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# taz.de -- Upcycling von alten Krawatten: Knitterfrei aufgewacht
> Als Jugendlicher trug Herr K. Krawatten. Nun macht unsere Autorin ein
> Kissen draus – und sich Gedanken über den Schlips als Kleidungsstück.
Bild: Einst kleidsam, jetzt bequem: Krawatten und ihre neue Bestimmung
Die Krawatten lagen im Schrank des Zimmers, in das ich zog. Sechs Stück,
sehr bunt, sehr breit. Der Vormieter wollte sie nicht mehr haben. Ich
wollte sie haben. Seide – der Stoff fühlt sich gut an, und Bunt mag ich
auch. Ich näh dir was draus, versprach ich.
Der Vormieter, nennen wir ihn Herrn K., und ich versuchten zu
rekonstruieren, warum er so viele Krawatten hatte. Wahrscheinlich für die
Bälle am Ende jedes Tanzkurses gekauft, denkt er. So ganz sicher ist er
sich da aber nicht.
Klar ist nur: Die erste Krawatte gab’s zur Jugendweihe. Es muss eine
Krawatte gewesen sein, denn Herr K. hatte damals keinen Bock auf Fliegen.
Und auch keinen Bock auf Clip-Krawatten, die man nicht binden muss. Sein
Vater trug solche. Herr K. wollte es „richtig“ machen, genauso, wie er sich
nicht elektrisch rasieren wollte wie der Vater, sondern sich die Zeit
nehmen, es „richtig“ zu machen. Abnabelung also.
Ich war früher Spießer, sagt Herr K. Nicht, weil er peinlich-flippige
Ökoeltern hatte, er trug Hemden einfach so, weil er es wollte, damals mit
14, 15, 16. Seine Mutter beschloss: Wer Hemden trägt, muss selbst bügeln.
Also bügelte Herr K. selbst. Es gab keine Klassenkameraden, die mitgemacht
haben beim Spießigsein mit selbstgebügelten Hemden. Aber verprügelt wurde
Herr K. an der Schule nicht für seinen Style – hätte auch anders laufen
können, sagt er.
Krawatten trug selbst er nur zu den Bällen der Tanzschule, drei Jahre lang.
Und zum Abiball. Er hatte sie aus dem Internet, von eBay. Echte Seide.
Paisley-Muster. Günstig.
## Auf kroatische Art
Ursprünglich war die Krawatte Teil von Militäruniformen. Das Wort kommt aus
dem Französischen: à la cravate – auf kroatische Art. Die Franzosen sahen
das Accessoire zum ersten Mal an kroatischen Söldnern, irgendwann vor knapp
400 Jahren. Es diente dazu, Feind von Freund zu unterscheiden. Und
Hierarchien klarzumachen.
Krawatten demonstrierten auch später Macht und Status. Büroangestellte
trugen sie, um sich vom einfachen Arbeiter zu unterscheiden. Heute sehe ich
kaum noch Krawatten. Weil Berater, Vertreter, Unternehmer keine U-Bahn
fahren? Oder weil sie einfach keine Krawatten mehr tragen? Ich weiß es
nicht. Aber viele große Unternehmen, selbst Banken, haben die
Krawattenpflicht abgeschafft. Und in der Start-up-Szene gab es den Schlips
nie: flache Hierarchien und die Arbeitskollegen als Ersatzfamilie – da
passt er nicht rein.
Auch Politiker verzichten immer öfter darauf. Volksnähe statt Abgrenzung.
Ich finde das gut. Ich bin keine Freundin von Statussymbolen, von
Kleiderordnungen und von „weil sich Dinge eben so gehören“. Es reicht
nicht, ein längliches Stück Stoff um den Hals zu tragen, um Kompetenz und
Verantwortung zu beweisen. Dazu braucht es schon etwas mehr.
Herr K. legte seine Krawatten mit dem Ende der Tanzschule in den Schrank.
Es gab keine Anlässe mehr, nicht im Studium, nicht im Job, nicht einmal zu
Vorstellungsgesprächen war es angemessen, einen Schlips um den Hals zu
tragen. Außerdem merkte er, wie hässlich seine Krawatten waren, sagt Herr
K.: viel zu breit. Das trägt doch keiner mehr. Auch der emotionale Wert
seiner Krawatten war gering.
Zuletzt trug Herr K. vor zwei Jahren einen Schlips, Mitte 20 war er da:
Geschäftstermin in Zürich, mit Krawattenpflicht im dortigen Unternehmen. Am
Abend vorher hat er sie gekauft, Galeries Lafayette, 80 Euro. Schmal und
hellblau, mit dezenten weißen Punkten – und doppelt so teuer wie die sechs
alten Krawatten zusammen. Binden musste sie der Chef im Taxi. Herr K.
wusste nicht mehr, wie das geht.
## Das Gegenteil von Emanzipation
Vielleicht muss der Schlips einmal komplett aussterben, damit er
zurückkommen kann. Neu kombiniert, nicht mehr unbedingt zum Hemd.
Vielleicht erobern sich auch endlich Frauen das Kleidungsstück, statt sich
damit zu begnügen, es Männern zuzubinden, auszuziehen oder, wie vor einigen
Tagen an Weiberfastnacht, abzuschneiden.
Es gibt tatsächlich spezielle Damenkrawatten, mitsamt einer Fülle von
Tipps, wie frau sie kombinieren kann, ohne ihre Weiblichkeit zu verlieren.
Bisher also eher das Gegenteil von Emanzipation.
Ich habe aus den Tanzballkrawatten keine Damenkrawatten gemacht. Nur eine
aus der Sammlung trage ich selbst, eine schmale schwarze – aber als Gürtel.
Aus den zu breiten bunten Krawatten ist ein Kissenbezug geworden – hundert
Prozent Seide. Das ist gut für Haut und Haare: Seide nimmt weniger
Feuchtigkeit auf als Baumwolle, deshalb trocknet die Gesichtshaut über
Nacht nicht aus. Knitterfreies Aufwachen.
Und weil Seide glatter ist als Baumwolle, gibt es weniger Reibung zwischen
Haar und Kissen – und dadurch weniger Spliss. Ein wahres Schönheitswunder
sind sie also, die alten Krawatten.
## Anleitung
1. Für eine Kissenhülle braucht es sechs breite Krawatten oder acht
schmale. Zunächst die Nähte an den Rückseiten der Krawatten vorsichtig
auftrennen und das Innenfutter herausnehmen. Dann alle Krawatten waschen.
2. Nun die Krawatten vollständig aufklappen und mit der Seidenstufe des
Bügeleisens bügeln.
3. Die Krawattenstoffstücke so anordnen, wie sie später auf dem Kissenbezug
erscheinen sollen. Am einfachsten ist es, die Krawatten versetzt zueinander
hinzulegen: neben einem schmalen Ende ist eine breite Spitze.
4. Wichtig ist, die Krawattenstücke vor dem Zusammennähen zuzuschneiden.
Die Ränder der aufgefalteten Krawatten sind in der Regel nicht gerade. Wird
an ihrer Linie entlanggenäht, hat die Hülle später eine unebene Oberfläche.
Deshalb mit einem Lineal gerade Randlinien ziehen, dann die Krawatten
entsprechend zuschneiden und zusammennähen. Nähte versäubern.
5. Aus dem so entstandenen Stoffstück nun zwei Quadrate in der Größe des
Kissenbezugs ausschneiden. Zunächst einen Reißverschluss einnähen, danach
die restlichen drei Seiten zusammennähen.
3 Mar 2019
## AUTOREN
Christina Spitzmüller
## TAGS
Krawatte
DIY
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Upcycling
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