| # taz.de -- Utopische Austellung in Hamburg: Wohn-Ideen für die Klimakatastrop… | |
| > Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe erteilt dem Vermeidungsdiskurs | |
| > eine Absage. Stattdessen präsentiert es lieber Wohn-Entwürfe für das | |
| > Leben nach dem Klimawandel. | |
| Bild: Nomadische Insel: Vincent Callebauts "Lilypad" | |
| HAMBURG taz | Natürlich hat man es in den 70ern schon geahnt: dass sich die | |
| Erde aufheizen könnte und dass die Wirtschaft nicht ewig wachsen würde. Der | |
| 1972 edierte Band "Die Grenzen des Wachstums" des Club of Rome fand klare | |
| Worte. Trotzdem fühlte sich kaum jemand bemüßigt, sich über alternative | |
| Wohnformen Gedanken zu machen. | |
| Entsprechende Modelle waren meist als Utopien gedacht: Matti Suuronen etwa | |
| hat 1968 die kapselförmige Hütte "Futuro", David Greene 1965 die Wohnkapsel | |
| "Living Pod" entworfen - klima- und versorgungsautarke Mini-Gehäuse, mit | |
| deren Hilfe man Alaska, vielleicht den Mond besiedeln, sprich: den Menschen | |
| vom Außenklima unabhängig machen könnte. | |
| Diesem Kontext entstammen auch die ältesten Exponate der Ausstellung | |
| "Klimakapseln. Überlebensbedingungen in der Katastrophe" im Hamburger | |
| Museum für Kunst und Gewerbe. Es ist eine Schau, die sich durchaus als | |
| subversiv versteht: "Bisher", sagt der Architekt, Design-Professor und | |
| Kurator Friedrich von Borries, "werden fast nur Vermeidungsstrategien | |
| diskutiert. Da werden die Menschen zum Sparen angehalten und | |
| Schwellenländer ermahnt, die Fehler der Industrienationen gar nicht erst zu | |
| begehen." | |
| Eine unrealistische Diskussion, findet von Borries. Denn es sei ungewiss, | |
| ob die derzeit formulierten Klimaziele reichen würden, um die Erderwärmung | |
| aufzuhalten. Da solle man sich lieber pragmatisch vorbereiten auf den Tag - | |
| vermutlich um 2100 -, an dem der Meeresspiegel einen Meter höher stehen, | |
| sechs Prozent der Niederlande sowie 17 Prozent von Bangladesh unbewohnbar | |
| und 250 Millionen Klimaflüchtlinge unterwegs sein werden. "Wie wollen wir | |
| dann leben?", fragt von Borries. "Wer darf sich vor Hitze und verpesteter | |
| Luft schützen? Wer wird sich das überhaupt leisten können?" | |
| So in etwa lauten die Leitfragen der Schau, deren älteste Exponate - von | |
| heute aus betrachtet - gar nicht so utopisch wirken. Ganz im Gegenteil | |
| können die Mini-Wohngehäuse als Vorstufen der von Ron Herron von der Gruppe | |
| Archigram 1973 entworfenen "Walking City" gelten - eines futuristischen | |
| Riesengebildes, das durch die Wüste wandern kann, ohne dass die Bewohner | |
| Staub und Hitze bemerken. | |
| Man kann aus diesen Häusern zwar herausschauen, aber nicht von draußen | |
| hinein: Am Ende weckt es noch Neider. Und hier liegt der Pferdefuß der | |
| "Kapselstadt"-Idee: in ihrer begrenzten Kapazität. Denn wer hier wohnen | |
| darf, wird sich abschotten wollen gegen weitere Klimaflüchtlinge - aus | |
| verseuchten, armen, nicht genehmen Gegenden. Überdies, so von Borries, | |
| müssen auch drinnen strenge, vielleicht gar diktatorische Regeln gelten, | |
| damit Ruhe herrscht. | |
| Humaner und demokratischer wirken die 2008 von Vincent Callebaut | |
| entworfenen "Lilypads". Sie treiben auf den Weltmeeren und sollen alle | |
| aufnehmen, die ausgesperrt vor den Kapselstädten lungern - und wenn eine | |
| Lilypad-Insel voll ist, teilt sie sich eben. Wie oft sie das tun kann und | |
| was passiert, wenn alle Meere voller Lilypads, aber immer noch Flüchtlinge | |
| übrig sind, weiß niemand. | |
| Doch auch für jene, die nirgends unterschlüpfen können, hat die Hamburger | |
| Schau etwas im Angebot. Der japanische Designer Kouji Hikawa hat 2008 | |
| "Cooling Wear"-Anzüge entworfen, die man auch im Tokio der Zukunft tragen | |
| kann: Da werden sommers über 50 Grad Celsius erwartet. | |
| Michael Rakowitz wiederum hat ein Überlebens-Iglu für eine Person | |
| entworfen: Sein "Bill Stones paraSITE shelter" ist ein aufblasbares Zelt, | |
| das an Abluftschächte von Gebäuden angeschlossen werden kann und sich dabei | |
| erwärmt. Eine Lösung, flexibel, nomadisch und nicht nur für | |
| Überschwemmungsopfer, sondern auch für Arbeitsmigranten geeignet. | |
| Das ist alles zweckrational gedacht und erfüllt - falls es funktioniert - | |
| eine Schutzfunktion. Trotzdem drängt sich die Frage auf, wie es in diesen | |
| hermetischen Kapseln um die Freiheit bestellt ist: Mutiert, was als Schutz | |
| gedacht war, nicht zum Gefängnis, zum Kommunikations- und | |
| Wahrnehmungs-Hemmnis? Der Mensch als Zellklumpen, eingesperrt in ein | |
| Reagenzglas, das letztlich vorm Leben abschirmt? | |
| Die Hamburger Schau findet eine lakonische Antwort: Lawrence Malstafs | |
| Performance "Shrink" mit ihren eingeschweißten Menschen, die zwar Luft | |
| bekommen, aber ansonsten hermetisch abgeschlossen sind. Auch können sie | |
| sich in ihrer Hülle nicht bewegen. Trotzdem - und das erschüttert wirklich | |
| - beteuern die Probanden, sie fühlten sich da drin so geborgen wie im | |
| Mutterleib. Ist es der Menschheit also am Ende egal, ob sie in der Natur | |
| oder in künstlichen Biotopen lebt? Hat sie sich nach einer Weile daran | |
| gewöhnt und ist zufrieden? | |
| Vielleicht - und wer weiß, vielleicht gewöhnt sie sich auch an künstliche | |
| Natur: In Natur-Museen will Ilkka Halso ganze Landschaften aufbewahren - | |
| sorgsam klimatisiert, damit sie nicht verbrennen. Menschen dürfen da nicht | |
| hinein: Für sie wurden außen herum Zuschauerränge installiert. Aber ist das | |
| hier Beschützte noch Natur - oder deren Mumifizierung? Vielleicht wäre es | |
| ehrlicher, alles "live" der sengenden Hitze auszusetzen. | |
| Das heißt - vielleicht wird die gar nicht so sengend: Schließlich und | |
| endlich gibt es noch die Wettermacher - Wissenschaftler, die seit Wilhelm | |
| Reichs "Cloudbuster" von 1953 versuchen, Wolken zum Regnen zu bringen und | |
| Meere mit Algen zu düngen, um die Sonneneinstrahlung zu reduzieren, kurz: | |
| das Wetter zu moderieren. Als Indiz dafür, dass diese Versuche ernst | |
| genommen werden, mag eine UN-Konvention von 1976 gelten, der zufolge Wetter | |
| nicht in zerstörerischer Absicht manipuliert werden darf. Und schon | |
| fürchtet man, dass das natürlich doch geschähe, sobald es möglich wäre. | |
| Doch auch wenn die Hamburger Ausstellung dieses Negativst-Szenario nicht | |
| ständig an die Wand malt, hinterlässt sie eine Mixtur aus Lethargie und | |
| Resignation. Denn alle präsentierten Modelle bleiben Stückwerk - sowohl in | |
| technischer als auch in sozialer Hinsicht. Diese Schau zeigt Lösungen, die | |
| die Gesellschaft nicht einen, sondern weiter spalten: Hier die Luxus-Kapsel | |
| für die Reichen, dort das Zelt für die Ärmeren. Und die Allerärmsten werden | |
| der Sonne gänzlich schutzlos ausgeliefert sein. | |
| Eine Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, eine vom Status | |
| unabhängige Lösung für viele: Dies bietet keines der Modelle. Dabei wäre | |
| das gemeinsame Leiden am Klima ein gutes Movens für eine echte | |
| gesellschaftliche Utopie. Architekten und ihre Entwürfe könnten deren | |
| Vorboten sein. Die in Hamburg gezeigten sind es nicht. | |
| 8 Jun 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
| Petra Schellen | |
| ## TAGS | |
| Wahlkampf | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Klimaschutz-Ziele in Hamburg: Grüne plötzlich ehrgeizig | |
| Im Laufe eines halben Jahres haben die Hamburger Grünen ihre | |
| Klimaschutzziele radikal verschärft. Jetzt appellieren sie an die Wähler, | |
| mutig zu sein. | |
| Museumsdirektorin über -politik: „Mein Geschmack ist nicht wichtig“ | |
| Von der Trophäen-Schau zur kritischen Ausstellung: Sabine Schulze hat das | |
| Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe komplett umgemodelt. |