# taz.de -- Interview mit Zeichnerin Anna Haifisch: „Katastrophen sind lustig… | |
> Anna Haifisch kreiert seit Jahren das Bild einer hungernden und leidenden | |
> Künstlerin. Die Leipziger Comic-Zeichnerin erklärt ihren | |
> Bohème-Lifestyle. | |
Bild: Ein Vogel als Alter Ego und eine Schüssel mit Fruit Loops | |
taz.die tageszeitung: Frau Haifisch, seit zwei Jahren zeichnen Sie in „The | |
Artist“ das Leben eines unglücklichen Künstlers. Darin gibt es viele | |
Überschneidungen zu Ihrem eigenen Leben: Beruf, Wohnort, Bekanntschaften. | |
Ihre Hauptfigur erscheint dem Betrachter wie ein Alter Ego. Warum ist diese | |
Figur ausgerechnet ein Vogel? | |
Anna Haifisch: Ich sehe ja auch ein bisschen aus wie ein Vogel. Anders als | |
der „Artist“ habe ich zwar mehr als vier Haare, meine Physiognomie ist | |
allerdings ziemlich schnabelmäßig. Außerdem sind Vögel sehr fragil und | |
kommen recht schwächlich daher. | |
Was macht Ihr Alter Ego so schwach? | |
Der Artist ist nicht wirklich in der Lage, mit den Herausforderungen der | |
Kunstwelt klarzukommen. Er ist vielleicht von vornherein von recht | |
sensibler Gestalt. Die Sachen, denen er ausgeliefert ist, schwächen ihn | |
enorm: sein Wille nach Erfolg und sein Nicht-in-der-Lage-Sein, dieses | |
Bedürfnis auch nur halbwegs zu bedienen. | |
Der Mythos lautet, dass große Kunst nur entstehen kann, wenn der Künstler | |
leidet. | |
Ja, ja, der bittere Geschmack der Armut. Ich finde das fragwürdig. Dieses | |
altväterliche Denken, dass Kunst nur aus Leid kommt, dass man selber etwas | |
durchmachen muss, um es zeichnen zu können. Diese Idee bediene ich mit | |
meiner Figur natürlich total. Ich spiele damit. Vor allem, weil Desaster | |
und Katastrophen einfach lustiger sind als ständiger Erfolg. Die Geschichte | |
wäre dann vielleicht auch nicht so stark. Man muss als Künstler aber nicht | |
leiden. | |
Und wenn Sie auf Ihr eigenes Leben schauen? | |
Ich bin nicht reich, aber ich lebe schon einen kleinen Bohème-Lifestyle. | |
Ich kann aufstehen, wann ich will, und arbeiten, wann ich will. Das ist | |
doch relativ luxuriös. | |
Was braucht es statt des Leids, um es auf dem Kunstmarkt zu schaffen? | |
Eigentlich bin ich ja eher Beobachterin als wirklich Teil des Kunstmarkts. | |
Es gibt immer mal Ausstellungen, wo meine Arbeiten auftauchen. Das liegt | |
aber nur daran, dass Comics gerade en vogue sind. Um die Frage zu | |
beantworten: Ein bisschen Glück gehört immer dazu und jede Menge Zeit, | |
würde ich sagen. | |
Und vermögende Eltern? | |
Und vermögende Eltern! Oder zumindest einen Vorschuss. (lacht) Also | |
tatsächlich irgendetwas, das einem die Zeit gibt, um Arbeiten zu | |
produzieren. | |
Wie ist es mit Ihren Eltern? Wie stehen die zu Ihrer Berufswahl? | |
Die sind ganz zufrieden, haben jedoch eigentlich nichts mit Kunst zu tun. | |
Mein Vater ist in der Krankenpflege, und meine Mutter arbeitet beim | |
Augenarzt, also auch ein Pflegeberuf. Die sind Beobachter, wohlwollende | |
Beobachter. Wahrscheinlich gibt es niemanden, der meinen Namen so häufig | |
googlet wie die beiden. | |
Der Artist besucht in einer Geschichte seine Familie und fällt in Ohnmacht, | |
weil Eltern seinen Tumblr-Account lesen und ein Bild von ihm für ihr | |
renoviertes Bad wollen. Ist Ihnen das Interesse ihrer Eltern peinlich? | |
Nö. Es wäre natürlich ungünstig, wenn sie meine Arbeiten verachten oder | |
nicht verstehen würden. Ansonsten bin ich alt genug. Die Zeit ist vorbei, | |
wo einem die eigenen Eltern peinlich sein müssen. | |
Sie haben an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst studiert. | |
Was waren dort die ersten Schritte? | |
Im ersten Jahr dort dachte ich noch: Ich will Holzschnitte machen. Düsteres | |
Zeug. Viel habe ich letztens erst weggeschmissen, als ich es versehentlich | |
gefunden habe. Das sind die Sachen, die mir wirklich peinlich sind! Richtig | |
widerlicher Kram. | |
Zum Beispiel? | |
Irgendwann habe ich versucht, „Der Zauberberg“ von Thomas Mann zu | |
illustrieren. Eigentlich kein schlimmes Vorhaben. Allerdings war das | |
finster, verschroben und stilistisch ein ganz fieser Abklatsch vom | |
Expressionisten Ernst Ludwig Kirchner. Die von der Hochschule haben mir | |
damals schnell gesagt, dass das nichts sei. Man selbst braucht aber immer | |
erst eine Weile, um das zu sehen. | |
Was kam nach den Holzschnitten? | |
Ich war in einer Klasse für Illustrationen, da hat sich das mit den Comics | |
langsam angebahnt. Ich habe immer Comics gelesen, hatte aber nie Bock, | |
selber welche zu machen. Richtig Fahrt aufgenommen hat das erst, als ich | |
für eineinhalb Jahre nach New York gezogen bin. In Amerika gibt es einfach | |
viel wilderes Zeug als in Europa. Ich habe da in einer Siebdruckwerkstatt | |
gearbeitet und bei James Turek gewohnt, der auch Comics zeichnet und jetzt | |
in Leipzig lebt. Erst in dieser Zeit habe ich angefangen, das ernster zu | |
nehmen. | |
Wenn man nach Comics und Leipzig sucht, findet man nicht viel. Gibt es das | |
abseits von Ihnen überhaupt: eine Leipziger Comicszene? | |
Ja, schon. Also nicht so richtig. Wir haben 2013 den „Millionaires Club“ | |
gegründet. Das ist unser Comic- und Grafikfestival, das wir jedes Jahr zur | |
Leipziger Buchmesse organisieren. Da sind wir zu acht. Drei von uns sind | |
Comiczeichner: Max Baitinger, James Turek aus den USA und ich. Wir wohnen | |
auch alle in der Stadt, sind bei bekannten Verlagen und halbwegs etabliert. | |
Man kann jedoch schon sagen, dass die Szene eher jung ist. | |
Was passiert beim Millionaires Club? | |
Es gibt eine Messe, eine Hand voll Ausstellungen drum herum, Workshops, | |
Lesungen und eine riesengroße Party. That’s it. Das Festival ist noch | |
relativ klein. Was uns wichtig ist, ist, Künstler oder Kollektive | |
einzuladen, die noch nicht so richtig bekannt sind. Oder die im Ausland | |
bekannt sind, aber noch nicht in Deutschland. Der Fokus liegt da weniger | |
auf Mainstreamsachen. Wir können nicht alles abdecken, wollen wir aber auch | |
gar nicht. | |
Man wird Sie also niemals bei Marvel Comics sehen, wie Sie Captain America | |
zeichnen? | |
Ich kenne mich damit auch nicht aus. Superheldencomics haben ja auch einen | |
ganz bestimmten Stil. Den zu simulieren, da würde ich mich lächerlich | |
machen. Captain America wäre bei mir wahrscheinlich ziemlich schlabberig | |
unterwegs, weniger patriotisch und mit Selbstzweifeln geplagt. Vielleicht | |
am Ende seiner Karriere. | |
„The Artist“ steht aktuell auf Halt. Der letzte Comic erschien im Dezember. | |
Kürzlich haben Sie einen zweiten Sammelband veröffentlicht. Welche Pläne | |
gibt es für die Zukunft Ihres Alter Egos? | |
Das ist schwierig zu sagen, wegen des gleichbleibenden Themas: Man schwebt | |
wie ein Geier über dem verröchelten Tier und muss da noch irgendwas | |
rauspicken. Das macht mir Sorgen. Ich brauche noch mehr Ideen, ehe ich neue | |
Geschichten aufschreiben kann. Lieber höre ich auf, bevor ich es später | |
verkacke. Vielleicht setze ich mich im Winter wieder ran. | |
Wegen der deprimierenden Stimmung und den vielen dunklen Stunden? | |
Weil ich wegen der Deadlines dann eh nicht mehr rauskann. Aber die | |
schlechte Stimmung hilft bestimmt auch. | |
26 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Markus Lücker | |
## TAGS | |
Schwerpunkt taz Leipzig | |
Comiczeichner | |
Comic | |
Comic-Held | |
Deutscher Comic | |
Manga | |
Comic | |
Science-Fiction | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Neuer Comic von Anna Haifisch: Musikdrama zum Durchblättern | |
Mit „Ode an die Feder“ ist der dritte Teil der Graphic-Novel-Serie um den | |
Künstler „The Artist“ erschienen. Er ist famos gezeichnet – und mit Stil. | |
Comic-Schau in der Bundeskunsthalle: Society is nix | |
Vagabunden, Taugenichtse, Superman: Die Bonner Ausstellung „Comics! Mangas! | |
Graphic Novels!“ zeigt den künstlerischen Reichtum des Genres. | |
Comics gegen den Krieg: Apokalypse und Anarchie | |
Neues und Altes vom französischen Zeichner Jacques Tardi: das | |
Antikriegsepos „Der letzte Ansturm“ und das Meisterwerk „Hier Selbst“. | |
Comic- und Grafikfest in Leipzig: Von Fans für Fans | |
Parallel zur Buchmesse trafen sich Zeichner im „Millionaires Club“. Sie | |
redeten über ihre Mütter, ihr Sexualleben und die Arbeit. | |
Science-Fiction-Comic: Raumfahrer im falschen Körper | |
Im neuen Comic-Abenteuer „Valerian und Veronique“ der Raum-Zeit-Agenten | |
entpuppt sich ein arabischer Lebensmittelladen als Raumschiff. |