| # taz.de -- Upclyling im Museum: Abfall aufgewertet | |
| > Die Ausstellung „Pure Gold“ zeigt im Museum für Kunst und Gewerbe, wie | |
| > man mit kreativen Methoden aus Müll Neues, Nützliches und Schönes machen | |
| > kann. | |
| Bild: Ausprobieren darf man sie leider nicht: Waschmaschinentrommel-Hocker von … | |
| HAMBURG taz | Es zu übersehen, wäre ein kleines Unglück. Zwischen größeren | |
| Ausstellungsstücken versteckt sich das Tablett, das auf den Namen „ISH Tray | |
| 3“ getauft wurde. Das kleine Juwel funkelt einen mit seiner blau-grauen | |
| Maserung und seinen edlen Sprenkeln so an, dass man auf den ersten Blick | |
| meint, es wäre aus feinstem Marmor. Dabei ist es aus einem Material, das | |
| viele Millionen Beine jeden Tag umschmeichelt und von dem man verblüfft | |
| ist, dass es so hart gemacht werden kann: Jeansstoff. | |
| Das Tablett von Laetitia de Allegri aus der Schweiz und Matteo Fogale aus | |
| Uruguay ist eine von 78 Arbeiten, die in der aktuellen Ausstellung „Pure | |
| Gold. Upcycled! Upgraded!“ in der Turnhalle im Erdgeschoss des Museums für | |
| Kunst und Gewerbe zu sehen sind. Nicht um das bekannte Recycling, also die | |
| Wiederverwendung von Müll, kreist die Ausstellung, sondern um das Upcycling | |
| und Upgraden: also die Aufwertung und Wiederverwendung des zuvor zum Abfall | |
| erklärten Produkts. Müll ist in dieser Perspektive kein Problem, sondern | |
| eine Chance – pures Gold eben. | |
| Zu sechs Inseln wurden die Exponate angeordnet, die sich Schwerpunkten wie | |
| Holz, Papier, Plastik oder Stoff widmen. Aus altem Zeitungspapier oder | |
| alten Flip-Flops, aus Plastiktüten oder -flaschen, Autoreifen oder | |
| Waschmaschinentrommeln – eben der ganzen Vielfalt der globalisierten | |
| Wegwerfgesellschaft – haben die 53 Designer neue Stühle, Tische, | |
| Lampenschirme und Teppiche gemacht | |
| Entworfen hat die Ausstellung das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa), | |
| das sich als „Kompetenzzentrum für internationale Kulturbeziehungen und | |
| künstlerische Diskurse“ versteht und mit ihr sein 100-jähriges Bestehen | |
| feiert. | |
| Anders als bei manch anderem, eher verwirrenden Museumsbesuch, ist die | |
| Relevanz dieser Ausstellung offensichtlich: Zum einen ist sie eine Kritik | |
| der überreichen Konsumgesellschaft, die von der Nichts-Wegwerfen-Mentalität | |
| der Ärmsten erst wieder lernen muss. Aus dem Abfall der Reichen Neues | |
| herzustellen, sei in Lateinamerika eine „notwendige Erfindungsgabe“, sagt | |
| Adélia Borges aus São Paulo, eine der sieben, aus sieben Weltregionen | |
| stammenden Kuratoren und Kuratorinnen der Ausstellung. | |
| Zum anderen will „Pure Gold“ die Besucher inspirieren, mitzumachen bei dem | |
| kleinen Stück Weltverbesserung: „Lasst uns das große Verbrauchen beenden“, | |
| scheinen die Macher einem zurufen zu wollen. „Wühlt in euren Mülleimern, | |
| denkt kreativ über die Dinge nach! So vieles kann man noch brauchen, | |
| verwendet es neu, veredelt es!“ | |
| Das Museum für Kunst und Gewerbe kann sich glücklich schätzen, den Auftakt | |
| der auf 10 Jahre angelegten Tournee von „Pure Gold“ durch weltweit 20 | |
| Stationen bei sich ausstellen zu dürfen. Denn hier passiert mehr, als man | |
| von einem Museum gemeinhin erwartet: Der Besucher wird angeregt, indem aus | |
| Abfall eben nicht nur Nützliches, sondern echte Kunst geschaffen wird. Das | |
| funktioniert: Träume von einer industriellen, serienmäßigen | |
| Abfall-Aufwertung und somit von einer müllfreien Welt begleiten den | |
| Besucher auf dem Weg nach Hause. | |
| Nur: Ob die Exponate auch im Alltag etwas taugen, kann der Besucher leider | |
| nicht testen. Klar, bei den vielen Besuchern und einem Horizont von zehn | |
| Jahren haben die Macher um Volker Albus, Designer und Professor aus | |
| Karlsruhe, Angst um die Kunstwerke: Kunst guckt man nur an, die testet man | |
| nicht. | |
| Doch die vielen Stühle der Ausstellung würde man trotzdem gern mal auf ihre | |
| Bequemlichkeit testen. Sie nur als zu Kunst geronnenen erhobenen | |
| Zeigefinger in die Ecke zu stellen, verfehlte ja den Upcycling-Anspruch. Da | |
| gibt es zum Beispiel zwei glänzende aus alten Ölfässern oder einen | |
| geduckten aus hunderten kreuz und quer zusammengenagelten Holzlättchen. | |
| Letzterer sei an die ungeordnete Siedlungsweise in den Armenvierteln | |
| Brasiliens angelehnt, erfährt man auf dem Zettel daneben. Eine schöne | |
| Symbolik, nur: für einen Stuhl sieht er doch zu unbequem aus. | |
| Tatsächlich geht der Anspruch der Wanderausstellung übers reine Exponieren | |
| hinaus. Sie soll der wachsenden internationalen Do-It-Yourself-Szene den | |
| Upcycling-Gedanken, der dort noch kaum zu finden sei, einpflanzen. An jeder | |
| Station sollen Designstudierende in Workshops regionale Upcycling-Methoden | |
| aufgreifen und weiterentwickeln. Von den erarbeiteten Ideen wiederum sollen | |
| Videos entstehen, die möglichst viele Menschen zum Nachmachen einladen | |
| sollen. | |
| Die Hoffnung: nicht weniger als eine sich durch die Ausstellung weltweit | |
| vernetzende Upcycling-Community aufzubauen, die Menschen zur Vergoldung von | |
| Müll inspiriert. Noch ist das ein Traum, die Online-Plattform zur | |
| Ausstellung noch recht leer – aber der Startschuss fiel ja erst letzte | |
| Woche. | |
| 22 Sep 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Daniel Trommer | |
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