# taz.de -- Grüne Woche noch bis Sonntag: Messe für die Masse | |
> Tausende schlemmen sich jedes Jahr durch die die größte Agrarmesse der | |
> Welt. Dabei müssen sie einige Kritikpunkte aktiv ausblenden. | |
Bild: Nicht vergessen: die Grüne Woche ist eine Veranstaltung der industrielle… | |
Alles ist grau in Berlin. Der Himmel, die Gebäude des Messegeländes, die | |
Maschinengewehre der Polizei. Alles ist grau am Freitag, und die Grüne | |
Woche beginnt. Eine Großveranstaltung, die 380.000 Menschen besuchen. Eine | |
Messe für die Massen, auf der sich Länder, Regionen und Marken vor allem | |
kulinarisch präsentieren. | |
Eine Welt der Klischees tut sich auf in den 26 Hallen, mit den 1.600 | |
Ausstellern aus 66 Ländern: laute Volksmusik und bunte Blumenkränze in der | |
ukrainischen Halle, wo es Blinis gibt und Schnaps. In der skandinavischen | |
Halle riecht es nach unbehandeltem Holz, Sandelholzgeruch beim tunesischen | |
Stand, und in der Schweizer Halle riecht es, nun ja, nach Käse eben. Länder | |
und Marken treten hier gleich selbstbewusst auf. Ungarn wird dieses Jahr | |
besonders hervorgehoben. Mit einem eigenen Logo, das halb Paprika und halb | |
Papagei ist. | |
Menschen lustwandeln in den endlos scheinenden Variationen ihrer Trachten | |
durch die ebenso endlos scheinenden Hallen. Oder sie rücken an – sogar zu | |
Dutzenden – in ihren Landjugendgruppen. Sebastian, mit dem jungenhaften | |
Gesicht, ist einer der Trachtenträger: lange Lederhose, „Jopperl“ und Hut … | |
alles in Schwarz. Er hat eine vereinnahmende Art zu reden und findet, „hier | |
heroben“ sei eine „ganz andere Kultur“. Er ist noch nicht viel rausgekomm… | |
aus seiner Heimat Dachau, sagt er. | |
Auch wenn sie mit Tracht und Auftreten die Szenerie dominieren, nicht alle | |
hier sind Bayern: Fritz und Natascha aus Berlin etwa mögen vor allem die | |
Schupfnudeln und die Hopfenlimonade. Sie tragen Klamotten vom Flohmarkt. | |
## Ein letztes Pferd | |
Aus der Halle 25 weht den Besuchern eine verwirrende Melange aus Gerüchen | |
entgegen. Die Tierhalle ist so groß wie ein Fußballfeld. Etwa die Hälfte | |
macht eine Arena aus, auf der gegen Ende des Eröffnungstages noch ein | |
einzelnes Pferd ausgeführt wird. Dutzende Tiere leben hier während der | |
neuntägigen Messe. Saskia Meier vom Zuchtbetrieb „RBB Rinderproduktion“ | |
erklärt, wie wichtig es gerade für Kinder aus der Stadt sei, einmal eine | |
echte Kuh zu sehen, und bedient sich schleichwerbehafter Klischees: „Manche | |
glauben immer noch, Kühe seien lila“, sagt sie. | |
Von Holzlatten abgezäunt schlabbern drei Milchkühe Wasser aus einer | |
Plastikwanne. Die Kuh Suki hat ein weißes Gesicht. Am Nacken und um die | |
Augen ist ihr Fell schwarz. Sie wurde am 26. 10. 2013 geboren, ist auf | |
einem Schild zu lesen. Ihr Vater heißt Suran, ihre Mutter 12.72280628. | |
Meier ist vor allem stolz darauf, dass die Kühe aus der Zucht nahezu | |
„komplett verwertet“ werden. | |
Spätestens hier wird klar: Die Grüne Woche ist eine Veranstaltung der | |
Agrarindustrie. Seit 1926 besteht sie und wird getragen vom Deutschen | |
Bauernverband („Wir brauchen keine Agrarwende“) und von der deutschen | |
Ernährungsindustrie („Keine Ernährungssicherheit ohne | |
Ernährungsindustrie“). Deshalb wurde die Grüne Woche in den letzten Jahren | |
immer wieder von Protesten und Aktionen begleitet. Etwa von der Gruppe | |
„Grüne Woche Demaskieren“. Die Adbusting-Gruppe Dies Irae manipulierte | |
Werbetafeln und verwies so auf schreckliche Zustände in Ställen von | |
Bauernverbandvertretern | |
Auch die „Wir haben es satt“-Demonstration gegen industrielle | |
Landwirtschaft fand am Eröffnungswochenende der Grünen Woche statt. Und | |
während sich die zahlungswilligen Massen durch die Welt der Kulinarik | |
pressen und essen, werden die entscheidenden Dinge wie nachhaltiger Umgang | |
mit Wasser abseits der breiten Öffentlichkeit diskutiert: Auf der Berliner | |
Welternährungskonferenz, die am Wochenende gleichzeitig auf der Messe | |
stattfindet. | |
## Camouflage ist auch grün | |
Die Messe selbst schafft es zum Schluss noch einmal zu überraschen. Am | |
letzten Stand, im hintersten Teil der Messe, kann man auf den | |
PR-Beauftragten der Bundeswehr, Klaus Roth, treffen: Glatze, dicke | |
Hornbrille, rote Fliege. Ein Mann, dem man für dieses Event ein Mikrofon in | |
die Hand gegeben hat. Die Bundeswehr sei immer auf der Grüne Woche | |
vertreten, sagt er. Dieses Jahr gehe es um Landschaftspflege und | |
Elektromobilität. Nein, direkt angeworben werde nicht, nur informiert. | |
Ein letzter Blick auf den Stand. Vor einem Rekrutierungsplakat versinkt ein | |
Elektroauto in der eigenen Unscheinbarkeit. | |
23 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Imre Withalm | |
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