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# taz.de -- Gewalt in der Partnerschaft: Hinter verschlossener Tür
> Jede vierte Frau erfährt Gewalt in der Partnerschaft. Auch Frauengewalt
> an Männern gibt es, doch diese ist sehr selten und auch nicht so brutal.
Bild: Zumeist sind es die Männer, die zuschlagen
Im November 2016 schleift ein Mann seine Frau an seinem Auto hinter sich
her. Die Frau hängt mit einem Strick um den Hals an der Anhängerkupplung,
der Mann rauscht mit 80 Sachen durch die Straßen von Hameln in
Niedersachsen. Vorher hat er mehrfach mit einem Messer auf die Frau
eingestochen.
Anfang April dieses Jahres beobachten Autofahrer, wie ein BMW auf der
Haseltalbrücke im Spessart in Bayern mit der Leitplanke kollidiert. Sie
wollen zu Hilfe eilen. Doch als der Fahrer aus dem Wagen steigt, stürzt er
sich – nach kurzem Wortwechsel – unvermittelt über das Brückengeländer in
die Tiefe. Die Augenzeugen sind geschockt. Zu jenem Zeitpunkt wissen sie
noch nicht, dass auf dem Beifahrersitz im Unfallauto eine Leiche liegt –
die der Exfreundin des Mannes. Er hat sie vorher erstochen.
Das sind zwei – zugegeben äußerst krasse – „Beziehungstaten“, deren
Brutalität öffentliche Aufmerksamkeit erregte. Die meisten Fälle von
Partnerschaftsgewalt bleiben unerkannt. Bestenfalls erfährt die Polizei
davon, wenn sie gerufen wird. 128.000 Delikte von Partnerschaftsgewalt –
Mord, Totschlag, Körperverletzung, Stalking, Vergewaltigung, sexuelle
Nötigung – zählt die Polizeiliche Kriminalstatistik im Jahr 2015. In 82
Prozent sind die Opfer weiblich, in 80 Prozent die Täter männlich.
Einer umfangreichen Studie des Familienministeriums zufolge erlebt jede
vierte Frau zwischen 16 und 86 Jahren körperliche und psychische Gewalt –
vom aktuellen oder Expartner. 20 Prozent der Frauen haben mittlerweile
digitale Gewalt erfahren: Hassmails, -posts und -kommentare im Internet,
Identitätsdiebstahl und intime Fotos, die veröffentlicht werden. Die
Datenlage ist eindeutig: Partnerschaftsgewalt ist Gewalt an Frauen.
Und doch erfährt das Thema Gewalt an Männern publizistische Konjunktur. In
kurzer zeitlicher Abfolge berichten Welt, Spiegel, Frankfurter Allgemeine
Zeitung über Männer als Opfer – und Frauen als Täterinnen. Die Texte tragen
Titel wie „Wenn Frauen zuschlagen“ und „Wenn Männer von Frauen geschlagen
werden“. Mitunter entsteht ein Eindruck, der diametral zu den bisherigen
Darstellungen von Partnerschaftsgewalt steht: Männer seien ebenso Opfer wie
Frauen.
## Männer schlagen Männer
Stimmt das? Laut Polizeistatistik werden zwar mehr Männer als Frauen
verprügelt, ermordet, bedroht, gestalkt, unter Druck gesetzt. In der Regel
aber nicht von ihren aktuellen oder früheren Freundinnen und Ehefrauen,
sondern von anderen Männern. Die Übergriffe passieren zudem meist nicht in
den eigenen vier Wänden, wie bei Partnerschaftsgewalt, sondern im
öffentlichen Raum: in Restaurants, Kneipen, Spielhallen, Parks. Täter und
Opfer kennen sich zum Tatzeitpunkt in der Regel nicht.
Doch Übergriffe von Frauen auf Männer sind kein Mythos. Immerhin waren 18
Prozent der Opfer von Partnerschaftsgewalt im Jahr 2015 Männer. Sie wurden
geschlagen, angespuckt, psychisch fertig gemacht, gestalkt – von
homosexuellen Partnern, aber auch von Frauen.
Und doch gibt es wesentliche Unterschiede zur Männergewalt an Frauen: Die
Schläge, die Frauen austeilen, sind in der Regel nicht so heftig wie die
von Männern. Das belegen zahlreiche Studien. Frauen werden häufiger mit
schweren und dauerhaften Körperverletzungen und psychischen Schäden in
Kliniken eingeliefert als Männer.
## Taktische Gegenanzeigen
Außerdem nehmen Frauen Gewalt sensibler wahr. Antigewalttrainer, die mit
männlichen Tätern arbeiten, berichten, dass Frauen schon einen leichten
Schubs, den sie einem Mann verpasst haben, als Gewalt definieren. Männer
hingegen würden diesen Schubs kaum spüren, geschweige denn es Gewalt
nennen.
Trotzdem zeigen manche Männer ihre Partnerin an, wenn sie sich mit einem
mehr oder weniger leichten Schlag gewehrt hat. So hat der Mann etwas gegen
die Frau in der Hand. Die Polizei spricht dann von „taktischen
Gegenanzeigen“ der Männer, die in die Polizeistatistik miteinfließen.
Gewalt von Frauen an Männern darf nicht verharmlost werden. „Häusliche
Gewalt gegen Frauen, gegen Männer, gegen Kinder ist keine Privatsache. Das
ist eine Straftat – und muss entsprechend verfolgt werden“, sagt Holger
Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes. Ungeachtet dessen ist Gewalt an
Männern unzureichend erforscht. Es fehlen insbesondere qualitative
Erhebungen: über Täter und Opfer, zu Verhalten und Motiven, zu
Konfliktlagen und Gewaltspiralen.
ForscherInnen beklagen immer wieder, dass solche Erkenntnisse schwer zu
bekommen seien. Weil Männer kaum über ihre Gewalterlebnisse reden. Eine
Ursache hierfür scheint das archaische Geschlechterbild zu sein, dem
zufolge ein „richtiger“ Mann potent, agil, aktiv ist, jemand, der eher
angreift als angegriffen wird.
4 May 2017
## AUTOREN
Simone Schmollack
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Lesestück Meinung und Analyse
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