# taz.de -- Comic über Krebs: Gegen den Tod antoben | |
> Im Februar ist die Autorin Jutta Winkelmann an Krebs gestorben. In einem | |
> Comic erzählt sie vom Umgang mit der Krankheit. | |
Bild: Jutta Winkelmann lebte mit Rainer Langhans in der Kommune 1. Er begleitet… | |
Als Jutta Winkelmann am 23. Februar starb, blieb es erstaunlich ruhig. Die | |
Zeitungen und Onlineportale vermeldeten ihren Tod wie einen Autounfall auf | |
einer Nebenstraße. Wenig Worte wurden gemacht um eine Frau, über die man | |
sich Jahrzehnte lang das Maul zerrissen hatte. Weil sie in einer | |
„Sexkommune“ lebte. Weil sie Teil eines „Harems“ war. Weil sie zusammen… | |
ihrer Zwillingsschwester Gisela barbusig und bar aller Engstirnigkeit ein | |
dem Erleben zugeneigtes Leben geführt hatte, das die Gesellschaft dann | |
begreifen kann, wenn man Frauen als „It-Girls“ bezeichnet. Wenn man sie | |
ein- und zuordnet. Dorthin, wo die Liederlichen, so sie denn mit Künstlern | |
zusammen sind, ein wenig Liederlichkeit verlieren und als exotische | |
Lebenskünstler abgestempelt werden können. | |
Jutta Winkelmann, 1949 in Kassel geboren, hatte sich entschieden, mit mehr | |
als einem Menschen in einer Liebesgemeinschaft zusammenzuleben. Und sie | |
hatte sich für Rainer Langhans entschieden. Einen Mann, an dem, so man ihn | |
will, auch immer andere Frauen hängen. Auch ihre Schwester. Jahrzehntelang | |
wurde ihre Lebensform unter dem Gesellschaftsmikroskop betrachtet, eine | |
Petrischale des subversiven Miteinanders. Jahrzehntelang ließen die | |
großenteils als KünstlerInnen, FilmemacherInnen und AutorInnen tätigen | |
Haremsmitglieder die Öffentlichkeit teilhaben an ihrem Versuch, die | |
Beschränkungen des eigenen Ichs im Zusammensein mit Anderen zu überwinden. | |
Gesellschaft und Harem – man liebhasste sich in einseitiger Faszination. | |
Jutta Winkelmann, die Filmemacherin, Schauspielerin und Autorin, bekam | |
Krebs. Vor 15 Jahren zuerst, eine Brust wurde entfernt. Dann kam der Krebs | |
zurück; es war bald klar, dass er nicht klein und niedlich war, sondern | |
böse und wuchtig. Dass er gekommen war, um zu bleiben. | |
Wie so viele, die mit Worten und Bildern arbeiten und erkranken, hat auch | |
Jutta Winkelmann ihren Krebs nicht einfach ertragen, sondern hat, wenn sie | |
ihn schon nicht bändigen konnte, zumindest das zu bändigen versucht, was er | |
mit ihr tat. Sie begann ihr Leben, das langsam zum Schlachtfeld wurde, mit | |
Worten und Bildern festzuhalten. Sie hat mit und gegen den Krebs | |
geschrieben. Und, sie hat Fotos gemacht. | |
Sie hat ihre Behandlung, ihre Zeit im Krankenhaus, zu Hause, aber auch ihre | |
letzte Reise nach Indien mit ihrem Handy fotografiert und mithilfe eines | |
Computerprogramms die Fotos so bearbeitet, dass sie eine zeichnerische | |
Optik erhalten und sich wie ein Comic lesen lassen. Es sind Bilder von | |
großer Intimität und Schonungslosigkeit. Das ist faszinierend und abstoßend | |
zugleich. Manche Bilder sind nur schwer zu ertragen. | |
## Zwischen Annahme und Kampf | |
Die Besonderheit des daraus resultierenden Buchs ist aber nicht nur die | |
Verwandlung des Geschehens in eine Graphic Novel. Es ist vielmehr die aus | |
ihrem Lebensstil resultierende so eigene Sprache und Gedankenwelt. Nicht | |
neu ist das Schwanken zwischen Annahme und Kampf, zwischen Hingabe an das | |
Schicksal und dem Aufbäumen dagegen. Man kennt diese Beschreibungen aus den | |
meist von Männern verfassten „Mein Kampf gegen den Krebs“-Büchern, die sie | |
vor allem dann schreiben, wenn sie vor ihrer Krankheit wichtig waren. Guido | |
Westerwelle, Christoph Schlingensief, Jürgen Leinemann. | |
Wie allenfalls Schlingensief tobt Winkelmann gegen den Tod an, artikuliert | |
ihre Wut und Verzweiflung in bewundernswerter Klarheit und berührender | |
Naivität. Was sie während der Behandlung an Leid und Schmerzen aushält, | |
lässt darüber staunen, wie groß unser Lebenswille selbst dann ist, wenn der | |
Tod eine Erlösung sein müsste. | |
Jürgen Leinemann, ein Journalist, der 2013 an seiner Krebserkrankung starb, | |
erklärte diese Bücher als Versuch, der Individualität noch einmal Ausdruck | |
zu geben. Jutta Winkelmann gelingt das auf eine Art, die nicht nur deutlich | |
macht, wer da gestorben ist: eine kluge, interessante, reflektierende, | |
selbstironische, das Leben herausfordernde und sich ihm in allen Facetten | |
stellende, wilde Frau. Diese Dokumentation des Kampfs mit dem Tod | |
vermittelt noch einmal mehr die Utopie von der freien Liebe, für die Jutta | |
Winkelmann gekämpft hat, und für die sie als Person steht. | |
## Unterdrückte Aggression | |
Eine Passage über eine Reise mit Christa Ritter und Rainer Langhans | |
illustriert perfekt die Ambivalenz der Absicht wie auch die unterdrückte | |
Aggression der Beteiligten: „Christa setzt gegen unsere Abmachung ein | |
scheußliches Nacktfoto von mir auf fb. Ohne zu fragen, ohne zu kooperieren, | |
ohne mich zu beteiligen! Ich bin wahnsinnig entsetzt und verletzt. Sie hat | |
es geschafft, meinen dürren Körper so darzustellen, … und damit es noch so | |
richtig gut kommt, hat sie ausgerechnet den Moment abgewartet, an dem ich | |
mir den Sand aus der Poritze kratze. Wild gestikulierend steht Rainer vor | |
mir. Seine Eier baumeln fast bis zu den Kniekehlen. Ich bin fassungslos, | |
warum Christa das macht. Dieses Bild da reinsetzt, obwohl sie mir zwei Tage | |
vorher fest zugesagt hat, nein, nein, das mache ich nicht, das ist nur für | |
uns.“ | |
Jutta Winkelmann wettert im weiteren Verlauf gegen Ritters „von Rainer | |
abgelauschte Ideologie“, das Private sei politisch. „Das ist ein Scheißbild | |
und nichts Privates oder Politisches.“ Ihr Buch „Mein Leben ohne mich“ ist | |
privat, wie es privater nicht sein könnte. Es ist ungemein politisch. | |
16 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Silke Burmester | |
## TAGS | |
Deutscher Comic | |
Graphic Novel | |
Krebs | |
Kommune 1 | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Manga | |
Deutscher Comic | |
Deutscher Comic | |
Comic | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Comic-Schau in der Bundeskunsthalle: Society is nix | |
Vagabunden, Taugenichtse, Superman: Die Bonner Ausstellung „Comics! Mangas! | |
Graphic Novels!“ zeigt den künstlerischen Reichtum des Genres. | |
Die Comicjournalistin: Mein Onkel, der Wehrdienstverweiger | |
In ihren Comics zeigt die Zeichnerin Hannah Brinkmann ihren Blick auf die | |
Realität. Gerade arbeitet sie an einem Werk über ihren Onkel | |
Versteckte Comictalente: Alles Gute kommt von unten | |
Der Carlsen-Verlag hat den Strips im Norden den Weg bereitet. Doch wer das | |
Abenteuer sucht, muss sich inzwischen im Netz umtun | |
Neuer Lucky-Luke-Comic: Gefilte Fisch im Wilden Westen | |
Lucky Luke, der „poor lonesome cowboy“, ist zurück. „Das gelobte Land“ | |
widmet sich den Abenteuern jüdischer Auswanderer. |