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# taz.de -- Landgrabbing in Brandenburg: Erbeutetes Bauernland
> Durch einen zwielichtigen Deal hat der Versicherer Münchener Rück riesige
> Agrarflächen erworben – und dabei zwei Millionen Euro Steuern gespart.
Bild: Feldbestellung in Brandenburg: Die einfachen Bauern bleiben auf der Strec…
Berlin taz | Der größte Rückversicherungskonzern der Welt, Münchener Rück,
widmet seiner „unternehmerischen Verantwortung“ ein ganzes Kapitel auf
seiner Website. Die Mitarbeiter der Firmengruppe, heißt es, seien nicht nur
[1][zu einem „rechtlich“, sondern auch „ethisch“] einwandfreien Verhalt…
verpflichtet. Doch dieses Gelübde halten sie nicht immer ein, wie nach
taz-Recherchen ein Fall aus Brandenburg zeigt. Die Vergehen reichen von
Landgrabbing – also der illegitimen Aneignung von Land – bis zum
Austricksen des Finanzamts.
Weil Staaten und Banken kaum noch Zinsen, etwa auf Anleihen, zahlen,
investieren Konzerne wie die piekfeine Münchener Rück AG, die sich gern
„Munich Re“ nennt, in Agrarland. „Der Umfang“, schreibt der Versicherer…
taz, „liegt im zweistelligen Millionenbereich.“
Getrieben auch durch branchenfremde Anleger haben sich seit 2007 die
Verkaufswerte von landwirtschaftlich genutztem Land [2][im Schnitt mehr als
verdoppelt]. Normale Bauern können in diesem Bieterkampf oft nicht mehr
mithalten. Die hohen Landpreise belasten ihre Einkommen, was zum Sterben
vor allem kleinerer Höfe beiträgt. Auch die Verbraucher zahlen einen Teil
der hohen Bodenkosten über höhere Lebensmittelpreise. Zudem fließen die
Gewinne, etwa aus der Verpachtung von Agrarland, in Investorenhand, aus den
oft armen Regionen in der Provinz in eh schon reiche Städte. So wird das
Vermögen immer ungleicher verteilt.
Deshalb verlangt das Grundstückverkehrsgesetz: Wenn Agrarland veräußert
werden soll, muss es zuerst ortsansässigen Bauern angeboten werden. Diese
Regel war für die Münchener Rück ein Problem, als sie Mitte 2015 in rund
2.300 Hektar Felder von 14 Tochtergesellschaften der KTG Agrar investieren
wollte. KTG war damals der größte Ackerbaukonzern Deutschlands, brauchte
aber dringend Geld und ist mittlerweile pleite.
## Die Steuer umgangen
2014 hatte er bereits etwa 4.400 Hektar in Litauen an die Münchener
verkauft. So einfach wäre das in Brandenburg wegen des
Grundstückverkehrsgesetz nicht gegangen. Um es zu umgehen, übertrugen die
KTG-Töchter das Land an eine andere KTG-Firma, die ATU Landbau GmbH. Dieses
Unternehmen bewirtschaftete Agrarflächen und saß in Brandenburg, galt also
vor dem Gesetz als Landwirt. Deswegen bekam es am 30. Juli 2015 vom
Landkreis Prignitz die Genehmigung. Weniger als drei Wochen später jedoch
kaufte die Münchner Rück 94,9 Prozent der ATU.
Da das Gesetz für Verkäufe von Anteilen einer Firma mit Agrarflächen keine
amtliche Erlaubnis verlangt, konnten die Behörden nicht verhindern, dass
die ATU samt 2.263 Hektar in Brandenburg sowie 577 weiterer Hektar
mehrheitlich bei Munich Re landete. Dafür musste der Versicherer wegen
einer weiteren Gesetzeslücke noch nicht einmal Grunderwerbsteuer zahlen;
dem Staat entgingen allein für die 2,263 Hektar schätzungsweise mindestens
1,8 Millionen Euro.
Der Fall zeigt, wie weit es mit der Ethik der Münchener Rück wirklich her
ist. Er zeigt aber auch, wie schlecht manche Landkreise das
[3][Grundstückverkehrsgesetz] anwenden. „Wenn eine so große Transaktion wie
der KTG-Deal auf meinem Tisch landen würde, würde ich da schon viel genauer
nachhaken“, sagt ein Behördeninsider der taz. Schließlich ist die Fläche
[4][mehr als 800-mal größer als der Durchschnitt aller 2015 in Deutschland
verkauften Äcker].
## Versäumnisse der Behörden
Der Landkreis Prignitz dagegen, der sich auf Anfrage der taz nicht äußern
wollte, versäumte es sogar, wie im Gesetz vorgeschrieben, die
Bauernverbände vor der Genehmigung anzuhören. So hätte er Landwirte finden
können, die KTG-Felder kaufen wollen. Das teilte die Aufsichtsbehörde, das
Agrarministerium in Potsdam, der taz mit.
Der Landkreis habe die Anhörung nicht für erforderlich gehalten, weil er
seiner Meinung nach den Verkauf an die ATU ohnehin genehmigen müsste.
„Damals“, schreibt das Ministerium der taz, „wurde eine mögliche
Genehmigungsversagung bzw. Vorkaufsrechtsausübung nicht geprüft, weil der
Käufer den Anschein erweckte, dass er nach dem Flächenerwerb weiterhin ein
brandenburgischer Landwirtschaftsbetrieb sein würde.“
Dabei sei die ATU ja kurz nach der Genehmigung an die Münchener verkauft
worden, „was natürlich bereits zum Zeitpunkt der Genehmigung geplant war
und der Genehmigungsbehörde verschwiegen wurde.“ Dafür spreche, dass der
Zeitraum von knapp drei Wochen zwischen Erlaubnis und dem Eigentümerwechsel
der ATU „zu kurz für die üblichen Prüfungen vor einem Unternehmenskauf“
sei.
## Nachträgliche Prüfung
Mittlerweile hat das Ministerium nach eigenen Angaben die Prignitzer
ermahnt, bei solchen Verkäufen immer die Verbände anzuhören. Die
Landwirtschaftsbehörden prüfen nun, ob die Genehmigung rückgängig gemacht
werden kann. Dazu befragen sie bis 18. November die Bauernverbände, ob
jemand aus ihren Reihen einen Teil des Landes kaufen will. Das wäre eine
Voraussetzung, um Verkäufe an die ATU nachträglich zu untersagen.
Allerdings wird es wohl nicht für alle Flächen Interessenten geben. Denn
die Preise sind hoch, und vor allem hat die ATU schon Tatsachen geschaffen:
Sie hat das Land langfristig an andere KTG-Tochterfirmen verpachtet. Käufer
könnten die Äcker also erst mal nicht selbst bewirtschaften.
Unterstützung erhält das Ministerium von einem ausgewiesenen Experten für
das Bodenrecht: von Reimund Schmidt-De Caluwe. „Mir scheint viel für die
Ansicht des Agrarministeriums zu sprechen“, sagte der Jura-Professor an der
Universität Halle. Auch er sieht „konkrete Anhaltspunkte“ dafür, dass bei
dem Geschäft das Gesetz umgangen werden sollte. Zum Beispiel habe es
offenbar „keinen eigenständigen unternehmerischen Nutzen“ gehabt, dass die
ATU die Flächen erwirbt.
## Konzerne mauern
KTG ließ Bitten der taz um Stellungnahme unbeantwortet. Die Münchener Rück
dementierte, den Ämtern seien wichtige Angaben verschwiegen worden. Die ATU
„lieferte die notwendigen Informationen an die Genehmigungsbehörde“,
erklärte der Konzern der taz. Die Erlaubnis sei „rechtswirksam erteilt“
worden. Interessanterweise antwortete das Unternehmen auf die Frage, ob es
bereits zum Zeitpunkt der Genehmigung geplant habe, die ATU zu kaufen:
„Über Absichten/Pläne informieren wir nicht.“
Und was ist mit dem Argument, das Land sollte besser in der Hand von
ortsansässigen Bauern bleiben? Die Flächen seien doch an Landwirte
verpachtet, „welche Wertschöpfung und Arbeitsplätze in der Region sichern
bzw. neu schaffen“, verteidigt sich der Versicherer. Allerdings: Die
Pachteinnahmen fließen dann doch nach München. Und die „Landwirte“, das
sind mittlerweile im wesentlichen Beteiligungen der Gustav-Zech-Stiftung,
die die Firmen nach der Insolvenz der KTG Agrar gekauft hat.
[5][Stiftungssitz: Vaduz, Liechtenstein].
15 Nov 2016
## LINKS
[1] https://www.munichre.com/corporate-responsibility/de/responsibility/corpora…
[2] https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Preise/Baupreise/Kaufwe…
[3] https://www.gesetze-im-internet.de/grdstvg/BJNR010910961.html
[4] https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Preise/Baupreise/Kaufwe…
[5] http://www.moneyhouse.li/de/c/gustav-zech-stiftung_11004055
## AUTOREN
Jost Maurin
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