| # taz.de -- Upcycling in Panama: Konstruktive Lösung | |
| > Ein Touristenarchipel in Panama versinkt im Plastikmüll. Ein Kanadier hat | |
| > eine Lösung gefunden: Er baut Gebäude aus alten PET-Flaschen. | |
| Bild: Plastik international: Ein Strand in Senegal | |
| Robert Bezeau hält eine leere Plastikflasche in die Luft und grinst. Seine | |
| randlose Brille reflektiert die grelle Mittagssonne. | |
| „Das hier ist eines der größten Probleme der Menschheit“, sagt er. „1978 | |
| hat Coca-Cola die PET-Flasche auf den Markt gebracht. Heute, 38 Jahre | |
| später, hat sie die Welt erobert. Menschen konsumieren im Durchschnitt alle | |
| zwei Tage ein Getränk aus einer Plastikflasche – das sind insgesamt etwa | |
| 14.000 Flaschen, die jeder Einzelne dem Planeten hinterlässt. Und auf der | |
| Erde leben inzwischen annähernd sieben Milliarden Menschen. Die Welt | |
| erstickt im Plastik.“ | |
| Wie lässt sich das verhindern? Das hat sich auch Bezau, ein gebürtiger | |
| Kanadier, gefragt, als er vor sieben Jahren das erste Mal das beliebte | |
| Touristenziel Bocas del Toro besuchte – und sich sofort in das | |
| wunderschönen Archipel im Nordwesten Panamas verliebte. Hinter | |
| kilometerlangen Stränden wächst dichter Dschungel, unter Kokospalmen | |
| tummeln sich rote Frösche, im Wasser schwimmen Delphine. Bocas del Toro ist | |
| ein kleines Paradies. Ein an manchen Orten ziemlich verdrecktes: | |
| Weggeworfene Plastiktüten, alte PET-Flaschen und leere Getränkedosen prägen | |
| oft das Bild. | |
| ## Zerfall nach 450 Jahren | |
| Weil es auf Bocas kein funktionierendes System für Müllentsorgung oder gar | |
| Recycling gibt und der Abfall nicht abtransportiert wird, bleibt er oft | |
| einfach auf den Inseln liegen. Das war früher kein Problem, der meist | |
| organische Abfall verrottete im tropischen Klima schnell. Doch seit die | |
| PET-Flasche und andere Plastikprodukte die Welt eroberten, ist alles | |
| anders. Eine Plastikflasche braucht rund 450 Jahre, bis sie zerfällt, und | |
| selbst dann bleiben für die Tierwelt schädliche Mikroplastikteile zurück. | |
| Robert Bezeau wollte sich nicht damit abfinden und wühlte in seinem neuen | |
| Zuhause im Müll. Gemeinsam mit 15 Angestellten, die er dafür aus eigener | |
| Tasche bezahlte, hat Bezeau das untersucht, was andere wegwerfen. | |
| „Wir haben 60.000 Mülltüten geöffnet und festgestellt: Da war fast nur | |
| Verpackung drin, vor allem Plastik. Die Nummer eins auf der Liste waren | |
| PET-Flaschen. Das war eine Erkenntnis, die ich nicht mehr vergessen | |
| konnte.“ | |
| Also kaufte sich Robert Bezeau ein Stück Land auf der Hauptinsel des | |
| Bocas-Archipels. Hier, mitten im Dschungel, begann er mit der Hilfe seiner | |
| Angestellten, alte Plastikflaschen zu sammeln: Mit einem Lkw fuhren sie | |
| über die Insel, wie eine selbstorganisierte Müllabfuhr. Nach anderthalb | |
| Jahren hatten sie über eine Million PET-Flaschen zusammen. | |
| ## Es kommen immer mehr Touristen | |
| Doch wohin damit? Die Verwaltung kümmert sich auf Bocas del Toro kaum | |
| darum, der Müll wird oft im Dschungel vergraben – oder verbrannt, was | |
| giftige Dämpfe erzeugt. Und der Müll wird immer mehr. Dazu beigetragen hat | |
| auch der Tourismus. Der wächst stark – in den vergangenen fünf Jahren ist | |
| die Zahl der Besucher um fast 40 Prozent angestiegen – auf über 75.000 | |
| Touristen 2015. | |
| Die meisten Hotelbesitzer interessieren sich nicht für das Müllproblem. | |
| Darum suchte Bezeau selbst nach Lösungen, wie man alte Plastikflaschen | |
| wiederverwenden kann. Der 66-Jährige grinst und deutet auf ein kleines, | |
| weißes Haus mit rot-braunem Dach, das von tropischen Bäumen umgeben ist. | |
| „Es ist schwer zu glauben, aber dieses Gebäude besteht zu 75 Prozent aus | |
| alten Plastikflaschen, insgesamt haben wir hier als Isolierung und | |
| Wandfüllung über 10.000 leere PET-Flaschen verbaut. Man lebt hier wie in | |
| einem normalen Haus, mit dem Unterschied, dass man fast den lebenslangen | |
| Konsum an Plastikflaschen kompensiert hat. Wer hier wohnt, lebt sozusagen | |
| plastikflaschenneutral.“ | |
| Das kleine Haus ist eine Art Prototyp, ein Beispiel dafür, wie man | |
| besonders in tropischen Gegenden Müll als Rohstoff nutzen kann. In den | |
| nächsten Jahren will Bezeau auf einer Fläche von über 30 Hektar ein ganzes | |
| Dorf entstehen lassen, mit bis zu 120 Häusern und einem Yoga-Pavillon – | |
| hauptsächlich gebaut aus alten PET-Flaschen. Im Sommer 2015 hat er mit der | |
| Umsetzung seines Projekts begonnen, inzwischen sind zwei Häuser fast | |
| fertig. Außerdem baut Bezeau gerade an einem Schloss, in dem Besucher | |
| übernachten können. | |
| ## Cola-Flaschen im Drahtkäfig | |
| Um seine Idee zu verdeutlichen, fährt er auf seinem Quad einige hundert | |
| Meter weiter, zu einem Rohbau. Das zweistöckige Gebäude mit über 280 | |
| Quadratmetern Wohnfläche ist noch unverputzt – und die ungewöhnliche | |
| Architektur lässt sich bestaunen. Schon von Weitem sind die alten Cola- und | |
| Wasserflaschen zu erkennen, die zwischen dicken Betonpfeilern zu tausenden | |
| in große, aneinandergeschweißte Drahtkäfige gestapelt wurden. Ob diese | |
| Konstruktion wohl einem Sturm standhält? | |
| „Das Haus ist wie ein Gefängnis für Plastikflaschen, sie bleiben für immer | |
| dort. Demnächst wird das Haus noch von innen und außen mit rund drei | |
| Zentimeter Beton verputzt – das ist dann äußerst stabil und gleichzeitig | |
| flexibler als normale Gebäude, weshalb es auch eher einem Hurrikan oder | |
| einem Erdbeben standhält. Und die leeren Flaschen isolieren auch sehr gut | |
| gegen die Hitze.“ | |
| Robert Bezeau ist kein gelernter Ingenieur, aber ein Tüftler mit | |
| Sachverstand. In Kanada betrieb er ein Geschäft für Fertighäuser. Heute | |
| forscht er an innovativen Baukonzepten. Er zeigt Fotos von Versuchsreihen, | |
| die er durchgeführt hat – etwa wie ein Auto mit dem Vorderrad auf einer | |
| verschlossenen Plastikflasche steht, die dem Druck standhält. | |
| ## Es schmort, brennt aber nicht | |
| Die braunen Flecken auf Bezeaus blauen Jeans zeigen, dass er auch gern | |
| selbst Hand anlegt. Um die Feuerfestigkeit seiner Häuser zu demonstrieren, | |
| hält er ein Feuerzeug an eine Plastikflasche, die nur leicht anschmort, | |
| aber nicht brennt. | |
| „Ich habe mir das alles angelesen – und viel ausprobiert. Aus dem ersten | |
| Haus habe ich einiges gelernt, zum Beispiel habe ich die Stahlgitter | |
| zunächst zu breit gemacht. Es war schwierig, sie zu bewegen, also habe ich | |
| sie etwas kleiner gebaut, und es hat prima funktioniert.“ | |
| Die fertigen Häuser will Bezeau verkaufen. Vier Vorbestellungen gebe es | |
| bereits, erzählt er. Viele Einheimische wissen bisher kaum etwas über das | |
| Projekt. | |
| Aber bald werde eine Familie, die aus den USA nach Panama übergesiedelt | |
| ist, in das zweistöckige Haus einziehen, das derzeit verputzt wird. | |
| Immerhin rund 90.000 Euro haben sie dafür bezahlt – zuzüglich der Kosten | |
| für das Grundstück. Ein zu hoher Preis? | |
| „Pro Quadratmeter kostet ein Haus aus Plastikflaschen nur gut 300 Euro, das | |
| ist vergleichsweise sehr wenig. Einheimische können sich das trotzdem kaum | |
| leisten, sondern nur Zuwanderer. Letztlich tue ich das aber nicht des | |
| Geldes wegen, ich würde auch weitermachen, wenn es keine Kunden mehr gibt. | |
| Mein Projekt ist ein kleiner Beitrag, den Planeten zu säubern. Es braucht | |
| Leute die das nachmachen. Ich will diese Idee in die Welt tragen.“ | |
| Deshalb veröffentlicht Bezeau seine Baupläne auch, als Anleitung zum | |
| Nachbauen. Für Nonprofitorganisationen soll das kostenfrei sein, für | |
| kommerzielle Zwecke verlangt er dafür rund 90 Euro. Geld, von dem er hier, | |
| im Dschungel von Panama, ein Trainingszentrum bauen will, wo jeder lernen | |
| kann, wie man sein eigenes Haus aus alten Plastikflaschen baut. Dafür sucht | |
| Bezeau derzeit noch Sponsoren. | |
| „Am wichtigsten ist doch die Frage, was man nach dem Trinken mit der | |
| Flasche macht. Wir müssen lernen, etwas Nützliches aus etwas Schädlichem zu | |
| machen.“ | |
| Doch ist Robert Bezeaus Idee letztlich nicht gerade auf die Produktion von | |
| Plastikflaschen angewiesen? Er lächelt kurz, dann antwortet er schnell und | |
| entschlossen: | |
| „Am besten wäre es, wenn Getränke nur noch in Glasflaschen oder in | |
| biologisch abbaubaren Gefäßen verkauft würden. Doch ich befürchte, das ist | |
| utopisch. Und mir geht es ja zunächst vor allem darum, die Sünden der | |
| letzten 38 Jahre zu beseitigen.“ | |
| 27 Jan 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Timo Reuter | |
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