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# taz.de -- Historikerin Gisela Notz über Familien: „Wir gehen längst ander…
> Vater, Mutter, Kind. Eine traditionelle Rollenverteilung ist für Rechte
> und „besorgte Eltern“ die „Normalfamilie“. Die ist allerdings überho…
> sagt Historikerin Gisela Notz.
Bild: Traditionelle Rollenverteilung?
taz: Frau Notz, seit einer Weile befindet sich der Antifeminismus in
Deutschland auf dem Vormarsch. Rechte und „besorgte Eltern“ machen Stimmung
gegen Gleichberechtigung und sexuelle Vielfalt. Ist das eine Reaktion auf
den Zerfall der bürgerlichen (Klein-)Familie?
Gisela Notz: Es gab immer schon andere Formen des Zusammenlebens als die
Kleinfamilie mit Vater, Mutter und Kind(ern), aber sie wurden und werden
argwöhnisch betrachtet. Dass diese Einstellung zur rechten Ideologie
gehört, hat der Nazifaschismus gezeigt: Die Familie galt schon damals als
„Keimzelle der Gesellschaft“. Mit solchen Vokabeln wird heute von den
Rechten wieder um sich geworfen. Die „besorgten Eltern“ behaupten,
außerhalb der Familie habe Sexualkunde und Aufklärung nichts zu suchen,
„Genderismus“ schon gar nicht, und dafür gehen sie auf die Straße. Sie
wollen zurück zu einem streng traditionellen Familienbild und machen
Stimmung gegen sexuelle „Minderheiten“.
In welchem Verhältnis stehen die „besorgten Eltern“ zu den Rechten?
Sie gehören zu den Konservativen, die das Rad der Geschichte wieder
zurückdrehen wollen. Schon Anfang der 1960er Jahren haben „besorgte Eltern“
vor dem Bayerischen Landtag gebetet, damit kein Sexualkundeunterricht in
den Schulen eingeführt wird. Unterstützt wird die Gruppe von radikalen
Christ*innen, Homophoben und „neuen Rechten“. Dass dieser Widerstand jetzt
in Form einer neuen Partei, der AfD, daherkommt, ist besorgniserregend.
Sie nennen die Überbetonung der familiären Ordnung Familismus. Was genau
verstehen Sie darunter?
Das ist ein soziologischer Begriff, aber vor allem eine Ideologie. Sie
sieht die bürgerliche Kleinfamilie – die mit staatlichem und kirchlichem
Segen versehene heterosexuelle, monogame, Vater-Mutter-Kind-Familie – als
„naturgegebene“ und „gottgewollte“ Leitform einer Sozialstruktur an.
Familismus ist eine Spielart des Antifeminismus, denn in der
„Normalfamilie“ herrscht eine komplementäre Rollenaufteilungen entlang der
Geschlechterlinien. Die Mutter ist sorgende Hausfrau oder Zuverdienerin,
der Vater der „Haupternährer“. Die Familie bildet den Dreh- und Angelpunkt
der gesellschaftlichen Ordnung. Frauen glauben, sie müssten sich für die
Familie aufopfern und ihre Bedürfnisse für sie zurückstellen. So dient die
Familie als die billigste Versorgungseinheit der Gesellschaft. Gerade in
Zeiten, in denen sozialstaatliche Leistungen gekürzt werden, sorgt sie für
Ausgleich. Die Wirkmächtigkeit des Familismus hat sich trotz aller Kritik
der bisherigen Frauenbewegungen und deren Forderung nach Eigenständigkeit
der Frauen erhalten.
Warum gehen Familisten gegen andere Formen des Zusammenlebens vor?
Sie verteidigen „die Familie“, die es heute ebenso wenig gibt, wie es sie
je gegeben hat. Heute entsprechen noch 20,3 Prozent aller Haushalte der
„Normalfamilie“. Singlehaushalte stellen die größte Prozentzahl, die Zahl
der Alleinerziehenden wächst ständig. Daneben gibt es viele andere Formen
des Zusammenlebens.
Der Familismus geht davon aus, es wäre naturgegeben, eine Familie zu
gründen.
Die „Normalfamilie“ war keinesfalls zu allen Zeiten die bürgerliche
Kleinfamilie, wie wir sie heute kennen. Schon 1866 beklagte der
Familiensoziologe Wilhelm Heinrich Riehl den angeblichen Zerfall der
Familie. Er bezog sich auf das „ganze Haus“, das auch die Mägde und Knechte
umfasste. Aus dem „Zerfall“ dieses Modells entwickelte sich mit zunehmender
Industrialisierung die heute ideologisierte Kleinfamilie.
Wie ist diese in Deutschland verankert?
Unter dem Druck der christlichen Parteien und dem Einfluss der Kirchen
wurde der Familismus 1949 ins Grundgesetz für die BRD eingeschrieben:
Familie in der Verknüpfung mit Ehe wurde unter den besonderen Schutz des
Staates gestellt. Die bürgerliche Kleinfamilie blieb die einzig akzeptable
Familienform. Sie wird auch heute noch durch Ehegattensplitting und
Witwenrente gefördert.
Abstammung ist in Deutschland gesetzlich über Blutsverwandtschaft
definiert. Was bedeutet das für die Geschlechterrollen in Familien?
Bis zum Jahr 2000 war die Staatsbürgerschaft an die blutsverwandte
Abstammung gebunden. Danach wurden Geburts- und Territorialprinzip mit
einbezogen. Ein in Deutschland geborenes Kind erhält auch dann die deutsche
Staatsbürgerschaft, wenn die Eltern diese nicht besitzen. Allerdings muss
sich ein Elternteil seit mindestens acht Jahren in Deutschland aufhalten
und über eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung verfügen. Die Ideologie
des Blutes besteht weiter fort. Von Frauen wird immer noch erwartet, dass
sie eigene Kinder bekommen. Durch die Möglichkeiten, die
Reproduktionstechnologien heutzutage bieten, wird diese Haltung noch
verstärkt.
Und wie ist die Lage heute?
Christliche Fundamentalist*innen, Abtreibungsgegner*innen, „besorgte
Eltern“, AfD und mit ihnen verbundene Netzwerke, die bis in die
Neonaziszene reichen, erzeugen einen rechtskonsvervativen Backlash – nicht
nur in Deutschland. Sie propagieren die beschriebene „Normalfamilie“ als
einzig gültige Lebensform und wollen sie retten, damit „Deutschland nicht
ausstirbt“ und die gottgewollte Ordnung bestehen bleibt. In der Realität
gehen wird jedoch längst andere Wege. Deshalb gilt es, die bereits
vorhandenen vielfältigen Lebensformen anzuerkennen. Das ist nur durch die
Abschaffung der Privilegien, die mit einer Lebensform verbunden sind,
möglich. Es geht um die Möglichkeit von freien Zusammenschlüssen unter
freien Menschen ohne Unterdrückung und Gewalt.
8 Mar 2017
## AUTOREN
Zoe Sona
## TAGS
Familie
Schwerpunkt Feministischer Kampftag
Besorgte Eltern
Reisen
Familie
Theater
Lesestück Meinung und Analyse
Ehegattensplitting
Critical Whiteness
Social Bots
Adoption
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