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# taz.de -- Museumsdirektorin über -politik: „Mein Geschmack ist nicht wicht…
> Von der Trophäen-Schau zur kritischen Ausstellung: Sabine Schulze hat das
> Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe komplett umgemodelt.
Bild: Hat Hamburgs Museum für Kunst und Gewerbe politischer gemacht: Sabine Sc…
taz: Frau Schulze, warum gehen Sie 2018 schon in Rente, zwei Jahre vor der
Zeit? Wurden Sie abgeworben?
Sabine Schulze: Nein, gar nicht. Mit 63 finde ich, kann es auch mal gut
sein. Nächstes Jahr werde ich zehn Jahre in Hamburgs Museum für Kunst und
Gewerbe (MKG) sein, das ist eine schöne Zeit. Die Entscheidungsfindung war
für mich ein Prozess. Ein Vertrag läuft aus, und bevor ich einen neuen
abschließe, muss ich überlegen: Was hast du getan und was willst du
unbedingt noch tun? Natürlich hat man immer Pläne und Ideen, aber ich
konnte verwirklichen, was mir für die Entwicklung des MKG wichtig war. Ich
bin froh über das, was geleistet ist und freue mich, wenn jemand anders
neue Akzente setzt.
Gab es auch private Gründe?
Ja, da habe ich viele Pläne, für die mir bisher Zeit und Kraft fehlten. Zum
Beispiel in die Südsee reisen oder nach Kuba, nach Indien … Das MKG
verlasse ich mit einem gutem Gefühl: Das Haus wird überregional sehr gut
wahrgenommen, sodass sich gute Kollegen für diese Position interessieren
werden.
Kommt auf die Rahmenbedingungen an. Verbringen Sie mehr Zeit mit den
Inhalten oder mit der Geld-Akquise?
Mit der Akquise, und das hätte ich natürlich lieber anders herum. Aber das
Problem haben auch Kollegen in anderen Häusern. Es gehört heute nicht mehr
zum Profil eines Direktors, dass er in der Arbeitszeit Fachbücher liest,
leider.
Es gibt in Deutschland nur noch fünf, sechs Kunstgewerbe-Museen. Ist die
Gattung überholt?
Gar nicht, nur der Name klingt altmodisch. Was unter diesem Deckmantel
firmiert, sind sehr unterschiedliche Sammlungsbestände. Kein anderes Haus
vereint wie wir Werkgruppen aus der Antike, Ostasien, dem islamischen Raum
und zugleich die modernen Medien Fotografie, Plakatkunst und Mode. Das ist
eine riesige Bandbreite, sodass der kunstgewerbliche Nukleus – Möbel von
Renaissance bis Jugendstil – hier nur ein Aspekt ist.
Kommunizieren Sie mit den anderen Häusern?
Wir sind in einem regen Austausch, kürzlich wurde ein Netzwerk der
europäischen Kunstgewerbe-Museen gegründet, wir treffen uns regelmäßig.
Dabei sprechen wir nicht nur über Leihgaben, sondern vor allem über
Grundsatzfragen: Wie sieht unser gesellschaftlicher Auftrag heute aus? Was
können wir für die Integration von Geflüchteten tun? Alle wollen wegkommen
von dem Image, dass es in der angewandten Kunst allein um Luxus geht.
Geht es das nicht?
Eine Ausstellung über Luxus hätte ich tatsächlich gern noch gemacht. Dabei
müsste die Frage sein: Wie definieren wir Luxus heute? Über das Material
oder den Seltenheitswert eines Objekts, über seinen Preis – oder ist auch
mehr Zeit für die Familie eine Form von Luxus?
Anfangs war das Haus eine Gewerbeschule mit Musterstücken, an denen sich
Kunsthandwerker orientieren sollten. Spätere Direktoren haben Meißner
Porzellan angekauft und das Haus konservativ ausgerichtet. Finden Sie das
gerechtfertigt?
Das Wort „konservativ“ würde ich nicht benutzen. Alle Generationen haben
sich jeweils aktuellen Fragen zugewandt. Das allererste Objekt des MKG ist
eine Bouillon-Tasse von Sèvres. Parallel wurden die Abteilungen Textil,
Fotografie – damals eher Dokumentarfotografie – Musikinstrumente angelegt.
Geht es nicht darum, das historische Erbe jeweils den zeitgenössischen
Ansprüchen zuzuführen? Zum Beispiel haben Antiken-Ausstellungen im Haus
eine große Rolle gespielt. Unvergessen Tutenchamun, vor 30 Jahren mit
600.000 Besuchern die erste Blockbuster-Ausstellung in Deutschland!
Aber wären Ausstellungen wie „Pracht und Macht am Dresdner Hof“ überhaupt
nach Ihrem Geschmack?
Ich wüsste nicht, warum ich das heute in Hamburg zeigen sollte. Dazu können
wir nach Dresden fahren, dort gibt es großartige Sammlungen. Ganz Dresden
ist ja ein Kunstgewerbemuseum, das den lokalen Kontext gleich miterzählt.
Ausstellungen dieser Art liefen vor Ihrer Zeit sehr gut; das Museum war ein
Hort großbürgerlichen, hanseatischen Selbstverständnisses. Und ob man
„Pracht“ oder – wie Sie – den Umgang mit Plastikmüll thematisiert, ist
schon ein Politikum.
Ich bin froh, dass wir ein breites Publikum für politische Projekte
gefunden haben. Das mussten wir natürlich aufbauen, aber gerade diese
konsumkritischen Ausstellungen haben inzwischen großen Zulauf. Das war
zunächst nicht absehbar, insofern waren Ausstellungen wie „Klimakapseln“
über das Wohnen im Klimawandel, „Endstation Meer? Das Plastikmüll-Projekt�…
„Food Revolution“ und „Fast Fashion“ über die prekären Arbeitsbedingu…
in der Textilbranche durchaus Experimente.
Zumal es ein Kehrtwende ist, keine Trophäen mehr zu zeigen, sondern die
Sammlung kritisch zu bearbeiten.
Unbedingt. Hinzu kommt die Provenienzforschung, die wir seit 2010 als
erstes deutsches Kunstgewerbe-Museum proaktiv betreiben. Wir erforschen, ob
etwa Meißner Porzellan während des Nationalsozialismus jüdischen Besitzern
geraubt wurde. Bei einem Gemälde in einem Kunstmuseum fällt diese Recherche
leichter, denn ein Gemälde ist ein Unikat. Unsere Objekte sind oft in
größeren Auflagen hergestellt, da ist es schwer herauszufinden, welches das
geraubte ist. Aber wir haben Methoden gefunden und weiten unsere
Provenienzforschung jetzt aus.
In Richtung Kolonialismus-Provenienz?
In den letzten Jahren haben wir die Herkunft unserer drei im 16./17.
Jahrhundert entstandenen Skulpturen aus Benin – dem heutigen Nigeria –
erforscht. Sie kamen im 19. Jahrhundert durch unseren Gründungsdirektor
Justus Brinckmann in unser Haus. Beeindruckende Werke! Aber sie sind keine
Kunstwerke im europäischen Verständnis, sie haben eine Identität stiftende
Bedeutung für die Kultur ihres Herkunftslandes. Damit müssen wir sensibel
umgehen. Wir werden sie demnächst im Rahmen unserer
„Raubkunst?“-Ausstellung zeigen und ihre Provenienz offenlegen.
Viele Ihrer Ausstellungen galten dem Design. Wie wichtig ist Ihnen dessen
politischer Aspekt?
Er ist zentral. Ein Designer greift in den Alltag ein und trägt
Verantwortung. Ich hoffe, dass Designer auch in Zukunft Vorschläge machen,
wie wir besser mit Ressourcen umgehen können. Schon jetzt werden neue
Materialien erfunden und auf Massentauglichkeit geprüft. Da passiert an den
Hochschulen sehr viel. Darüber informieren wir, wenn wir Studenten der
Hochschule für bildende Künste einladen, sich an Ausstellungen wie
„Klimakapseln“ und „Food Revolution“ zu beteiligen.
Die Schau „Fast Fashion“ zeigte die andere Seite des Designs, die prekären
Arbeitsbedingungen in indischen Textilfabriken. Diskreditieren Sie damit
nicht Ihre eigene Mode-Abteilung?
„Fast Fashion“ wollte aufrütteln: Müssen wir uns in jeder Saison neu
entwerfen, brauchen wir diese vollen Schränke? Eine Statistik sagt, dass in
Deutschland ein Kleidungsstück 1,4 mal getragen wird und dann auf den Müll
wandert. Dafür wollten wir Bewusstsein wecken und Verantwortungsgefühl.
Leider sind die Produktionsbedingungen der Luxus-Labels nicht besser …
Unsere Modeabteilung erwirbt hauptsächlich alternative Textilien. Das darf
aber nicht das einzige Auswahlkriterium sein, denn Mode sagt viel aus über
gesellschaftliche Konventionen.
Und wie passten Mariam Mekiwis Fotos der ägyptischen Revolution ins Profil?
Die Ausstellung „Kairo. Bilder einer anhaltenden Revolution“ fragte – auch
vor dem Hintergrund unserer eigenen Fotoabteilung – nach der Rolle der
angewandten Fotografie. Es ging um Bürgerjournalisten, die ihre Handy-Fotos
ins Internet stellen. Sie haben unsere Wahrnehmung der Ereignisse in
Ägypten geprägt.
Wohingegen man Ausstellungen wie „Mythos Chanel“, „Apple“, „Fenomen I…
eine zu große Nähe zum Konzern vorwarf.
Die Kritik erfolgte unabhängig von der jeweiligen Ausstellung, uns wurde
unterstellt, mit den Firmen zu kooperieren. Das war nie der Fall, es gab
keine finanzielle Unterstützung und dementsprechend keine Abhängigkeit. Das
ist entscheidend. Wir dürfen kein Showroom eines Labels sein! Die
Ikea-Ausstellung habe ich auch nicht als Werbung empfunden. Wir haben uns
kritisch auseinandergesetzt mit den Formadaptionen und den verwendeten
Materialien. Aber wir haben auch aufgezeigt, dass Ikea unseren Lebensstil
verändert hat. Ich habe als Studentin möbliert gewohnt – in gruseligsten
ausrangierten Möbeln! Insofern ist es schon ein Gewinn, wenn sich heute
auch ein Student ein eigenes Bett leisten kann. Es war uns wichtig, Vor-
und Nachteile zu zeigen.
Ganz allgemein: Welches Stück möchten Sie persönlich unbedingt noch
ankaufen?
Im Grunde bin ich wunschlos glücklich. Wir konnten in den letzten Jahren
tolle Stücke erwerben! Mein eigener Geschmack ist nicht wichtig, die
kulturhistorische Bedeutung eines Objektes zählt. Das Spannende an der
angewandten Kunst ist ja, dass wir in dem Augenblick, in dem wir ein Objekt
benutzen, oft nicht ahnen, dass es später Signet einer Epoche sein wird.
Was im Alltag funktioniert, wird ja meist nicht mit Zeitlosigkeit und
Museum in Verbindung gebracht.
Ist die Trennung zwischen Kunst und angewandter Kunst, von der auch Ihr
Haus lebt, überhaupt noch sinnvoll?
Künstler denken nicht in diesen Hierarchien, auch unsere Besucher nicht.
Für mich ist diese Differenzierung überholt!
21 Nov 2017
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
Schwerpunkt Klimawandel
Design
Fast Fashion
Plastikmüll
Mode
Monika Grütters
Mikroplastik
Upcycling
Hamburg
Ernährung
Fotografie
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