Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Anwältin über häusliche Gewalt: „Vorhandene Gesetze reichen au…
> Die Berliner Strafrechtsanwältin Christina Clemm vertritt vor Gericht
> Frauen, die häusliche Gewalt erleben. Jetzt hat sie dazu ein Buch
> geschrieben.
Bild: Rote Schuhe als Zeichen für ermordete Frauen in Mexiko
taz: Frau Clemm, wenn man Ihr gerade erschienenes Buch „Akteneinsicht“ über
Fälle von häuslicher und Partnerschaftsgewalt liest, könnte man am
Rechtsstaat zweifeln.
Christina Clemm: Das [1][Phänomen der geschlechtsspezifischen Gewalt]
braucht bessere Bearbeitung, mehr Wissen und mehr Aufmerksamkeit.
Bei [2][Femiziden wird Heimtücke] bei der Tat oft verneint, weil das Opfer
mit der Gewalt, die es vorher schon erlebt hatte, wieder mit Gewalt rechnen
muss. Ist das nicht fragwürdig?
Ja, aber auch wenn kein niedriger Beweggrund angenommen wird, weil es
verständlich sein soll, dass ein Mann seine Frau aus Eifersucht oder aus
Verzweiflung über die zerstörte Zukunftsperspektive tötet.
Das ist ein zutiefst patriarchaler Ansatz: Die Frau gehört mir, sie ist
mein Eigentum.
Hier offenbart sich ein gesellschaftlicher Machtanspruch des Mannes über
die Frau, besonders über die Ehefrau. Ich halte es für dringend
erforderlich, Morde an Frauen als solche zu benennen, eben als Femizide und
nicht als Familien- oder Eifersuchtsdramen.
Brauchen wir einen neuen Straftatbestand Femizid?
Ich denke nicht, dass wir den benötigen, die vorhandenen Gesetze reichen
aus. Aber die Rechtsprechung muss ihre Frauenfeindlichkeit ablegen.
Seit Jahren debattieren wir über sexuelle Gewalt, der Filmmogul Harvey
Weinstein ist gerade wegen Vergewaltigung verurteilt worden, der Film
„Bombshell“ legt sexuelle Übergriffe im US-amerikanischen Fernsehen offen.
Trotzdem wird Frauen oft nicht geglaubt, wenn sie Übergriffe anzeigen.
Warum?
Der [3][Mythos „der lügenden Frau“ hält sich hartnäckig]. Dies hat mehr …
Machtverhältnissen als mit der Realität zu tun. Es gibt keine belastbaren
Zahlen dafür, dass Frauen bei sexualisierter Gewalt übermäßig falsch
anzeigen. Warum auch? Frauen ziehen in der Regel keine Vorteile daraus,
wenn sie anzeigen. In Deutschland bekommen sie weder ein hohes
Schmerzensgeld noch klettern sie die Karriereleiter hinauf noch bekommen
sie die Kinder zugesprochen. Ganz im Gegenteil, sie werden [4][häufig als
Opfer stigmatisiert] und mit Argwohn betrachtet, selbst bei einer
Verurteilung des Täters. Wenn eine Frau ihren Ehemann angezeigt hat, kann
das ökonomisch sogar eine Katastrophe für sie sein, weil etwa der Unterhalt
wegfällt.
Zeigen deswegen viele Frauen Gewaltübergriffe erst gar nicht an?
Betroffene wollen häufig nicht, dass der Täter ins Gefängnis kommt oder
eine Geldstrafe zahlen muss. Oft erstatten sie auch nicht selbst Anzeige,
sondern andere. Sie wollen meist vorrangig, dass die Gewalt aufhört und der
Täter sie in Ruhe lässt, dass er sie vergisst. Schwerer ist das für Frauen,
die mit dem Täter Kinder haben. Sie wünschen sich meist eine Einigung: Er
soll nicht mehr schlecht über die Frau reden und gut zu den Kindern sein.
Und viele zeigen nicht an, weil sie keinen Zugang zum Recht haben – häufig
mehrfach diskriminierte Menschen wie etwa Transpersonen, Frauen mit
Beeinträchtigungen, Geflüchtete, marginalisierte Frauen.
Bei Gewaltkonflikten von Paaren mit Kindern steht das Umgangsrecht über dem
Gewaltschutz. Warum ist das nicht schon lange geändert?
In der Rechtsprechung hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass es stets dem
Kindeswohl entspräche, Kontakt zu beiden Elternteilen zu haben. Aber ich
bezweifle, dass ein gewalttätiger Vater dem Kindeswohl entspricht, selbst
wenn sich die Gewalt „nur“ gegen die Mutter richtet. Auch das Miterleben
von Gewalt wirkt für Kinder traumatisierend, ebenso die Angst um die
Mutter.
Strafprozesse wegen sexueller und Partnerschaftsgewalt sind für Betroffene
meist schwer durchzustehen. Deshalb debattieren
[5][Opferschutzorganisationen und Anwält*innen] schon länger darüber, ob
es nicht andere Wege gäbe, den Tätern beizukommen.
Wir haben derzeit keine anderen erprobten gesellschaftlichen Maßnahmen im
Sinne einer Restorative Justice.
Also einer Form der Konflikttransformation durch ein
Wiedergutmachungsverfahren?
Ja, aber es bleibt trotzdem die Frage: Hilft Strafe? Wie wirkt sie? Ich
selbst bin da auch skeptisch und fordere keine immer härteren Gesetze und
immer höhere Strafen. Was helfen könnte, ist mehr Wissen um die Gefahr,
schnellere Verfahren und schnellere Konsequenzen.
Was heißt das konkret?
Grundsätzlich muss es mehr Täterarbeit und besseren Schutz, mehr Beratung
und echte [6][Perspektiven für gewaltbetroffene Frauen] geben. Vor allem
aber eine stärkere gesellschaftliche Debatte: Wir dulden keine
geschlechtsspezifische Gewalt.
Geschlechtsspezifische Gewalt gibt es ja auch in anderen Lebensbereichen.
Ja, auch bei politischen Auseinandersetzungen oder etwa bei Polizeigewalt.
Auch darum geht es ja in meinem Buch. Geschlechtsspezifische Gewalt und
Misogynie sind immer auch fester Bestandteil rechtsextremer Ideologien und
patriarchaler Strukturen, die die Gewalt fördern. In den Geschichten, die
ich in meinem Buch erzähle, möchte ich aber auch den Blick auf die
Betroffenen lenken – auf ihre Verletzungen. Und auf die doch ganz
unterschiedlichen Wege, die sie nach schweren Straftaten gehen.
23 Mar 2020
## LINKS
[1] /Haeusliche-Gewalt-in-Deutschland/!5356380
[2] /Gewalt-gegen-Frauen/!5666139
[3] /Debatte-Gewalt-in-Partnerschaften/!5418290
[4] /Beschreibung-sexualisierter-Gewalt/!5382143
[5] /Machtlosigkeit-gegen-Stalking/!5307950
[6] /Gewalt-gegen-weibliche-Gefluechtete/!5230966
## AUTOREN
Simone Schmollack
## TAGS
Feminismus
häusliche Gewalt
Gewalt gegen Frauen
Rechte Gewalt
Gericht
Schwerpunkt Femizide
Schwerpunkt Femizide
Eltern
häusliche Gewalt
Schwerpunkt Rassismus
Feminismus
Corona Live-Ticker
Gewalt gegen Frauen
Lesestück Meinung und Analyse
Sexualisierte Gewalt
## ARTIKEL ZUM THEMA
Gewalthilfegesetz im Bundestag: Kompromiss gefunden
Erst schien es verloren, jetzt kommt es doch: das Gewalthilfegesetz.
Zukünftig werden Frauenhäuser besser finanziert. Einen Haken gibt es aber.
Gewalt an Frauen: Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
In Frankreich läuft der Pelicot-Prozess, weltweit steigt die Zahl der
Femizide. Der Mord an einer Frau sollte ein eigener Straftatbestand sein.
Schutz vor Gewalt nach einer Trennung: Wenn der Vater die Mutter bekämpft
Vor Gericht wiegt nach einer Trennung das Recht des Vaters auf das Kind oft
schwerer als der Gewaltschutz. Die Väterlobby hat großen Einfluss.
Häusliche Gewalt und Corona: Frauen suchen öfter Hilfe
Über tausend Beratungen pro Woche verzeichnet das Hilfetelefon „Gewalt
gegen Frauen“ seit Mitte Mai. Es fehlen Plätze in Frauenhäusern.
Misogynie und Rassismus: Lasst euch nicht besänftigen
Die US-Autorin und Aktivistin Soraya Chemaly zeigt die Wut als befreiende
Kraft. Auch wie Rassismus und Antifeminismus zusammenhängen.
Genderexpertin über „Männerwelten“: „Das ist nicht die Welt des Mannes�…
Das Duo Joko und Klaas hat vieles richtig gemacht. Nun befassen sich mehr
Menschen mit dem Thema Gewalt an Frauen, sagt die Politologin Regina Frey.
+++ Corona News vom 15. Mai +++: Mit Mundschutz in die Kneipe
Ist es im Restaurant zu eng, müssen Gäste einen Mundschutz tragen. Dresdner
Kreuzchor tritt bald wieder auf. Nachrichten zum Coronavirus im
Live-Ticker.
Debatte Gewalt in Partnerschaften: Die Scham ist nicht vorbei
Trotz guter Gesetze hat sich gesellschaftlich wenig bewegt: Noch immer
schweigen Frauen nach Gewalt – wegen Schuldgefühlen oder aus Angst.
Gewalt in der Partnerschaft: Hinter verschlossener Tür
Jede vierte Frau erfährt Gewalt in der Partnerschaft. Auch Frauengewalt an
Männern gibt es, doch diese ist sehr selten und auch nicht so brutal.
Beschreibung sexualisierter Gewalt: Wer vergewaltigt wurde, ist ein Opfer
Betroffene einer Vergewaltigung werden zu Objekten gemacht. Eine Replik auf
die Einführung des Begriffs „Erlebende“.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.