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# taz.de -- Aus der Berliner Modewelt: Nachhaltig und très chic
> In Berlin haben sich auch ökologische Labels eine Nische geschaffen.
> Zwischen handgestrickten Bikinis aus Biobaumwolle und wiederverwerteten
> Stoffresten ist dabei viel Raum für Ästhetik.
Bild: Nicht immer ist Ökomode so bunt wie in bei diesen Papierkleidern.
An der Wand wuchern die stilisierten Äste eines Baumes über olivgrünen
Grund. Leichte Damenunterwäsche ist beiläufig auf dem schweren Holztisch
drapiert, als sei sie gerade dort hingeworfen worden. Leise klimpert Jazz
im Hintergrund. „Wir haben inzwischen eine Menge Stammkundschaft“, sagt
Judith Finsterbusch lächelnd. Ihre KundInnen kommen aus der Nachbarschaft,
aus Prenzlauer Berg, auch abfällig „Pregnant Hill“ genannt, wo viele
wohnen, die ihre Kinder in zweisprachige Kitas stecken und den
Wochenendeinkauf im Biosupermarkt erledigen. Es gibt aber auch Stammkunden,
die nicht hier leben. Denn Läden wie „Wertvoll“ sind selten.
Auf den ersten Blick wirkt „Wertvoll“ wie eine normale, geschmackvoll
gestaltete Boutique für Besserverdiener. Nur wer danach sucht, entdeckt,
dass hier ausschließlich moralisch einwandfreie, sprich: streng ausgewählte
Ökomode geführt wird – mit eigens entwickelten Icons für „fair gehandelt…
„ökologisch hergestellt“, „handgemacht“ oder „recycelt“. Keines de…
ist aus grob gewebtem Hanf oder kratziger Wolle, der man das Schaf noch
ansieht. Die Kleidung hier ist mehr als nur Hülle für die richtige
Lebenseinstellung, sie erinnert in keinem Detail an die Uniformen von
Müslis. Sie ist elegant und alltagstauglich, sie kostet dementsprechend,
aber nicht unvernünftig viel. Ein leichter BH aus Pinienviskose kostet 39
Euro. Eine taillierte Bluse von Magdalena Schaffrin mit Manschettenknöpfen,
Passe hinten und ungebundener Fliege vorn: 169 Euro. Ein königsblauer
Frühlingsmantel von Annette Rufeger mit hellen Nähten und lichtblau
kariertem Futter: 399. Jeans kosten um die 100 Euro, Männerhemden ab 80.
„Ökomode ist längst eine eigene Branche geworden“, sagt Judith Finsterbac…
„und Berlin ist ein gutes Pflaster dafür.“ Nicht, dass die Leute in dieser
Stadt so viel Geld in der Tasche hätten wie in München oder Hamburg. Aber
vielleicht sind hier mehr Leute unterwegs, die guten Gewissens Schönes
einkaufen mögen, die auf der Suche nach dem irgendwie besseren Leben sind,
meist ganz selbstverständlich, en passant und ohne daraus ein großes Dogma
zu machen. Ganz sicher aber leben hier mehr junge Menschen, die Lust haben,
etwas Eigenes zu machen, ohne dafür alles andere zu opfern. Die anfangen,
ein paar Stücke bei Dawanda einzustellen, dann auf einem alternativen
Weihnachtsmarkt verkaufen und schließlich ein Niveau erreichen, das sie
nicht mehr überschreiten wollen – weil sie Entfremdung vermeiden und die
Produktion vom ersten bis zum letzten Schritt im Blick behalten möchten.
Leute, die einander auch nach Eintreffen des Erfolgs gegenseitig helfen,
sich Messestände teilen und zu Modestammtischen gehen.
Einer dieser Menschen heißt Caro E. – so der Name auf dem Label eines
schilfgrünen, handgestrickten Bikinis aus Biobaumwolle in Judith
Finsterbachs Boutique. Carolin Ermer-Graening, Caro E. also, residiert in
einer ruhigen Wohnstraße im östlichen Prenzlauer Berg und sortiert gerade
ihre Sommerkollektion in milchigen, verwischten Tönen, inspiriert von einem
diesigen Nachmittag am Meer. Angefangen mit Strick, erzählt sie, hat sie,
weil ihre Mutter stricksüchtig ist und mindestens sechs Stunden täglich
damit verbringt. Als Caro acht war, strickte sie die erste Kollektion für
ihre Barbie und legte sie im Kaufmannsladen aus. Dann kamen das
Modestudium, die USA, eine Assistenz in der Moderedaktion der Brigitte.
Im Jahr 2006 gründete Ermer-Graening mit ein paar Mützen und Schals Caro
E., heute entwirft sie dreißig bis vierzig Teile pro Saison und beliefert
mehr als 30 Läden in Europa. 60 sollen es werden, sodass es genug ist, um
bequem davon zu leben. Dann, sagt sie, ist sie zufrieden. Ihr vielleicht
schönstes Stück: ein ellenlanger, handgestrickter Schal aus dicker
Schurwolle, der so leicht und so weich fällt wie Seide. Den deutschen
Schäfer, der die Wolle liefert, kennt Ermer-Graening persönlich, die
polnischen Hausfrauen, die dank fairem Lohn fürs Stricken ihren Teil zum
Familieneinkommen beitragen, besucht sie regelmäßig.
## Stoffreste vom Rollenende
Szenenwechsel. In der Linienstraße, nicht weit vom Rosenthaler Platz,
befindet sich der Upcycling Fashion Store, Berlins erste Boutique, die
ausschließlich Mode anbietet, für die Abfall aufgewertet wurde. Luise
Barsch und ihre Mitstreiterinnen lernten sich in London kennen, während
eines Praktikums bei Good Ones. „Dort fiel uns auf, dass sich das Konzept
Upcycling in Deutschland noch viel weniger durchgesetzt hatte als in
England.“ Sie gingen nach Berlin und gründeten Aluc: ein Label für Mode aus
Stoffresten vom Rollenende oder Probestücken aus Musterbüchern, die sie zum
Beispiel aus einer stillgelegten Fabrik im Erzgebirge bezogen. Verarbeiten
lassen sie das Material vor allem in Berliner Behindertenwerkstätten zu
Herren-Oberhemden.
Ökomode halten die Frauen von Aluc für weniger nachhaltig als Upcycling,
weil auch für die Produktion neuer Ökostoffe und -garne mehr Rohstoffe
verbraucht werden als für die Reste, die sie verarbeiten. „Wir machen auch
keine Kollektionen“, sagt Luise Barsch. „Wir müssen davon wegkommen,
dauernd neue Sachen zu kaufen. Lieber Secondhand und zweimal im Jahr was
Tolles, als alle zwei Wochen zu H & M und T-Shirts kaufen, die man nach
zwei Wäschen wegschmeißen kann.“
Auch Barsch hat das Gefühl, dass diese Mode-Idee boomt in Berlin – auch
deshalb, weil sie nicht mehr so pädagogisch daherkommt wie früher. In den
kargen Upcycling Fashion Store mit seinen weißen Wänden und weißen
Bodenkacheln kommen Kunden jeglicher Couleur: Leute, die sich für Ökomode
interessieren, Touristen, aber auch Leute, die hier wohnen, die einfach das
interessant finden, was hier im Schaufenster hängt, und für eine Jacke noch
viel mehr ausgeben würden als nur 400 Euro.
400 Euro, das ist eigentlich nicht allzu schmerzhaft für eine Jacke von
Daniel Kroh. Anders als bei den anderen Kleidungsstücken im Aluc-Laden
erkennt man den Gedanken hinter Krohs Mode schnell: Es handelt sich um
aufwändig geschneiderte Jacken aus getragener Arbeitskleidung.
„Ich brauche lang für die Herstellung einer solchen Jacke“, erklärt Kroh
einen Nachmittag später in seinem Charlottenburger Ladenatelier mit
Parkett, Stuck und Flügeltüren. Mit zwei Assistentinnen steht er am
Arbeitstisch, hinter ihm baumeln Scheren und stapeln sich die Blaumänner.
Während eine der Frauen mit einem Tapetenmesser und viel Kraftaufwand die
festen Nähte der gebrauchten Zimmermannshosen auftrennt, während eine
andere mit viel Dampf das feste, widerspenstige Material glattbügelt,
zeichnet er Schnittmuster für Ärmel auf die ehemaligen Hosenbeine. „Schau
mal“, sagt er. „hier sind Brandflecken drin. Und dort wurde was geflickt.“
Die Gebrauchsspuren in den Hosen und Kitteln von Schweißern, Gleisarbeitern
und Klempnern machen jedes Stück von Daniel Kroh anders.
Später, beim Kräutertee, erzählt der Modemacher seine Geschichte.
Angefangen hat alles mit der Ausbildung zum Herrenschneider. Dann der Job
bei einer Verleihfirma für Arbeitskleidung. „Die holen die Sachen
wöchentlich zum Waschen und zum Flicken ab“, sagt er, „und nach 30 Wäschen
schmeißen sie alles weg. Ich stand vor den Containern mit diesen Tonnen von
Abfall und dachte einfach reflexartig: Das muss ich retten! Ich muss das
retten!“
Heute hat Kroh viele Stammkunden, für die er auch maßschneidert:
Architekten, Künstler, Lehrer – sogar Handwerker, die den Kult harter,
ehrlicher Arbeit lieben, den die Kleidungsstücke transportieren. „Die Leute
tragen meine Sachen ewig“, sagt er, „sie werden zu Lieblingsstücken. Und
ich finde interessant, dass sich über die Geschichten, die das Material
erzählt, andere Geschichten legen.“
Kroh verrät, dass er inzwischen 400 Stücke im Jahr verkauft – und
eigentlich gar nicht mehr verkaufen möchte. Auch das gehört zu seinem
Konzept der Nachhaltigkeit. Was hätte er vom Wachstum, vom steigenden
Umsatz? All das müsste er aufgeben: den eigenhändigen Umgang mit seinem
Material. Den direkten Kontakt zu den Kunden. Und wohl auch das: den
schönen Berliner Sommer, der bald kommt.
3 Apr 2012
## AUTOREN
Susanne Messmer
Susanne Messmer
## TAGS
DIY
Recycling
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