# taz.de -- Tiermediziner über das Schlachten: „Die meisten Tiere leiden zu … | |
> Bei der üblichen Betäubung mit Kohlendioxid führen Schweine einen 15 bis | |
> 20 Sekunden langen Todeskampf, kritisiert Michael Marahrens. | |
Bild: Bevor die Schweine dort landen, müssen sie betäubt werden. Meist geschi… | |
taz: Herr Marahrens, vor Kurzem wurde ein Schlachthof im bayerischen | |
Fürstenfeldbruck geschlossen – auch weil dort Schweine trotz mangelhafter | |
Betäubung getötet worden waren. Sind das Einzelfälle in der | |
Schlachtbranche? | |
Michael Marahrens: Das sind Einzelfälle, die aber immer wieder auftreten. | |
Unzureichende Betäubung ist ein Problem, weil etwa Schweine anschließend | |
durch einen Messerstich entblutet werden, was den Tod verursacht. Wenn sie | |
das wahrnehmen können, erleiden sie schwere Schmerzen, die | |
tierschutzrelevant sind. | |
Wie fehleranfällig sind verschiedene Betäubungsverfahren in der Praxis? | |
Schweine fahren meist in Gondeln in eine Grube, wo die Luft zu mindestens | |
80 Prozent aus Kohlendioxid besteht. Dieses Gas hat eine betäubende | |
Wirkung. In der letzten größeren Studie waren danach durchschnittlich | |
weniger als 1 Prozent der Tiere noch wach. Bei der Elektrobetäubung waren | |
es 1 bis 2 Prozent. Je nach Betäubungsmethode und Verhalten des Personals | |
können die Anteile in einzelnen Schlachthöfen bedeutend höher sein. | |
Wie gehen Schlachter bei Geflügel und Rindern vor? | |
Hühner und Puten werden meist in einen Tunnel mit CO2 transportiert. Bei | |
Rindern wird mit einem Bolzenschuss das Stammhirn zertrümmert und eine | |
schwere Gehirnerschütterung ausgelöst, was schlagartig betäubt. Aber | |
manchmal bedient der Schlachter das Gerät falsch und muss den Schuss | |
wiederholen. Es gibt Statistiken auf Grundlage der Zählung von | |
Einschusslöchern in Rinderschädeln, die zeigen, dass Fehlbetäubungsraten | |
von bis zu 7 Prozent aufgetreten sind. | |
Also ist Betäuben mit CO2 aus Tierschutzsicht die beste Wahl? | |
Nein, denn das wirkt nicht sofort. Wenn die Schweine Luft mit hohen | |
CO2-Anteil einatmen, haben sie das Gefühl, zu ersticken. Darauf reagieren | |
sie mit erheblicher Panik, reißen die Schnauzen nach oben, schreien. Dieser | |
Todeskampf wird bei vorhandenem Wahrnehmungs- und Empfindungsvermögen | |
durchlebt. Er dauert 15 bis 20 Sekunden. | |
Gibt es weitere Nachteile? | |
Auf den feuchten Schleimhäuten des Atmungstrakts bildet sich das CO2-Gas | |
Kohlensäure. Die ist stechend reizend, verursacht also Schmerzen. | |
Stresshormone erreichen bei den Tieren in CO2-Betäubungsanlagen die 500- | |
bis 1.000-fache Konzentration des Normalen. Allein das kennzeichnet | |
schwerstes Leiden. Deshalb muss man feststellen: Die meisten Tiere in | |
Schlachthöfen leiden zu viel. | |
Ist das legal? | |
Solange die rechtlichen Auflagen wie die maximal zulässigen Zeiträume | |
zwischen Betäubung und Entblutung sowie die Konzentration des Gases | |
eingehalten werden: ja. In der Regel werden diese Auflagen sogar | |
übertroffen. 10 Sekunden nach der Elektrobetäubung und 20 Sekunden nach der | |
CO2-Betäubung muss gestochen werden. Schlachthöfe, die längere Intervalle | |
benötigen, um das letzte Tier in der Gruppe zu stechen, sind in der Regel | |
bei 70/80 Sekunden statt 20. Die haben eine Ausnahmegenehmigung. | |
Warum wird überhaupt noch CO2 eingesetzt? | |
Weil ich damit 850 Schweine pro Stunde und Betäubungsfalle schlachten kann. | |
Mit Elektrobetäubung schafft man nur 220 Tiere, denn dabei muss ja jedes | |
Schwein erst einmal möglichst stressfrei fixiert werden, bevor man die | |
Elektroden ansetzen kann. Deshalb werden die meisten Schweine heutzutage | |
mit CO2 betäubt. Nur die meisten kleinen und mittleren Betriebe verwenden | |
Strom. | |
Gibt es Alternativen zu CO2 in großen Schlachthöfen? | |
Wir suchen danach. Bei Versuchen mit Stickstoff waren die Reaktionen der | |
Tiere nur halb so stark wie bei CO2. Das ist immer noch zu viel. Doch wir | |
wissen jetzt: Das Prinzip wirkt – aber es muss noch optimiert werden. | |
Wie kontrollieren die Behörden Schlachtbetriebe? | |
Es ist ständig ein Amtstierarzt vor Ort. | |
Wie sind dann Missstände wie in Fürstenfeldbruck möglich? | |
Weil manche Unternehmer und die von ihnen bestimmten Tierschutzbeauftragen | |
ihrer gesetzlichen Verantwortung nicht nachkommen. Die amtliche Überwachung | |
kann nicht lückenlos sein. Sie kann nicht ständig an der Betäubung und im | |
Wartestall stehen. Aber sie sollte natürlich stichprobenartig gucken, was | |
da abläuft. Und wenn jetzt von dritter Seite – in diesem Fall von | |
Tierschützern – viele und über lange Zeit ständig wiederkehrende Fehler | |
festgestellt werden, muss die Effektivität der Überwachung infrage gestellt | |
werden. Solche Fälle passieren ja immer wieder. | |
Woran liegt das? | |
Fachlich wird der Amtstierarzt vor Ort in den meisten Bundesländern von der | |
zuständigen Mittelbehörde beaufsichtigt. Sein unmittelbarer Dienstherr ist | |
aber in der Regel der Landrat, der auch die Interessen der Wirtschaft in | |
seinem Kreis im Auge hat. Außerdem sind in einigen Bundesländern zu viele | |
Behörden beteiligt, wenn Sanktionen verhängt werden sollen. Das führt zu | |
Reibungsverlusten. | |
Wie viele Verstöße gegen Tierschutzvorschriften gibt es in deutschen | |
Schlachthöfen? | |
Das kann ich nicht beantworten, weil der rechtliche Vollzug dieser | |
Vorschriften bei den Ländern liegt, und die führen in der Regel keine | |
Statistiken darüber. Ich finde das problematisch. Die systematische Tötung | |
von Tieren muss transparenter werden, sonst kommt das Thema nicht aus der | |
Diskussion raus. | |
Hat es nicht auch Vorteile, dass jetzt in der Öffentlichkeit über | |
Schlachtung gesprochen wird? | |
Ich finde das gut, weil so wesentliche Verbesserungen in der Technik, in | |
den Abläufen und im Umgang mit den Tieren befördert werden. Viele | |
Schlachthöfe sind teilweise auf dem technischen Stand der 70er Jahre. Die | |
könnten viel besser werden, aber die Gewinnmargen sind so gering, dass | |
Investitionen kaum möglich sind. | |
60 Prozent der Tiere in Fürstenfeldbruck waren bio. Wie unterscheiden sich | |
die Vorschriften für die Schlachtung bei öko und konventionell? | |
Die Bio-Tierschutzstandards gehen zwar erheblich weiter als die | |
konventionellen. Die Schlachtung aber unterscheidet sich nicht. Ich kenne | |
kein Bio- oder Tierschutzlabel, das bestimmte Betäubungsverfahren oder | |
-abläufe vorschreibt. Anders ist das bei den Transporten zum Schlachthof. | |
Da werden Zeitlimits gesetzt, mitunter sogar die Ladedichte begrenzt. | |
Wie beurteilen Sie die Methode, Tiere direkt auf der Weide zu erschießen? | |
Das ist dem Bolzenschuss gleichzusetzen. Es muss das Gehirn direkt | |
getroffen werden. Das geht nur mit wirklich geübten Schützen. Mittlerweile | |
ist das legalisiert. Aus der Sicht des Tieres: Wenn ich schon geschlachtet | |
werden müsste, dann so. Ich werde aus der Gruppe nicht vereinzelt, ich | |
werde nicht zum Schlachthof verbracht, ich werde dort nicht der Stress | |
verursachenden Technik und dem Personaleinfluss unterworfen und so weiter. | |
Aber so kann man keine großen Mengen Fleisch produzieren, oder? | |
Nein, schon weil jedes Mal eine Ausnahmegenehmigung durch die Behörde nötig | |
ist. | |
Was empfehlen Sie Verbrauchern, die Schlachtungsmissstände vermeiden | |
wollen? | |
Fleisch von Landwirten, die ihre Erzeugnisse direkt oder regional | |
vermarkten. Oder Fleisch aus sehr kleinen Schlachthöfen, die nur wenige | |
Tiere pro Tag schlachten und zum Beispiel ihre Schweine mit Strom betäuben, | |
ohne dass sie vereinzelt und fixiert werden. Denn je größer der Betrieb, | |
desto länger ist im Durchschnitt der belastende Transport zum Schlachthof. | |
Und je größer, desto wahrscheinlicher ist die Betäubung mit CO2. Aber es | |
gibt keine Kennzeichnung der Fleischprodukte nach der Schlachtmethode. Man | |
kann nur versuchen, das beim Verkäufer zu erfragen. | |
Das ist schwierig. | |
Ja. Wer ganz sichergehen will, darf eben kein Fleisch essen – denn dazu | |
gehört das Töten des Tieres. | |
23 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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