| # taz.de -- Schau über Ernährung der Zukunft: Fauliges kultivieren | |
| > Transhumanismus lautet das Zauberwort der Ausstellung „Food Revolution | |
| > 5.0“ in Hamburg. Sie will kritisch auf Essgewohnheiten blicken. | |
| Bild: Erweitertes Verdauungssystem, Anthony Dunne & Fiona Raby | |
| Mit der kleinen Gabel isst man mehr. Da ist man panisch, nicht genug zu | |
| bekommen und schaufelt hinein. Auch bei zucker-, salz- und fettreichen | |
| Speisen essen wir zu viel, das Gehirn merkt erst nach 20 Minuten, dass | |
| nichts mehr passt. Das Gegenmittel? Gabeln mit Riesenzinken und | |
| labyrinthisch geformte Teller-Hauben, die das Tempo drosseln. | |
| Portionierung lautet die Formel der Designer, die sich für die Ausstellung | |
| „Food Revolution 5.0.“ im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe mit | |
| Ess-Usancen befasst haben. Denn irgendwo muss man anfangen mit dem Kampf | |
| gegen Verschwendung, subventionierte Lebensmittelvernichtung, Landgrabbing. | |
| Allerdings will diese Schau nicht moralisieren. Sie macht Vorschläge. | |
| Präsentiert Best Practice-Beispiele und Spekulatives von 30 internationalen | |
| kritischen Designern. | |
| Das Spektrum ist breit, die Aussage vage. Da gibt es die Idee, den Konsum | |
| von Fleisch einzudämmen und durch Pflanzen zu ersetzen. Etwa mit der | |
| Indoor-Farm am Eingang, wo in pinkfarbenem LED-Licht Salatpflanzen keimen. | |
| Andere wollen zurück zu vergessenen Kulturtechniken und Berufen. Ein Video | |
| von Hanan Alkouh zeigt, wie man Fleisch durch Seetang ersetzen und zugleich | |
| den Schlachterberuf retten kann, denn die Verarbeitungstechnik ist | |
| dieselbe. Aber warum soll der Schlachterberuf leben, wenn Fleischkonsum ein | |
| Auslaufmodell ist? Es gehe, sagt Kuratorin Claudia Banz, um Maßhalten und | |
| Wertschätzung. Darum, dass der Braten wieder etwas Besonderes sei und man | |
| Tiere, die für uns stürben, wieder kennen lerne. | |
| ## Bauklotz und Laufrad | |
| Exemplarisch hat Andrea Staudacher das vom Bauern sorgsam aufgezogene | |
| „Schwein1738“ geschlachtet, die Einzelteile in Damien-Hurst-Manier in | |
| Formaldehyd getunkt und in durchsichtige Kästen gelegt. Die stehen jetzt | |
| wie Bauklötze da, die Besucher dürfen sie zum Schwein zusammenpuzzlen. Der | |
| Erfahrungsbericht der Künstlerin, die sich am Gefühl berauscht, Geld gegen | |
| ein Schweineleben zu tauschen, liest sich seltsam kühl. | |
| Ähnlich trüb steht es um das Huhn Austin Stewarts, das, auf ein Laufrad | |
| platziert, in der Legebatterie bleibt. Eine Virtual Reality-Brille | |
| suggeriert ihm ein Bauernhofleben, damit es „glückliche“ Eier legt. Wie | |
| ethisch ist so ein Vorschlag, der die Verbesserung des physischen Wohls gar | |
| nicht mehr erstrebt? Kuratorin Banz sagt, die sei ein platzsparendes | |
| Produktionsmodell in Zeiten der Urbanisierung. Warum nicht auch die | |
| Essensproduktion ballen, nah an die Verbraucher ziehen? | |
| Und es geht noch enger: Dicht am Körper soll man den von Michael Burton und | |
| Michiko Nitta entworfenen Anzug aus Algen tragen, die wir mit Atemluft | |
| nähren und dann essen. Wer nicht vom Fleisch lassen will, kann auch mit | |
| Chloe Rutzervelds an der Brust getragenem Bioreaktor-Amulett eigenes | |
| Muskelgewebe zum Verzehr generieren. Die Absurdität der Vision spiegelt die | |
| der Gegenwart. | |
| Echte Evolution wäre für den Europäer eher die Überwindung des Ekels vorm | |
| so proteinhaltigen Insekt. Wieder hilft der Designer: In die Form des | |
| „falschen Hasen“ hat Carolin Schulze ihre Mehlwürmer gepresst. Sie hat uns | |
| die vertraute Form gebaut, um vom Ursprung der Speise abzulenken. Die Suche | |
| nach alternativen Lebensmitteln wird nötiger werden, wenn 2050 rund neun | |
| Milliarden Menschen auf der Erde leben. Da wird es sinnvoll sein, per | |
| 3-D-Drucker Hefe und Sporen zu schaffen, ein paar Tage lang dem Licht | |
| auszusetzen, damit nahrhafte Pilz-Happen entstehen. | |
| Wenn das nicht reicht, können wir als Urban Foragers mit Dunne & Rabys | |
| Alphorn-ähnlichen Schnorcheln nach Beeren, Gräsern, Blättern suchen. Werden | |
| mit unserem synthetisch veränderten Verdauungsapparat Tollkirsche und | |
| Fliegenpilz vertragen. Nehmen wir dann noch ein paar neue Bakterien ein, | |
| mundet uns, den „Transhumanisten“, auch das verfaulte Essen von Paul Gong. | |
| Kleine „Hilfe zur Selbsthilfe“-Vorschläge sind das, Reaktionen auf einen | |
| strukturell bedingten Missstand. Ganz leise klingt in Isabel Magers Collage | |
| „Intimacy of Food and War“ an, dass Krieg und Essen stets zusammenhingen, | |
| etwa als Hungerblockaden und Hungerrevolten. Andererseits funktioniert | |
| Nahrungsindustrie schon heute wie eine Kriegsmaschinerie, abgeschottet auf | |
| Riesenfeldern und in sterilen Fabriken. Die Hamburger Schau spiegelt das in | |
| einer Fotoserie von George Steinmetz – zu ästhetisch, um Anklage zu sein. | |
| Mit „Revolution“ meint diese Schau eher das private Tun: die Symbiose alter | |
| und moderner Techniken, dazu die Abkopplung von | |
| Lebensmittel-Fremdversorgung durch heimische Food Farms, Fermentation und | |
| Insektenzucht. Autarkie von öffentlichen Stromversorgern generieren | |
| Heukisten als Gar-Öfen, stromlose Eisblock-Kühlschränke sowie die Lagerung | |
| von Lebensmitteln in Sandkisten wie zu Omas Zeiten. | |
| „5.0“ bedeutet hier die Emanzipation von der smarten Küche als Bühne | |
| interagierender Maschinen. Der Konsument soll wieder Produzent werden und | |
| sich in Gruppen zu Urban Gardening und Co-Producing vereinen. Ein | |
| subversiver Appell zum Kampf etwa gegen den Saatgut-Monopolisten Monsanto | |
| ist das nicht. Das kann diese Schau auch nicht sein. Denn sie ist – Design. | |
| 21 May 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
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