# taz.de -- Misogynie und Rassismus: Lasst euch nicht besänftigen | |
> Die US-Autorin und Aktivistin Soraya Chemaly zeigt die Wut als befreiende | |
> Kraft. Auch wie Rassismus und Antifeminismus zusammenhängen. | |
Bild: Besonders der Protest von schwarzen Frauen wird gerne überhört, Washing… | |
In diesen Tagen flimmert sie wieder in vielen aufgeregten Bildern über | |
unsere Displays: Wut. Der Mord an [1][George Floyd] hat eine Welle der | |
Entrüstung ausgelöst und ein altbekanntes Problem wieder neu in den Fokus | |
gerückt: den strukturellen und institutionellen Rassismus innerhalb unserer | |
Gesellschaft. Unter den Demonstrant*innen sind besonders viele Frauen. | |
Folgt man der US-amerikanischen Journalistin und Aktivistin [2][Soraya | |
Chemaly], ist das kein Zufall. In ihrem nun auf Deutsch erschienenen Buch | |
„Speak Out!“ zeigt die Autorin, dass der Kampf gegen Rassismus eng mit der | |
Frauenrechtsbewegung verbunden ist. | |
In ihrer Abhandlung über die Kraft der weiblichen Wut führt sie daher viele | |
Schwarze Frauen an, die sich unerschrocken gegen die Benachteiligung und | |
Herabwürdigung von Schwarzen und People of Color einsetzen. Dabei ist das | |
gerade für diese Frauen ungleich schwerer, wie Chemaly eindrücklich | |
herausstellt. Ihre Stimmen werden seltener gehört, weil ihre Wut härter | |
gemaßregelt wird. | |
Generell ist das so eine Sache mit der weiblichen Wut, meint die Autorin. | |
„Es gibt wohl keine einzige Frau auf der Welt, die nicht wüsste, wie offen | |
weibliche Wut verunglimpft wird.“ Als Beispiel führt sie die rassistischen | |
Stereotypen von der zornigen Schwarzen, der feurigen Latina, der traurigen | |
Asiatin und der verrückten Weißen an. Damit gelten Frauen, sobald sie ihrem | |
Ärger Luft machen, gemeinhin meist als jähzornig, ungerecht und schlicht zu | |
emotional. Schon kleine Mädchen leiden unter dieser strukturellen | |
Diskriminierung. Weitaus häufiger als Jungs werden sie, wie Chemaly anhand | |
von Studien der aktuellen Genderforschung zeigt, gemaßregelt und damit | |
letztlich beinahe mundtot gemacht. | |
## Erfahrungen der Ohnmacht | |
Welche Auswirkungen diese Erfahrungen der Ohnmacht und Ungerechtigkeit auf | |
das Leben einer erwachsenen Frau haben, legt die Publizistin in einem | |
abwechslungsreichen Mix aus persönlichen Erfahrungen und aktuellen Studien | |
offen. | |
Tatsächlich sind die Formen von Diskriminierungen von Frauen vielfältig und | |
schlagen in Bereichen zu, in denen man nicht unbedingt mit ihnen rechnet. | |
So werden Frauen, die beim Arzt über Schmerzen klagen, meist mit | |
Beruhigungsmitteln abgespeist. Männer bekommen dagegen das ersehnte | |
Schmerzmittel. Auch mit der in der Gesellschaft häufig ach so hoch | |
angesehenen Mutterschaft ist es nicht so weither, wenn man bei Chemaly | |
liest, „dass alle 90 Sekunden eine Frau an einer vermeidbaren Komplikation | |
im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft stirbt.“ | |
Daneben erledigen Frauen immer noch den Mammutanteil an unbezahlten | |
Aufgaben in Haushalt und Familie. Gleichzeitig überschätzen Männer häufig | |
ihren Arbeitseinsatz im häuslichen Umfeld. Da wundert es wenig, dass die | |
Autorin zu berichten weiß, dass in den letzten 30 Jahren das Engagement von | |
Männern im Haushalt gerade mal um eine Minute pro Tag gestiegen ist. | |
Wirft man einen kritischen Blick auf das aktuelle Konjunkturpaket der | |
Bundesregierung, dann wird klar, dass auch Politiker*innen ihren Einsatz | |
für Frauen unterschätzen. Die Worte „Frauen“, „Geschlechtergerechtigkei… | |
und „Care“ kommen nämlich in diesem nicht mal vor. Dabei sind es in der | |
ersten Linie Frauen, die die systemrelevanten Jobs in der Pandemie erledigt | |
haben. | |
## Frauen als Expertinnen | |
Apropos Pandemie. Beim Auftritt von Frauen als Expertinnen sieht man | |
ebenfalls Chemalys Thesen in „Speak Out!“ bestätigt. Oder fällt Ihnen auf | |
Anhieb eine Virologin ein, die man regelmäßig zu ihren | |
Forschungsergebnissen am Virus befragt hätte? | |
Wenn Frauen dann mal in Diskussionsrunden gefragt werden, läuft es aber | |
auch nicht viel besser. Am Beispiel von Wahlkampfdiskussionen zwischen | |
Donald Trump und Hillary Clinton veranschaulicht die Autorin, dass Frauen | |
beim Sprechen weitaus häufiger unterbrochen werden als Männer. Gleichzeitig | |
wird ihr Redeanteil aber höher eingeschätzt. | |
Beim Lesen von „Speak Out!“ kann man mitunter also auch ziemlich wütend | |
werden. Die Liste an Diskriminierungen, Rassismus und Misogynie, die Frauen | |
aber auch besonders hart Mitglieder der LGBTIQ-Gruppe noch immer in dieser | |
Welt entgegenschlagen, ist genauso lang wie unerhört. Die gute Nachricht: | |
Chemaly lässt die Leser*innen mit ihrer Wut nicht allein, sondern gibt | |
praktische Handlungsempfehlungen, wie man seine Wut in konstruktive Bahnen | |
lenken kann. | |
Damit macht die preisgekrönte Journalistin Schluss mit dem Mythos von der | |
Frau als jäh- und rachsüchtige Xanthippe und entwickelt ein Frauenbild, das | |
die Kraft hat, die Gesellschaft in eine freie und offenere umzugestalten. | |
12 Jun 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Proteste-in-den-USA-nach-Polizeigewalt/!5689298 | |
[2] http://www.sorayachemaly.com/ | |
## AUTOREN | |
Helen Roth | |
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