# taz.de -- Juergen-Teller-Ausstellung in Bonn: Ein Teller voller Narren | |
> In der Bundeskunsthalle Bonn gelingt es dem Fotografen Juergen Teller mit | |
> „Enjoy Your Life!“, radikal den Intimitätsverlust zu inszenieren. | |
Bild: Juergen Teller, Plates/Teller, No.128, 2016 | |
Von Franken aus übern Tellerrand geschaut, statt Bogenbauer Fotograf | |
geworden, vom Tellerstapler zum Künstler sozusagen, Nacktheit auf den | |
Präsentierteller gehoben, als visueller Story-Teller in London: Die | |
Biografie dieses Fotografen ließe sich leicht in müden Sprachwitzen | |
erzählen. | |
Nicht dass der was dagegen hätte: Der Flachwitz ist bei Juergen Teller | |
Kunstprinzip. „Enjoy Your Life!“ überschreibt er die rund 250 Fotografien, | |
die in Berlin zu sehen sein werden – aber erst mal geht es, Untertitel: | |
„Mit dem Teller nach Bonn“. Autsch. | |
In Bonn macht der Fußballfan eine soziale Banalität wie Public Viewing zum | |
Kunstwerk, indem er mit „Siegerflieger“ eine Wand im Museumsfoyer mit | |
Schnappschüssen vom WM-Gucken tapeziert. Zu Aufnahmen von Pep Guardiola und | |
Philipp Lahm hat er im Weltmeisterjahr 2014 ein Buch verfasst. | |
Das Belanglose rückt er ins Museum. Zugleich entblättert er die Kunst mit | |
einer Leichtigkeit, mit der andere Bananen schälen: Teller zeigt ohne | |
übertriebene Neugier, aber eben auch völlig distanzlos Körperlichkeit, | |
Kommerz und bitterstes Spießer- oder Proletentum. Und seine Angstfreiheit | |
begeistert. | |
## Hinter dem Schild die Selbstbefragung | |
Ein Schild mit Jugendschutz-Hinweis empfängt Besucher im Obergeschoss der | |
architektonisch so akkuraten Bundeskunsthalle. Hinter dem Schild beginnt | |
die Selbstbefragung. | |
Hüfthoch stapeln sich Porzellanteller, ordentlich in Raumecken, am | |
Eingang. Abzüge sind in zurückhaltenden schwarzen Rahmen an die Wände | |
genagelt. Neu ist die Serie „Plates/Teller“ (2016). Wo kein Porzellanteller | |
im Bild ist – als Schambedeckung, als Heiligenschein oder zwischen die | |
Hinterbacken geklemmt –, taucht Juergen Teller als barbiepuppenkleine Figur | |
auf, meist irgendwo auf halber Körperhöhe. | |
Neu sind Aufnahmen aus dem Bonner Kanzlerbungalow, in dem von 1964 bis 1999 | |
gelebt und über die alte Bundesrepublik entschieden wurde. Ein Esel | |
schlurft durchs Foyer, Eva Herzigova am heruntergekommenen Pool entlang, | |
beides funktioniert. | |
Sich selbst porträtiert der Fotograf nackt, rauchend und ein Bier in der | |
Hand auf dem Grabstein seines Vaters stehend, der sich im Februar 1988 | |
getötet hat. | |
## Hat gut getan | |
Daneben Fotos von Penis, Octopus, Schwengel, Banane, Gemächt, | |
Jakobsmuschel, Vulva, Fischgedärmen, was Braunes mit hoffentlich ganz viel | |
Krokant. Ist damit jetzt auch abgehakt, das Pornöse. Hat gut getan. | |
Und so ist das mit der gesamten Schau: Es erleichtert, dem Fotografen | |
zuzusehen, wie er sich in seinen Bildern aus der Enge befreit, in die er | |
geworfen wurde. | |
Geboren 1964 in Erlangen, aufgewachsen als Sohn einer Geigenbauerfamilie im | |
bayerischen Bubenreuth, zieht Juergen Teller mit Anfang 20 nach London. | |
Mit Nirvana – einer noch unbekannten Untergrundband, die er für ein | |
Musikmagazin auf Tournee ablichtet – beginnt seine Fotografenkarriere, und | |
gesamtgesellschaftlich gesehen Grunge. Demonstrative Verwahrlosung wird zum | |
Erkennungsmerkmal für inneren Aufruhr. Verwischter Kajal, fettig | |
gestriegelte Haare, Holzfällerhemden und Doc Martens werden zum Bildbeweis | |
für den emotionalen Schutt einer Teenagergeneration. | |
## Björk kotzt schwarze Spaghetti | |
Teller fügt dieser Come-as-you-are-Inszenierung Glamour und Kommerz hinzu | |
und schafft erst dadurch jene multiplen Widersprüche, aus denen sich seine | |
Kunst speist. Oder er lässt die isländische Sängerin Björk halt schwarze | |
Spaghetti kotzen, das klappt auch. | |
Victoria Beckham stopft er für Marc Jacobs in eine Tüte, sodass die Beine | |
dem Markennamen gemäß ein „M“ ergeben, aber auch an einen gynäkologischen | |
Stuhl erinnern. Den Hintern der Social-Media-Ikone Kim Kardashian-West | |
schickt Teller in „Kayne, Juergen & Kim“ (2015) im Château d’Ambleville | |
einen Kiesberg hoch und ergänzt das nicht immer um ein Schloss oder ein | |
Gesicht. | |
Vivienne Westwood spreizt nackt für seine Kamera die Beine. Den | |
Schauspieler Lars Eidinger serviert er kopfüber auf einen Riesenteller | |
gepinnt wie an ein Andreaskreuz, nackt bis auf die Seidenstrumpfhose, | |
schmutzbeschmiert, bis nur die Augen himmelblau leuchten. | |
## Wald als Rückzugsort | |
Der Deutsche, der bald in London eine Ausstellung zu Robert Mapplethorpe | |
kuratieren wird, schlägt seinem Besucher keine Erektionen wie Metallstangen | |
um die Ohren. Das überlässt er amerikanischen Kollegen. Längst kann Teller | |
sich die Freiheit nehmen, Kommerz und Porno nur als mögliche Ikonografien | |
unter vielen zu betrachten. Er liebe und hasse die Mode, hat Teller gesagt, | |
„auf jeden Fall aber brauche ich sie“. | |
In Bonn berühren besonders Arbeiten, die sein eigenes Leben reflektieren. | |
Teller setzt seine Babys, seine Ehefrau in Beziehung zur Stille seiner | |
Jugend und zu seiner Mutter „Irene im Wald“ (2012), die nach dem Freitod | |
ihres Mannes mit dessen verwitwetem Bruder so etwas wie ein Familienidyll | |
aufbaute. | |
Der Wald habe ihm Sicherheit gegeben, weg vom Alkoholiker-Vater: „Schon als | |
Kind mochte ich ihn“, schreibt Teller einmal und meint den Wald, „er war | |
unheimlich, aber die Friedlichkeit der Umgebung zog mich in ihren Bann.“ | |
Juergen Teller selbst unterzog sich einer F.-X.-Mayr-Kur in einer | |
österreichischen Klinik, gegen das viele Trinken und Rauchen. | |
Auf einem Foto sieht man ihn im Wald kauernd, und da wird’s fäkal. Ist das | |
jetzt schamlos? Man steht davor und sucht innerlich nach einem „Huch“. | |
Vergebens. Sigmund Freud, der Österreicher, fände das ja auch eher gut, das | |
Loslassen. Enjoy Your Life! Jetzt erst recht. | |
17 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Johanna Schmeller | |
## TAGS | |
Fotografie | |
Körperkult | |
Manga | |
Malerei | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ausstellung im Zürcher Migros Museum: Der Körper als Währung | |
Zusammenbrechende Frauen, öffentlich masturbierende Männer: Eine Zürcher | |
Schau zeigt, was passiert, wenn Körper zum Kunstobjekt werden. | |
Comic-Schau in der Bundeskunsthalle: Society is nix | |
Vagabunden, Taugenichtse, Superman: Die Bonner Ausstellung „Comics! Mangas! | |
Graphic Novels!“ zeigt den künstlerischen Reichtum des Genres. | |
Pionierin der abstrakten Malerei: Die das Licht bricht | |
Plötzlich reißt man sich um diese Malerin: Die US-Künstlerin Mary Heilmann | |
und ihre augenzwinkernden Abstraktionen im Kunstmuseum Bonn. | |
Doku über Charlotte Rampling: Außergewöhnlich angeeckt | |
Zum Auftakt einer Hommage zeigt 3sat die Dokumentation „The Look“ mit und | |
über Charlotte Rampling (Sonntag, 22 Uhr). | |
Dokumentarkünstler Akram Zaatari: Gewohnheiten an den Krieg anpassen | |
Das Donnern der Explosionen wurde Teil seines Heimatgefühls: Der Münchner | |
Kunstverein zeigt die erste Einzelausstellung von Akram Zaatari in | |
Deutschland. |