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# taz.de -- Schutz vor Gewalt nach einer Trennung: Wenn der Vater die Mutter be…
> Vor Gericht wiegt nach einer Trennung das Recht des Vaters auf das Kind
> oft schwerer als der Gewaltschutz. Die Väterlobby hat großen Einfluss.
Bild: Nach dem Honeymoon folgt nicht selten der Rosenkrieg
Gewalt an Frauen und Kindern geht eher selten vom Fremden aus, der im
Gebüsch hockt. Die größte Gefahr stellen Männer aus dem engsten Umfeld dar
– [1][meist die eigenen (Ex-)Partner.] Nachtrennungsgewalt heißt das, wenn
der ehemalige Partner aufgrund der Trennung eine derartige (narzisstische)
Kränkung erlebt, dass ihn nur noch ein Wunsch antreibt: die Ex-Frau zu
vernichten. Die gemeinsamen Kinder sind solchen Männern egal, sie werden
instrumentalisiert oder verletzt, mit dem Ziel, der Mutter wehzutun.
Natürlich gibt es wunderbare Väter. Ich spreche hier nur von den Vätern,
die Frauen und Kinder als ihren Besitz erachten und für die die Trennung
einen Verlust von Kontrolle und Macht darstellt.
Das BKA hat 2020 rund 120.000 Fälle häuslicher Gewalt von (Ex-)Partnern
gegen Frauen erfasst. Die Zahlen steigen. Eine Studie zeigt, dass wir es
in 20 Prozent der aktuellen Paarbeziehungen mit schwerer Gewalt gegen
Frauen zu tun haben. Und jeden dritten Tag stirbt in Deutschland eine Frau
durch Männergewalt – häufig nach einer Trennung. Andere müssen ins
Frauenhaus flüchten: jährlich suchen in Deutschland dort 34.000 Frauen und
Kinder Schutz. Sind gemeinsame Kinder im Spiel, haben die Mütter kaum eine
Chance, sich und die Kinder mit der Trennung zu schützen. Im Gegenteil: Oft
werden sie vom Staat zum Täter-Kontakt gezwungen. Das Recht des Vaters auf
das Kind wiegt im Familiengericht schwerer als Gewaltschutz für Mutter und
Kind. Selbst dann, wenn die Gewalt durch den Vater belegt ist, ebenso bei
sexuellem Missbrauch.
Berichtet eine Mutter von väterlicher Gewalt, glauben Familiengerichte und
Jugendämter allzu oft einem misogynen Mythos: Gewalt durch Väter sei
unproblematisch für das Kind oder existiere kaum. Dabei haben wir es in
Wirklichkeit in bis zu 63 Prozent der Umgangs- und Sorgerechtsverfahren
mit väterlicher Gewalt zu tun. Diese Fehleinschätzung führt zu der fatalen
Schlussfolgerung, die Mutter sei das eigentliche Problem. Sie habe sich
die Gewalt ausgedacht oder sei unfähig, sie zu akzeptieren. Belege der
Gewalt, Polizeiberichte, sogar Geständnisse werden ignoriert. Den Müttern
wird vorgehalten: „Auch ein gewalttätiger Vater ist ein guter Vater“, oder:
„Sie hängen in der Vergangenheit, wir wollen aber in die Zukunft schauen.“
Würde es vor dem Arbeitsgericht heißen: „Auch ein gewalttätiger Mitarbeiter
ist ein guter Mitarbeiter“? Oder sagt ein Strafgericht zum Opfer des
tätlichen Angriffs: „Der Vorfall ist vorbei, schauen Sie doch in die
Zukunft.“ Werden in deutschen Gerichtssälen nicht ausschließlich vergangene
Taten verhandelt? Soll das eine Absage an jegliche Rechtsverfolgung sein?
Kann die Mutter nicht freudig in die gewaltvolle Zukunft schauen, gilt sie
als unkooperativ oder psychisch krank. Ihr werden Bindungsintoleranz oder
Vater-Kind-Entfremdung vorgeworfen. Die Mutter wolle nur Kontrolle über
Vater und Kind haben. Damit gilt sie als schädlich für das Kind und muss
den Entzug des Sorgerechts fürchten.
Auch wenn die Mutter bis zur Trennung die engste Bezugsperson des Kindes
war und niemand ihre Eignung anzweifelte, äußern nach der Trennung
plötzlich einige Väter allergrößte Zweifel an ihrer Erziehungsfähigkeit.
Was den klagenden Vätern wohl eigentlich nicht gefällt, ist, dass die
Mutter es wagte, sich zu trennen. Rechtlich ist eine Scheidung für Frauen
erlaubt. Faktisch riskieren sie, dass man ihnen das Sorgerecht entzieht.
Mit der Drohung, man könne ihr jederzeit die Kinder nehmen, werden Mütter
gefügig gemacht. Das ist nicht nur eine theoretische Option. Seit 2009
haben die Sorgerechtsentzüge nach einer Scheidung für Mütter um 50 Prozent
zugenommen.
Hinter diesem Trend steckt die gezielte Unterwanderung und Beeinflussung
von Jugendämtern und Familiengerichten durch Väterlobbys, die längst die
deutschen Behörden mit ihren misogynen Mythen schulen. Bereits seit den
1980ern verfolgen [2][Väterrechtler] die Strategie, Mütter loszuwerden, die
väterliche Gewalt verhindern wollen. Die Anleitung dazu stammt aus den
pädosexuellenfreundlichen Büchern des 2003 verstorbenen US-amerikanischen
Kinderpsychiaters [3][Richard A. Gardner.] Darin schrieb er, es gebe gar
keinen sexuellen Missbrauch, Kinder genössen Sexualität mit Erwachsenen,
das sei Teil der Sexualerziehung. Mütter, die damit ein Problem haben,
seien psychisch krank.
Diese krude Argumentation erinnert nicht zufällig an die Täter-Opfer-Umkehr
aus den Familiengerichten. Radikale Vätervereine werben sogar öffentlich
mit ihrem Faible für Richard Gardner. Einzelne Fehlgeleitete? Weit gefehlt.
Erst im Januar waren sie zum Plausch beim Bundesjustizminister. Ihr Ziel,
damals wie heute: Vätern auch bei Gewalt und Missbrauch weiter
umfangreichen Zugang zu ihren Opfern zu ermöglichen. Die Mütter sind dabei
im Weg.
Politik und Justiz haben nun den Auftrag, aufzuräumen: Ausbildungsinstitute
müssen überprüft werden. Das Justizministerium muss seine Berater
sorgfältiger auswählen. Die Umsetzung der Istanbul-Konvention ist
überfällig. Gewalt muss als Kindeswohlgefährdung anerkannt werden und
[4][Umgangs- und Sorgerecht] sind für Täter auszuschließen.
Für Gerichte, in denen es zu besonders vielen fragwürdigen Beschlüssen
kommt, brauchen wir Untersuchungskommissionen. Eine dieser Hochburgen ist
die Region Hannover–Celle. Mir liegen bereits rund 20 Fälle vor, bei denen
im OLG Celle der Kindeswille ignoriert, Gewalthinweisen nicht nachgegangen
und den Müttern das Sorgerecht entzogen wurde – um die Kinder zum
potenziell gewalttätigen Vater zu verbringen. Für die Einrichtung einer
Untersuchungskommission sammle ich gerade Unterschriften. In Celle wie in
ganz Deutschland darf die Politik nicht wegsehen. Sie muss aufarbeiten,
Wiedergutmachung leisten und Kinder in Sicherheit bringen, die aktuell
bedroht sind.
14 Mar 2023
## LINKS
[1] /Anwaeltin-ueber-haeusliche-Gewalt/!5667349
[2] /Debatte-alleinerziehende-Maenner/!5530883
[3] https://www.akweb.de/ausgaben/687/der-heilige-vater-antifeminismus-vaeterre…
[4] /Sorgerecht-fuer-Kinder-nach-Trennung/!5917492
## AUTOREN
Christina Mundlos
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