burghoff | |
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