# taz.de -- Upcycling beim Lampenbauer: Er bringt Schrott zum Leuchten | |
> Thermoskannen als Tischlampen, Guglhupfformen als Deckenfluter: Ivo | |
> Hofsté macht Einrichtungsgegenstände aus Abfällen. | |
Bild: Ivo Hofsté und der Leuchtkanister | |
Ein kaputter Haartrockner, eine Barbiepuppe ohne Kopf, ein bekleckerter | |
Farbeimer. Für die meisten Menschen ist dies bloß Müll, den man | |
schnellstmöglich in der Tonne entsorgt oder unauffällig an den Straßenrand | |
stellt. Für Ivo Hofsté nicht. Im Gegenteil, er freut sich über die | |
zufälligen, unerwarteten Funde. | |
„Für mich ist das kein Müll, sondern ich sehe irgendetwas darin – einen | |
Lampenfuß, eine Hängelampe“, sagt er. Er sammelt sie ein und gibt ihnen zu | |
Hause eine neue Existenz – als Lampe. Aus Plastikbehältern werden bei ihm | |
Einrichtungsgegenstände. „Alles Einzelstücke“, versichert er, „man weiß | |
vorher nie, was daraus mal wird.“ | |
In seinem [1][Atelier und Fotostudio] im Berliner Wedding bastelt Hofsté, | |
42 Jahre alt, an einem knallgelben Benzinkanister aus Plastik herum – sein | |
aktuelles Modell. Er hat seinen Arbeitstisch ins vordere Zimmer gerückt, ab | |
und zu bleiben draußen Menschen stehen und schauen ihm bei der Arbeit zu. | |
„Die kommen hier rein und fragen: Was machst du eigentlich? Die finden kein | |
Label, das auf mich passt.“ | |
Meistens sind seine Lampen aber schnell verkauft, ansonsten wäre bei seiner | |
Sammelleidenschaft wohl bald kein Platz mehr. Um die 50 Euro kostet eine. | |
Denn auch so ist das Atelier schon voll mit vielen kleinen Gegenständen und | |
Fotos. Hier eine Thermoskanne als Nachttischlampe, dort eine Guglhupfform | |
mit Zimmerpflanze als Deckenfluter. Die Wände hat Hofsté grau gestrichen, | |
das hat der gebürtige Niederländer sich aus dem Rijksmuseum in Amsterdam | |
abgeschaut. | |
Die Decke dagegen ist seine eigene Idee: Da die Gipsverkleidung zu brüchig | |
war, um etwas daran aufzuhängen, hat er die sie mit Baugerüststangen und | |
Tüchern abgehängt. Auch die übrige Einrichtung hat Geschichten zu erzählen. | |
Eine rote Bank, die sein Vater, der Busfahrer war, aus einem alten Bus | |
mitbrachte. Eine Kommode aus den Siebzigern, mit Radio und Plattenspieler | |
und den aktuellen Schlagerplatten von damals. | |
Im Hinterzimmer ist das Fotostudio und das Materiallager. Hofsté teilt sich | |
den Raum mit seinem Freund, einem Modedesigner, der vor seiner Flucht aus | |
Syrien elegante Ballkleider gestaltet hat. Da die Nachfrage in Berlin dafür | |
nicht so groß ist, näht er nun originelle T-Shirts, alles in Handarbeit. | |
Auf den Tischen daneben wartet ein Haufen von potenziellen Lampenschirmen | |
darauf, dass sie endlich Erleuchtung finden, und dann liegen da auch | |
Kleinteile, die man immer mal brauchen kann, zum Beispiel ein grasgrünes | |
Wasserrohr, das Hofsté auf der Straße gefunden hat. Was daraus mal wird? | |
Offen. | |
Hofsté beugt sich über die Lampenfassung und greift zu einem | |
Schraubenzieher. Ursprünglich hat er medizinische Biochemie in Rotterdam | |
studiert und dort auch vier Jahre lang gearbeitet. „Mir wurde es irgendwann | |
zu langweilig, jeden Tag im Labor zu stehen. Und ich wollte immer schon | |
etwas Kreatives machen.“ Also studierte er noch mal, Fotografie an der | |
Fotoacademie Amsterdam, und machte sich dann als Künstler selbstständig. | |
Er ließ sich in einem alten Schulhaus in Rotterdam nieder, fotografierte | |
für Magazine und beteiligte sich an Ausstellungen. In einem Abstellraum | |
fand er dort einen Haufen ausrangierter Lampen und dachte sich, daraus | |
könnte man doch noch etwas machen. So begann er mit seinem Kunsthandwerk. | |
Nach ein paar Jahren ließ er dort alles zurück – und startete noch mal neu. | |
## Das Licht der Nacht | |
Seine Landung in Berlin war hart. Bei einem Besuch in der Stadt stürzte er | |
auf dem Alexanderplatz zehn Meter die Rolltreppe hinunter, brach sich den | |
Rücken und traf noch im Krankenhaus den Entschluss zu bleiben. Er jobbte in | |
Bars und Callcentern, legte sich ein mobiles Studio auf einem Lastenrad zu, | |
mit dem er auf Veranstaltungen fotografiert. | |
2016 eröffnete er in der Togostraße ein eigenes Fotostudio und | |
Kunstatelier. Er hat sich für den Stadtteil Wedding entschieden, weil es | |
hier noch etwas zu gestalten gibt. „In Holland ist alles zu perfekt, kein | |
Graffiti an den Wänden, die Rasen immer ordentlich gemäht“, sagt er. In | |
Berlin nicht. Er macht, während er erzählt, die letzten Handgriffe an dem | |
alten Benzinkanister und stöpselt den Stecker ein. Wie ein riesiges | |
Glühwürmchen leuchtet der Kanister. | |
Seine Materialien findet Hofsté übrigens meistens nachts, wenn er durch die | |
Stadt stromert. Eine Gewohnheit, die er sich bei seiner Arbeit als Fotograf | |
bei Modezeitschriften angeeignet hat. Tagsüber perfekt inszenierte Bilder | |
im großen Team schießen, nachts zum Ausgleich allein mit der Kamera | |
losziehen. Aktuell fotografiert er Berliner Straßenkreuzungen, ein Foto | |
hängt im Schaufenster. | |
Was er sieht, wenn er nachts an der Großstadtkreuzung steht? Natürlich: die | |
Lichter. Und dann neue Lampenschirme. | |
2 Feb 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://www.instagram.com/ivooo.image.light/ | |
## AUTOREN | |
Niklas Vogel | |
## TAGS | |
Upcycling | |
Müll | |
Kreativwirtschaft | |
Berlin | |
Krawatte | |
Mosaike | |
Upcycling | |
Upcycling | |
Mode | |
Upcycling | |
Upcycling | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Upcycling von alten Krawatten: Knitterfrei aufgewacht | |
Als Jugendlicher trug Herr K. Krawatten. Nun macht unsere Autorin ein | |
Kissen draus – und sich Gedanken über den Schlips als Kleidungsstück. | |
Glaskunst und Mosaike aus München: Der Munich-Style | |
Auf Glas, Licht und Farbe spezialisiert: Seit 171 Jahren steht die | |
Mayer’sche Hofkunstanstalt für hochwertige Handwerkskunst. Ein Porträt. | |
Upcycling von alten CD-Hüllen: Schweigendes Silber | |
Die CD war ein Übergangsmedium zwischen analoger und digitaler Ära. Sie | |
taugt nicht mal mehr als Retrochic. Außer, man baut eine Box daraus. | |
Designerin über Wiederverwertung: „H&M kann man kaum upcyceln“ | |
Kaum ein Konsumartikel ist schnelllebiger als die Klamotte. Junge | |
Designer*innen arbeiten dagegen an, indem sie alte Kleidung wieder | |
aufwerten. | |
Gespräch mit einem Modedesigner: „Meine Anzüge sind sehr Berlin-typisch“ | |
Aus abgelegter Arbeitskleidung macht Daniel Kroh tragbare Stadtmode oder | |
Bühnenkostüme. Seine nachhaltige Arbeitsweise sieht er auch als politisches | |
Statement. | |
Upclyling im Museum: Abfall aufgewertet | |
Die Ausstellung „Pure Gold“ zeigt im Museum für Kunst und Gewerbe, wie man | |
mit kreativen Methoden aus Müll Neues, Nützliches und Schönes machen kann. | |
Upcycling mit Anleitung: Am Seil hängt das Leben | |
Fünf Jahre war das Kletterseil ein treuer Begleiter. In seinem zweiten | |
Leben ist es eine Obstschale. Wir zeigen, wie das geht. |