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# taz.de -- Sorgerecht für Kinder nach Trennung: Veraltetes Familienrecht
> Das Familienrecht macht ein nicht-emanzipiertes Lebensmodell geradezu
> schmackhaft. Das Wechselmodell wäre ein gleichberechtigtes Konstrukt.
Bild: Das aktuelle Familienrecht ist veraltet und sollte reformiert werden
Hier geht es nicht etwa um „Machtdurchsetzung“ zwischen Müttern und Vätern
auf dem Rücken von Kindern, sondern um Impulse für eine moderne
Gesellschaft, denn tatsächlich existiert sie einfach nicht: die
Gleichberechtigung der Frauen. Sie würde den Grundrechten entsprechen, soll
durch das Antidiskriminierungsgesetz realisiert werden, Quotenregelungen
sollen sie durchsetzen und Gerichte gleichen einiges aus, aber die
Missstände sind beruflich und gesellschaftlich verfestigt. Warum nur?
Eine denkbare Ursache ist, dass Emanzipation die Überwindung veralteter
konservativer Rollenbilder notwendig macht, insbesondere beim elterlichen
Bezug zu Kindern – auch bei Trennungen. Das klassisch-konservative
Familienrecht aus dem Jahr 1900 fördert Gleichberechtigung keineswegs. Es
erscheint als kontraproduktiv, denn es entspringt einem Ideal, das
„klassische Hausfrauenehe“ genannt wird.
[1][Die gesetzlichen Grundlagen im Bürgerlichen Gesetzbuch] stammen nämlich
noch aus der Kaiserzeit, bestanden im faschistischen Obrigkeitsdeutschland
und sind bis heute nicht überwunden. So besteht über Generationen hinweg
die Rollenverteilung „Kind und Küche für Mama, Arbeit und Geld für Papa“,
konsequent konservativ konserviert. Damit Frauen und Männer sich
gleichberechtigt entfalten können, sollte sich das endlich ändern.
Im Kern ist allerdings familienrechtlich vorgesehen, dass das Sorgerecht
bei dem Elternteil liegt, das den intensiveren Kindesbezug und Zeit für
elterliche Sorge hat. Zwangsläufig ist das zunächst regelmäßig die Mutter.
Ohne Eheschließung weist das Gesetz dies sogar explizit zu. Wer vor diesem
Hintergrund rein pragmatisch denkt, könnte auf berufliche und soziale
Selbstverwirklichung verzichten, um familienrechtliche Chancen nicht zu
verschlechtern.
## Konservative Geschlechterklischees
Diese Lebensgestaltung ist Wasser auf die Mühlen für konservative
Geschlechterklischees, die besonders von Männern gerne als Argument genutzt
werden: Emanzipation sei allseits nicht gewollt, weil die althergebrachte
„Normalität funktioniere“. Selbstverständlich sollte jede Frau und jeder
Mann frei über die individuelle Lebensführung entscheiden dürfen, aber
solange staatlich ein nicht-emanzipiertes Lebensmodell geradezu schmackhaft
gemacht wird, ist das gesellschaftliche Ergebnis nicht verwunderlich.
Um dem zu begegnen, ist eine Änderung des Familienrechts oder zumindest der
oft unflexiblen Routine überfällig. Kernproblem ist dabei, ob als Regelfall
„Trennungskinder“ ganz überwiegend, wie bei dem [2][sogenannten
Residenzmodell], bei einem Elternteil bleiben, oder ob der Umgang,
zumindest bis zu einvernehmlicher Einigung, entsprechend des sogenannten
Wechselmodells hälftig geteilt wird.
Beim [3][Wechselmodell] ist auch die Ausgestaltung möglich, wonach der
Umgang jeweils in derselben Wohnung stattfindet, was Kindern Geborgenheit
geben kann, wenn es finanziell machbar ist. Beide Lebensmodelle stehen
alternativ zueinander, sie haben Vor- und Nachteile. Gleichwohl überzeugt
eher [4][das gleichberechtigte Konstrukt]. Alle hätten dann gleiche
Umgangsrechte, und um Gleichberechtigung geht es.
Der oft leider monetäre Anreiz für Zerstrittene, Druck und Gegendruck
auszuüben, würde vermindert. Beide Elternteile blieben für das Kind
präsent. Dem entgegen fällt bislang nach mehr oder weniger jeder zweiten
Trennung faktisch ein Teil komplett. Oft ist das der Vater, aber vermehrt
auch die Mutter. „Besuch“ an nur jedem zweiten Wochenende reicht sicher
nicht aus.
## Nichts muss für immer gelten
Kindern wird noch immer der belastende interne „Loyalitätskonflikt“
aufgebürdet, weil sie den fehlenden Elternteil vermissen und vielleicht ihr
Recht durch Auszug mit den Füßen durchsetzen, was staatlich kontrolliert,
aber grundsätzlich nicht verhindert werden darf. Die hälftige Aufteilung
des elterlichen Umgangs ist für Kinder gewiss nicht immer die beste Lösung,
etwa bei Trennungen noch vor der Geburt oder bei Desinteresse eines
Elternteils. Außerdem kann das Modell für zusätzliche Unruhe im Alltag
sorgen.
Andererseits wirkt Abwechslung bisweilen durchaus bereichernd. All dies ist
jedoch stets abhängig von der individuellen Lebenssituation. Wichtig ist
deshalb, dass die hälftige Aufteilung keineswegs eine Dauerlösung sein muss
und dass versöhnliche Eltern frei in ihrer Abstimmung bleiben. Wenn dann
wieder eine Vertrauensgrundlage aufgrund der solidarischen
Elternverantwortung aufgebaut wird, können konsensfähige Eltern individuell
andere Modelle entwickeln, aber eben aus einer Position auf Augenhöhe.
Dabei sollte beratend unterstützt werden. Kommt es zu Reibereien, bleiben
Gerichte und Behörden berechtigt, um zur Seite zu stehen oder auch um zu
sanktionieren. Ein solches Einschreiten ist selbstverständlich geboten,
wenn sich konkrete Risiken für das Kind abzeichnen, insbesondere wenn
Gefahr von Gewalt droht. Für diese Abkehr von klassischer Rollenverteilung
hat der Bundesgerichtshof schon vor Jahren die Weichen gestellt.
Familienrechtlich wurden die Vorteile paritätischer Einigungsbasis
wissenschaftlich fundiert und [5][empirisch wurde Datenmaterial] beschafft.
Die frühere Regierung lehnte es gleichwohl kurz vor ihrem Ende ab. Die
Ampelkoalition kann nun gesellschaftlich verändern. Ein Weg zu mehr
Kinderrechten in gleichberechtigter Gesellschaft mit authentischer
Akzeptanz kann so geebnet werden. Das wäre in Deutschland ein überfälliger
sozialer Fortschritt.
In nordeuropäischen Ländern sind die Altstrukturen lange überwunden.
Zumindest bestünde dann die Chance, durch ein neues Konzept Vorteile für
alle Menschen zu entwickeln, anstatt in nicht mehr zeitgemäßer Tradition zu
verharren. Streit nicht zu begünstigen und reale Gleichberechtigung fördern
wäre deshalb eine wünschenswerte solidarische Basis.
11 Mar 2023
## LINKS
[1] https://www.familienrecht-in-deutschland.de/
[2] /Debatte-Sorgerecht/!5299414
[3] https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Geric…
[4] /Wechselmodell-bei-Trennungskindern/!5569270
[5] https://www.isuv.de/alle-rubriken/post/detail/News/studie-umgang-und-kindes…
## AUTOREN
Andreas Gran
## TAGS
Kinder
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Rechtsstreit
Familie
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