# taz.de -- Modetrend Upcycling: Kaffeekapseln am Handgelenk | |
> T-Shirts aus Milchfasern, Ohrringe aus Skateboards: Beim Upcycling werden | |
> Kleidungsstücke und Accessoires aus Müll hergestellt. Eine tolle, teure | |
> Idee. | |
Bild: Aus alt mach neu: Abgetragene Socken werden per Upcycling zum modischen P… | |
Die Kundin im Pelzmantel hält einen Pullover aus alten Tennissocken hoch: | |
„Das ist echt geil!“ Ohrringe aus alten Skateboards, Röcke aus getragenen | |
Herrenhosen, Armreifen aus alten Kaffeekapseln: Der [1][Upcycling Fashion | |
Store] in Berlin macht Kleidung aus Dingen, die normalerweise im Müll | |
landen. Diese werden hier aber nicht bloß wiederverwendet: „Ihr Wert wird | |
erhöht“, erklärt Arianna Nicoletti, Mitbegründerin des Geschäfts und des | |
Modelabels Aluc. | |
Upcycling nennt sich das Prinzip, das mehr sein will als Recycling, und | |
nicht nur Aluc hat dieses Verfahren als Geschäftsidee entdeckt. Das | |
Leipziger [2][„yea yea-Büro für Gestaltung“] baut Lampen aus alten CDs, d… | |
Firma [3][Qmilch aus Hannover macht Kleidung aus Milchfasern], die bei der | |
Käse- oder Milchproduktion übrig bleiben. Daraus stellt das Unternehmen | |
Milchproteinfasern her, die Designer wiederum für Kleidung verwenden | |
können. [4][Katja Strøm Cappelen] und Jürgen Breiter haben [5][„stadtfund�… | |
in Berlin gegründet. Sie sammeln zum Beispiel verlorene Handschuhe von der | |
Straße und arbeiten sie auf. | |
Breiter legt ein Paar, der eine mit Leopardenmuster, der andere aus braunem | |
Kunstfell, auf den ebenfalls gefundenen Tisch. Alle Objekte in der Wohnung, | |
die gleichzeitig das Büro des Duos ist, sind Fundstücke – so wie etwa die | |
Leuchten aus alten Kühlschrankthermostaten an der Wand. Dass sie einmal | |
Essen beleuchtet haben, sieht man ihnen nicht an. | |
Beim Upcycling ist es auch wichtig „die erbrachte ideelle Leistung, den der | |
Gegenstand schon hatte, aufzugreifen“, sagt Breiter. Wie eben die | |
verwaisten Handschuhen auf der Straße niht als Müll zu sehen, sondern sie | |
aufzuheben und wieder zu zweit auftreten zu lassen: Dinge, die ihren Wert | |
verloren haben, mit einem anderen Bewusstsein zu betrachten. | |
## Herstellungsstrategie | |
Gegenstände von der Straße sammelt Breiter schon seit seiner Jugend. Den | |
Begriff „Upcycling“ benutzt er dafür seit 2007. Breiter und Strøm Cappelen | |
geht es nicht um Sammelleidenschaft oder darum, viel Geld zu verdienen, | |
sagen sie. Es geht ihnen um Upcycling als Strategie. Darum, weniger | |
Ressourcen zu verschwenden. Laut dem Statistischen Bundesamt kamen 2010 | |
rund 158 Tausend Tonnen Abfall aus der Leder-, Pelz- und Textilindustrie. | |
Davon waren 42.900 Tonnen Abfälle von verarbeiteten Textilfasern. | |
Ganz so neu ist die Idee, Dinge weiterzuverwenden und dabei aufzuwerten, | |
nicht. Schließlich werden anderswo aus Pragmatismus und nicht aus | |
ideologischen Gründen Dinge repariert und weiterverwendet. Was hier die | |
Verarbeitung zu schicken Designerobjekten ist, ist anderswo schlichte | |
Notwendigkeit. „In unserem Land sind wir nicht mehr darauf angewiesen, | |
wiederzuverwenden. Der Unterschied ist, dass die Sachen gerettet werden“, | |
erklärt Nicoletti vom [6][Label Aluc]. Die Motivation ist eine andere: hier | |
die Lust an schönen Dingen, dort ökonomische Zwänge. | |
Im Mainstream angekommen sei Upcycling aber noch nicht, sagt Nicoletti. | |
Meist handelt es sich um Wohnaccessoires oder Bekleidung, die in kleinen | |
Designerläden verkauft wird. Viele würden denken, es reiche aus, sich an | |
Bio- oder Fairtrade-Produktion zu halten, wenn es um Kleidung geht, sagt | |
Nicoletti. Aber auch in der ökologischen Baumwollproduktion entstünden | |
natürlich Abfälle: „Wir haben so viel Müll, dass wir eigentlich morgen die | |
Maschinen stoppen und zehn Jahre lang keine Bekleidung mehr produzieren | |
müssten.“ | |
Es ist ohnehin fraglich, ob die Biokunden auch die Upcycling-Kundschaft | |
sind. Denn trotz aller grünen Ideologie, die hinter dem Konzept steht: Ihre | |
Kunden kämen jedenfalls eher aus Interesse an den Unikaten, Upcycling als | |
Bewusstseinsfrage stehe da weniger im Vordergrund, auch wenn viele | |
neugierig auf das Prinzip seien, sagt Nicoletti. Vor allem ist es aber der | |
Style-Faktor, der zieht. | |
## Ein Pullover für 300 Euro | |
Und der hat natürlich auch seinen Preis. Der Pullover aus alten | |
Tennissocken kostet über 300 Euro. Ein Hemd von Aluc um die 100 Euro. Das | |
Handschuhpaar bei stadtfund 29 Euro. „Wir sprechen eher Berufstätige an, | |
weil der Preis hoch ist“, räumt Nicoletti ein. Aber die Leute fänden den | |
Preis okay, weil sie wüssten, wie viel Arbeit in den Dingen steckt. Und für | |
einen herkömmlichen Markenanzug würden sie das Gleiche zahlen, ohne zu | |
wissen, unter welchen Umständen produziert wurde. Nicoletti sieht die | |
Industrie und die großen Unternehmen in der Pflicht, wirklich etwas zu | |
ändern: eine Upcycling-Abteilung einzurichten, zum Beispiel, die dafür | |
sorgt, dass Stoffreste gleich wieder der Produktion zugeführt werden. | |
Auch Breiter findet den Preis für seine Handschuhe nicht zu hoch. „Man muss | |
sich fragen, wie viel uns die eigene und die Arbeit anderer in einer Welt | |
globalisierter Warenströme noch wert ist“, erklärt er. Um Upcycling aus | |
einer Nischendiskussion herauszubringen, brauche es Leute, die es sich | |
leisten können und wollen, für geistreiche Alternativen Geld auszugeben. | |
„Upcyclingprodukte müssen faszinieren und eine gute Geschichte erzählen | |
können“, sagt er – deshalb lege er demonstrativ seine Hände mit den | |
verschiedenen Handschuhen auf seine Knie, wenn er U-Bahn fährt. Er hofft, | |
dass die Leute nicht nur irritiert sind, sondern inspiriert werden. | |
## 8.500 Sceondhandläden | |
Nur: Leisten können sich viele den Tennissockenpullover oder Breiters | |
Handschuhen eben noch lange nicht, auch wenn sie die Arbeit anderer | |
vielleicht gern honorieren würden. Also doch wieder zu den großen | |
Shoppingketten gehen? | |
Vielleicht einfach selber machen, das wäre immerhin eine Teillösung. Oder | |
secondhand kaufen. Mehr als 8.500 Secondhandläden gibt es mittlerweile in | |
Deutschland. Für manche Leute sind sie aber keine Alternative. Weil | |
secondhand, sieht man mal von Läden ab, die Zweite-Hand-Ware als Vintage | |
oder Retro-Schick teuer verkaufen, eben einfach bloß schon mal getragen | |
ist. Zweite Wahl eben. | |
Upcycling hingegen haftet das Außergewöhnliche und das Wieder-Neue an. | |
Geschenkband aus alten Videobändern, Ofenbriketts aus unverkauften | |
Zeitungen, das hätte natürlich einen gewissen Coolness-Faktor. Die Frage | |
der Nachhaltigkeit, die eigentlich hinter dem Upcycling-Konzept steht, auch | |
ins Bewusstsein einer breiteren Masse zu bringen, ist nun die eigentliche | |
Aufgabe. | |
11 Apr 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.upcycling-fashion.de/ | |
[2] http://yeayea.de/produkte/accessoires/profil.html | |
[3] http://www.qmilk.eu/index2.html | |
[4] http://katjacappelen.wordpress.com/ | |
[5] http://www.stadtfund.de/ | |
[6] http://upcycling-fashion.com/aluc-mehrhemd/ | |
## AUTOREN | |
Marion Bergermann | |
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Nestlé | |
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