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# taz.de -- Berliner Fashion Week: Kleidung aus gewaltfreier Seide
> Der indische Designer Chandra Prakash Jha lässt Seidenkokons aufschlitzen
> anstatt sie zu kochen. So schenkt er Schmetterlingen das Leben.
Bild: Gut fürs Karma: Seide von Raupen, die später glückliche Schmetterlinge…
Listen to the voice of Buddha / saying stop your sericulture / little
people like your offspring / boiled alive for some God’s stocking“. Die
englischen New Wave-Seitenscheitelträger „The Human League“ hatten bereits
1978 in ihrem größten Hit „Being boiled“ die Seidenherstellung
(„sericulture“) auf dem Schirm und mixten ihre Botschaft subtil auf die
Tanzflächen. Und ob man die tatsächlich bei lebendigem Leibe gekochten
Raupen für Reinkarnationen eventuell menschlicher Seelen hält oder für
eklige Krabbelviecher: Die Produktion des seit Jahrtausenden bekannten
Luxusstoffs ist traditionell eine grausige Angelegenheit.
„Non-violent silk“ nennt der indische Designer Chandra Prakash Jha darum
die glänzenden Stoffmuster, die er in einer Berliner Wohnung auf dem Tisch
ausbreitet. Der Absolvent des New Delhi Institute of Fashion Technology hat
2012 die Firma „Cocccon“ gegründet, und lässt in seiner Heimat, dem
ökonomisch armen Bundesstaat Jharkhand, in dem die Seidenindustrie eine der
wenigen Arbeitgeber darstellt, gewaltfreie Seide produzieren.
Der 35-Jährige zeigt ein Foto, auf dem sieben Frauen in Saris auf dem Boden
im Kreis sitzen – in ihrer Mitte ein Haufen mit fedrigen kleinen Eiern.
„Das sind die Kokons der Raupen“, erklärt Prakash, „und die Frauen sind
darin geschult, sie vorsichtig so aufzuschlitzen, dass dem Tier nichts
passiert.“ Die aus Speichelproteinen der Würmer bestehenden Kokons werden
hernach zurück in eine dunkle Kammer gehängt, und die Schmetterlinge können
nach der Metamorphose ungehindert ihrer Wege flattern.
Prakashs Angestellte sammeln die leeren Kokons wieder ein, „entkleben“ sie
in kochendem Wasser und spinnen den Faden an großen Spinnrädern zum Garn,
aus dem das einzigartige Naturmaterial besteht. Sie müssen das in den Kokon
geritzte Loch per Hand mit einer speziellen Technik wieder schließen, um
einen fortlaufenden Faden zu erhalten.
## 4.000 Schmetterlinge pro Schal
Für einen Seidenschal, die in Prakashs letztjähriger Kollektion mit
ökologischen Farben gefärbt und per traditionellem Holzblockdruck zum
Beispiel mit verschieden großen Polka Dots verziert waren, „haben Sie
unsere Mutter Erde vor vier Litern giftigen Chemikalien bewahrt und 4.000
Schmetterlingen das Leben geschenkt“, steht auf einem kleinen Kärtchen, das
an dem duftigen Schal befestigt ist.
Auf die Frage, ob Jharkhand dann nicht bald unter einer Schmetterlingsplage
leiden müsse, lächelt der mittelgroße Mann, der eine seiner Schalkreationen
um den Hals trägt: „Nein, denn sie leben ohnehin nur eine Woche. Aber diese
Woche ist für einen Seidenspinner ein kompletter Lebenszyklus. Wer gibt
einem das Recht, den zu beenden?“
Er verarbeite auch die an ihren feinen Knötchen zu erkennende Wildseide,
erklärt Prakash, denn die tut qua Definition keiner Raupe was zuleide: Sie
besteht aus den verlassenen Kokons geschlüpfter Schmetterlinge. Doch das
Kokonsammeln ist zeitaufwändig, der Ertrag nicht vorhersehbar. „Reiche
Inder lassen sich manchmal Wildseide-Saris schneidern und warten dann ein
Jahr, bis ihr Kleidungsstück fertig ist“, erklärt Prakash.
## Atmungsaktive Soja-Seide
Für die von ihm hergestellte Soja-Seide, ein atmungsaktives, jerseyartiges
Material, das aus Sojabohnen-Proteinen besteht und bei viel günstigerer
Fabrikation ähnliche Eigenschaften wie echte Seide hat, wurde er 2012 mit
dem „Source Award for ethical fashion“ ausgezeichnet.
Neben spirituellen Wertvorstellungen gab es für ihn weitere gute Gründe für
das Flanieren auf der Seidenstraße: Bei einem Spaziergang in seiner
Heimatstadt seien ihm damals Menschen aufgefallen, die Kokons
transportierten. „Ich fragte sie, was sie verdienen“, sagt Prakash, „sie
bekommen nur einen Bruchteil davon, was die Seide später einbringt.“ Der
Rest des Gewinns bleibt bei Unter- und Zwischenhändlern hängen.
## Ökologisch-sozial korrekt
Seit 2007 der indische Mindestlohn auf 80 Rupien (etwas über einen Euro)
erhöht wurde, lassen viele Seidenfabrikanten in China produzieren, wo sie
weniger zahlen müssen. Prakash sorgt also neben der Ehrung der Raupenleben
auch für gerechte Löhne und Arbeitsplätze, vor allem für Frauen, den
Verliererinnen der indischen Gesellschaft. Und der unermüdlich scheinende
Designer kümmert sich nicht nur um Stoff: Sogar die selbst entworfenen
Kleiderbügel bestehen aus recycelter Pappe, sämtliche Knöpfe aus benutztem
Holz. Zudem bietet er Upcycling-Materialien an.
„Die Pailletten stammen von alten Saris“, erklärt er, und zeigt auf
Stoffproben mit handgestickten Mustern. „In Indien werden alte Klamotten
einfach weggeschmissen.“ Prakash hat ein Netzwerk von Menschen aufgebaut,
die ihn benachrichtigen, auch wenn ein Hotel kiloweise gute
Leinentischtücher auf den Müll wirft, „es ist dort manchmal billiger, neu
zu kaufen, als reinigen zu lassen“.
Die Vertriebs- und Transportwege sind für Prakash ebenfalls Thema.
„Container Sharing“ – nach dem Carsharing-Modell – nennt man die seit
neuestem mögliche Praxis, kleinere Mengen Material per Schiff
transportieren zu lassen. Auf die Stoffe muss er dann allerdings oft
monatelang warten.
Bei der in einem Luxushotel stattfindenden Salonshow des „Green Show Rooms“
im Rahmen der Berliner Fashion Week wurde am Mittwoch einer von Prakahs
Entwürfen gezeigt: Im schwarzen Kleid mit Paillettenärmeln stöckelte das
Model über die dicken Teppiche. Dass die bunten Plastikscheibchen Second
Hand-Produkte aus einer Taschenkollektion sind, sieht man ihnen nicht an.
Seine Seide hat Prakash bereits im letzten Jahr auf der Messe vorgestellt,
viele Designer waren begeistert und bestellten das Textil für ihre eigenen
Kreationen.
Denn der in Hagen lebende Inder kann das Material erstaunlich günstig
anbieten, manche Stoffe kosten 15 Euro pro Meter: Es gehe ihm darum, dass
auch kleine Label bei ihm einkauften. „Wenn ich es billiger verkaufe,
nehmen sie gleich mehr“, sagt er. Das in der Öffentlichkeit noch immer
verbreitete Vorurteil, nachhaltige Mode bestehe aus zipfeligen Filzkaftanen
und Schafswollsocken, kann er mit seinen feinen Seidenstoffen und den
nassglänzenden, eng anliegenden Kleidern mit eleganten Verkordelungen
jedenfalls lässig ausräumen. Und extrem gut für das Karma ist so ein
„Glückliche-Raupen-Minikleid“ ohnehin.
18 Jan 2013
## AUTOREN
Jenni Zylka
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