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# taz.de -- Upcycling von alten Sonnenschirmen: In der Wohnung draußen sein
> Selbst dieser Sommer geht einmal zu Ende und damit der Urlaub auf
> Balkonien. Aus den Sonnenschirmen von gestern werden Übergangsmäntel.
Bild: Eben noch auf dem Balkon, wird aus dem Sonnenschirm …
Mein Balkon ist miniklein. Eigentlich ist es nur ein halber Balkon, in der
Mitte gibt es eine Trennwand, vom Vermieter aufgestellt, dahinter wohnen
meine Nachbarn. Wir sehen uns nicht, wenn wir mal gleichzeitig auf dem
Balkon sind. Aber wir hören uns. „Hi“, sagt manchmal eine Stimme hinter der
Wand. „Hi“, antworte ich dann.
Das Schöne an einem Balkon ist: Ich kann den Sommer draußen genießen, ohne
meine Wohnung zu verlassen. Auf dem Balkon ist es gemütlich und schön, es
gibt genügend Wasser und andere Getränke, der Kühlschrank ist voll, das Klo
in Laufweite. Und wenn ich müde werde, falle ich einfach ins Bett. Manchmal
in diesem Sommer dachte ich: Ich sollte rausgehen, tanzen, ziellos durch
die Stadt irren und die Dinge passieren lassen. Aber dann war es meistens
doch zu heiß. Und mein Balkon zu verlockend.
„Mein Balkon“, schreibe ich. Dabei ist das gar nicht „mein“ Ort. Es ist…
Irgendwas zwischen privatem und öffentlichem Raum. Man fühlt sich, als sei
man allein, hat aber keine Wand zwischen sich und den Menschen. Das wirft
Fragen auf: Wie bekleidet muss man eigentlich sein, wenn jeder, der auf der
Straße rumläuft, einen sehen kann?
Unterwäsche ist okay, sagt das Internet. Nackt ist grenzwertig. Wenn sich
Nachbarn gestört fühlen, gilt das als „Belästigung der Allgemeinheit“. V…
Nachbarschaftsstreitigkeiten über Balkongeländer hinweg habe ich selten
gehört, der Gartenzaun ist dafür der klassische Ort. Aber es gibt Urteile
dazu. Zum Beispiel kann man seinen Nachbarn verbieten, auf dem Balkon zu
rauchen. Scheint es also zu geben, Balkon-Feinde.
## Leben und leben lassen
Meine Nachbarn sind entspannt. Keine Balkon-Feinde. Da ist die Frau schräg
gegenüber, die im BH draußen raucht. Die Omi auf der anderen Straßenseite,
die regelmäßig einen großen Korb an einem Seil auf die Straße
hinunterlässt, der dann von unten mit mysteriösem Inhalt befüllt wird. Der
Mann direkt gegenüber, von dem ich nicht weiß, ob er nachts in mein Zimmer
sehen kann, wenn das Licht an ist. Ich sehe bei ihm rein, aber ich schaue
nicht. Leben und leben lassen, freundliches Zunicken, wenn man sich auf dem
Balkon gegenübersteht, mit einer Straßenbreite Abstand.
Die Nachbarn schräg unter mir haben eine richtige Tomatenplantage auf ihrem
Balkon. Sie kümmern sich liebevoll darum. Gerne oberkörperfrei, mit
Sprühflasche und Gießkanne, säuberlich werden die Seitentriebe
abgeschnitten. Auch bei anderen Nachbarn ist es grün. Kleine Urwälder
wachsen da, aus Sonnenblumen, Gemüse, undefinierbarem Grünzeug. Die ohne
grünen Daumen gibt es genauso, in zwei Ausführungen.
Die bessere Variante: Der Balkon bleibt unbepflanzt. Das sieht dann
lediglich ein bisschen desinteressiert aus. Deutlich trauriger wirkt es,
wenn ausgebleichte, strohige Pflanzenleichen aus Blumenkästen herausragen
oder verdorrte Bäumchen in Ecken stehen. Da kümmert sich wer einfach nicht,
schreit das.
Dabei glaube ich: Die Besitzer solcher Wüstenbalkone sind die mit dem
aufregenderen Leben. Sie haben im Frühjahr gepflanzt, voller Elan, mit dem
Vorsatz, es schön zu haben auf diesem kleinen Stück Wohnung in Freiheit.
Aber dann passierte das Leben und die Menschen mit den Wüstenbalkonen haben
Leute kennengelernt, sie waren draußen, waren reisen, haben Dinge erlebt.
Sie fanden gar keine Zeit, auf dem Balkon zu sitzen.
## Das Leben, die Zukunft, Gott, Männer und Frauen
Meine Mitbewohnerin hat auch einen Wüstenbalkon. Er ist genauso miniklein
wie meiner. Bei ihr liegt es aber daran, dass dort die Wäsche zum Trocknen
steht. Mein Balkon ist unser Wohnbalkon, da sitzen wir dann, abends, bei
Weißweinschorle und Zigarette, und reden. Über das Leben und die Zukunft,
Gott, die Welt, Männer und Frauen. Wenn alles ausgeredet ist, beobachten
wir die Nachbarn. Sie lungern auch auf ihren Balkonen rum, als hätten sie
kein Zuhause.
Lange werden sie nicht mehr draußen sitzen. Der Sommer ist fast vorbei.
Klein-Balkonien muss winterfertig gemacht werden: Die Gartenmöbel kommen
rein, damit sie bis zum nächsten Jahr nicht verwittern, die ausgetrockneten
Pflanzen kommen weg, damit im Frühling Platz ist für neuen Elan. Der
Sonnenschirm wird abgespannt. Er wird nicht mehr gebraucht. Vielmehr freut
man sich über die letzten warmen Sonnenstrahlen, die einen noch ein wenig
länger davon abhalten, einen Pullover überzuziehen.
Letzten Herbst habe ich zwei ausrangierte Sonnenschirme auf der Straße
gefunden. Einen mit Blumenmuster, einen in schlichtem, ausgeblichenem Blau.
Mein Balkon ist zu schmal für einen Sonnenschirm. Also liebäugelte ich
damit, einfach ein großes Loch in die Mitte des Schirms zu schneiden und
einen Rock daraus zu nähen. Aber der Stoff war zu schwer und Röcke schon
genügend im Kleiderschrank.
Der Blumenschirm ist jetzt ein Sommermantel geworden – zum Überwerfen,
morgens für die erste Zigarette auf dem Balkon. Der blaue wurde zu einem
leichten Übergangsmantel. Für Sommererinnerungen, wenn es wieder Herbst
wird.
Anleitung
1. Diese Anleitung ist nichts für Nähanfänger*innen. Mit ein wenig
Erfahrung wird es aber gut gelingen. Als Erstes muss man den Stoff des
Sonnenschirms vom Gestell lösen, dabei Metallstücke und sonstigen
Halterungen vorsichtig abtrennen, ohne Löcher in den Stoff zu schneiden.
Dann bei 30°C waschen.
2. Jetzt kommt der schwierigste Part: den Stoff zu schneiden. Zwei Längen
sind wichtig: Wie lange soll der Mantel werden? Und wie ist der Abstand
zwischen den Schultern? Letzteres kann an einer gut sitzenden Jacke
ausgemessen werden – von Armansatz zu Armansatz. Dann gemäß der
Schnittvorlage den Mantel, den Gürtel und die Ärmel aus dem Schirmstoff
schneiden. Die Länge der Ärmel ist variabel, wichtig ist nur, dass die
Armlöcher im Mantel den selben Umfang haben wie das Ende der Ärmel.
3. Jetzt den Torsoteil des Mantels jeweils an den Schultern zusammennähen,
wie im Schnittmuster zu sehen.
4. Auch die Ärmel zusammennähen und in die Armlöcher am Mantel einsetzen.
Nähte versäubern.
5. Anschließend den Saum des Mantels versäubern. Am besten ist es, dafür
den alten Saum vom übrigen Sonnenschirm vorsichtig abzutrennen und damit
den neu geschnittenen Saum zu versäubern.
6. Zuletzt einen Gürtel aus einem langen Stoffstück nähen. Wenn gewünscht,
Taschen und Gürtelschlaufen am fertigen Mantel annähen.
7. Wenn die Farbe nicht gefällt, können normale Baumwollstoffe mit
Textilfarbe gefärbt werden. In der Regel sind Sonnenschirme aus Polyester,
auch dafür gibt es spezielle Stofffarbe, mit der der fertige Mantel
eingefärbt werden kann.
15 Sep 2018
## AUTOREN
Christina Spitzmüller
## TAGS
Upcycling
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