# taz.de -- Ausstellung zu Comiczeichner Mœbius: Wüste, Western, Weltall | |
> Das Max Ernst Museum in Brühl widmet Comiczeichner Mœbius eine große | |
> Schau. Sie versammelt gut 450 Arbeiten aus allen Schaffensperioden. | |
Bild: „La chasse au mayor“, 2009, Acryl auf Leinwand | |
Ein merkwürdiger Cowboy. Eingehüllt in einen wallenden Umhang, auf dem Kopf | |
ein trichterförmiger Hut, fliegt er scheinbar ziellos auf einem weißen | |
Flugsaurier über unendliche Wüstenlandschaften fremder Planeten, die von | |
allerlei fantastischen Wesen bevölkert werden. Und erlebt dabei Dinge, die | |
erschreckend, verstörend, lächerlich oder auch erotisch sein können. | |
„Arzach“ heißt die meist ohne Worte auskommende Reihe von kurzen | |
Comicgeschichten, mit denen dem 2012 verstorbenen französischen Zeichner | |
Jean Giraud alias „Mœbius“ 1975 sein Durchbruch als Erzähler ungewöhnlic… | |
Science-Fiction-Comics gelang. Dabei blieb offen, was „Arzach“ eigentlich | |
bedeutete – war es der Name des (mutmaßlich) menschlichen Protagonisten | |
selbst oder der des Universums um ihn herum? Zur Verwirrung oder auch zum | |
Amüsement der Leser wurde das Wort zu Beginn jeder neuen Geschichte anders | |
geschrieben: Arzak, Harzak, Harzakc … | |
Mœbius zählt seitdem zu den ganz großen Meistern des frankobelgischen | |
Comics – insbesondere des fantastischen Genres – und wird nun im Brühler | |
Max Ernst Museum mit einer Retrospektive geehrt, die rund 450 Arbeiten des | |
Künstlers aus allen Schaffensperioden versammelt. Sie verzichtet weitgehend | |
auf Texttafeln, beschränkt sich darauf, die vielfältigen Ausstellungsstücke | |
– darunter originale Comicseiten und Vergrößerungen, Illustrationen, | |
Entwürfe zu Filmen, Druckgrafiken, Animationen – mit pointierten Zitaten | |
des Meisters anzureichern. | |
Für Mœbius-Kenner ist das ausreichend, für diejenigen, die den Künstler | |
erst entdecken, wäre etwas mehr Kontext – vor allem zu den wichtigsten | |
Comics – nützlich gewesen. Eine geradezu überbordende Fantasie und eine | |
grafische Virtuosität wohnen jedoch den meisten der Exponate inne und | |
werden gewiss jeden Besucher überwältigen. | |
Der 1936 geborene Jean Giraud begeisterte sich bereits als Jugendlicher für | |
Science-Fiction und schuf in den 50ern kleinformatige surreale Gemälde. | |
Eine Initialreise führte Giraud nach Mexiko. Als junger Zeichner | |
assistierte er dem belgischen Comicpionier Jijé (Joseph Gillain) unter | |
anderem bei dessen populärer Westernserie „Jerry Spring“. 1963 startete im | |
Comicmagazin Pilote jene Westernserie, mit der Giraud berühmt wurde: | |
„Leutnant Blueberry“. Derart plastisch hatte vor ihm noch kein Zeichner den | |
Wilden Westen dargestellt. | |
## Wilde Science-Fiction-Storys | |
Um 1973 kam dann die „andere“ Seite des Jean Giraud zum Vorschein. In | |
zunächst meist schwarz-weißen Comics („Die Umleitung“, „Der irre Ständ… | |
offenbarte Giraud sein fantastisches Talent, schuf wilde | |
Science-Fiction-Storys, die surreale Bildeinfälle mit absurden, satirischen | |
und erotischen Inhalten verbanden. | |
Seine Grafik sprengte den Rahmen des üblichen Streifenformats, auch | |
inhaltlich uferten die wilden Geschichten schnell aus – insbesondere jene | |
um „Major Grubert“. Dieser leicht blasierte, romantische Typ aus | |
vergangenen kolonialen Zeiten mit Tropenhelm und Schnurrbart wirkte im | |
Science-Fiction-Kontext wie ein ironischer Fremdkörper. | |
Giraud legte sich – während er „Blueberry“ weiterhin zeichnete und mit | |
„Gir“ signierte – das Pseudonym Mœbius zu, das auf das „orientierungsl… | |
Möbiusband des Mathematikers August Ferdinand Möbius anspielte. Girauds | |
„zweite Identität“ zeichnete leichtfüßiger und freier: mal extrem | |
detailreich, dann satirisch überzeichnend oder auch klar in Linienführung | |
und Bildgestaltung. | |
## Schwindelerregende Originalseiten | |
Im Gegensatz zur herkömmlichen separaten Kolorierung auf Folien wurden die | |
Arzach-Geschichten direkt koloriert – ein Novum. „Arzach“ und der | |
verrätselte Comic „Die hermetische Garage“ (1976) prägten sein neues Image | |
vom zeichnenden Chamäleon mit unberechenbarer Fantasie. | |
Ein weiteres Hauptwerk des Franzosen war die zusammen mit Alejandro | |
Jodorowsky enstandene Serie „John Difool“ (auch: „Der Incal“, ab 1979),… | |
ein komplexes Science Fiction-Universum entwarf – geradezu | |
schwindelerregende Originalseiten vom Fall des Helden sind daraus in Brühl | |
zu sehen. Als Mitbegründer des avantgardistischen Magazins Métal Hurlant | |
und des Verlags Les Humanoïdes Associés schuf Mœbius zudem neue Formate für | |
eine junge Zeichnergeneration. | |
Mœbius’ Einfluss auf den Science-Fiction-Film wird in der Ausstellung | |
gestreift: Die nach einer Story von Dan O’Bannon entstandene SF-Erzählung | |
„The Long Tomorrow“ von 1976 sollte später [1][den „dreckigen“ Look des | |
Films „Blade Runner“] (1982) beeinflussen. Regisseur Ridley Scott hatte | |
Mœbius 1979 als Kostümdesigner für „Alien“ angeheuert. Darüber hinaus s… | |
der Franzose Designs zu Filmen wie Steven Lisbergers „Tron“, James Camerons | |
„Abyss“ oder Luc Bessons „Das fünfte Element“. | |
Der von Mœbius konzipierte Pilotfilm zum ersten geplanten (letztlich aber | |
nicht realisierten) computeranimierten Film „Starwatcher“ (1991) zeugt von | |
seiner Neugier gegenüber neuen Technologien. Überraschend ist eine Reihe | |
abstrakter Bilder, die der Künstler ab den 80er Jahren anfertigte und die | |
beim Betrachter freie Assoziationen auslösen sollen. | |
Verschiedene Motive kehren in seinen Werken variiert immer wieder: endlose | |
Wüsten mit Canyon-artigen Strukturen, Momente des Fallens und Fliegens, | |
Metamorphosen und Transformationen, wie auch spirituelle Reisen durch Raum | |
und Zeit. | |
Die für die Ausstellung vergrößerten digitalen Wandbilder können über eine | |
Smartphone-App auch animiert angeschaut werden. Das ist ein hübsches | |
Gimmick – die stärkste Wirkung entfaltet sich jedoch weniger in den | |
opulenten, zuweilen gefälligen Motiven als dort, wo ganze Comicsequenzen | |
aushängen. Die meist mit Tusche in großen Formaten gefertigten | |
Originalseiten verblüffen durch originelle grafische Einfälle wie auch | |
durch intellektuellen Anspruch. | |
Metamorphosen spielen eine Schlüsselrolle im Werk. Etwa in einer Sequenz | |
von 1974, in der ein sich stetig wandelndes Gebilde einen Mann verschlingt, | |
bis es die Form eines steinernen Eis annimmt, das wiederum aufbricht und | |
ein kleines Männlein freigibt. Sequenzen aus den „Inside Mœbius“-Büchern | |
zeigen zahlreiche Selbstporträts des Künstlers voll Ironie. Mehrmals | |
zeichnet er, wie sich Wucherungen aus seinem Kopf herausschlängeln und auf | |
Zeichenblätter übertragen. | |
## Faible für Metamorphosen | |
Es ist ein Glücksfall, dass die Ausstellung vom Max Ernst Museum | |
(Kuratoren: Dr. Achim Sommer, Patrick Blümel, unter Mitarbeit der Witwe | |
Isabelle Giraud) ausgerichtet wurde. Einige Parallelen verbinden Mœbius mit | |
dem deutschen Künstler: Die Surrealisten um Ernst entwickelten die | |
„Écriture automatique“ (automatisches Schreiben), einen ungefilterten | |
Schöpfungsakt, dessen sich auch Mœbius bediente, der ihn | |
„Bewusstseinsstrom“ oder auch „Dessin automatique“ (automatische Zeichn… | |
nannte. Wie er hatte Max Ernst ein Faible für Metamorphosen und skurrile | |
Selbstporträts: So schuf er das mystische (Vogel-)Wesen „Loplop“ als Alter | |
Ego, das in unterschiedlicher Gestalt auf zahlreichen Werken auftauchte. | |
Am auffälligsten ist jedoch, dass es beide Künstler in die Wüste zog: Ernst | |
lebte in den 40er Jahren auf einer Ranch in Arizona und schuf dort | |
zahlreiche fantastische Landschaften. Mœbius bereiste mehrmals die | |
mexikanische Wüste und lebte zeitweise in Nordamerika, wo ihn die | |
trockenen, felsigen Landschaften zu seinen immer wieder neu variierten | |
futuristischen Wüstenwelten inspirierten. | |
„Die Wüste“, formulierte Mœbius einmal, „betrachte ich als zutiefst | |
fruchtbar, sie birgt für mich das Versprechen einer üppigen und plötzlichen | |
Blüte. Auch ist sie eine perfekte Metapher für die leere Seite.“ | |
11 Nov 2019 | |
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## AUTOREN | |
Ralph Trommer | |
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