# taz.de -- Roman „Mein Name ist Monster“: Frauen in extremer Lage | |
> Ein gefährliches Virus, Selbstisolation und eine spezielle | |
> Mutter-Tochter-Beziehung: Katie Hales dystopischer Roman könnte nicht | |
> aktueller sein. | |
Bild: „Mein Name ist Monster“ ist Katie Hales erster Roman | |
Wenn man in dieser Zeit einen Roman liest, in dem von einer gefährlichen | |
[1][Krankheit die Rede ist, die durch ein Virus] ausgelöst wurde; davon, | |
dass die Menschen sich durch Selbstisolation und [2][durch Quarantäne | |
erkrankter Gruppen] zu schützen suchten und dass es zwar menschlich | |
verständlich, aber falsch war, in dieser Situation zu den Liebsten zu | |
fahren – dann ergibt das ein seltsames, irritierendes Echo. | |
Die für ihre [3][Gedichtbände] vielfach ausgezeichnete britische Lyrikerin | |
Katie Hale betritt mit der deutschen Übersetzung ihres Debütromans „Mein | |
Name ist Monster“ unabsichtlich diesen neuen Resonanzraum. Im Original | |
erschien das Buch bereits im vergangenen Jahr. Darin hat sich die | |
Menschheit durch Kriege und den Einsatz tödlicher Viren selbst ausgelöscht. | |
Doch für Hale ist das Virus nicht ihr Hauptthema. Vielmehr ist die dadurch | |
verursachte Katastrophe Ausgangspunkt für die Ausleuchtung einer extremen | |
Situation: eine Frau, um die dreißig, die völlig auf sich gestellt ums | |
Überleben kämpft. Das vorangestellte Zitat aus Defoes „Robinson Crusoe“ v… | |
Überleben auf einer „fürchterliche(n), menschenleere(n) Insel“ verweist | |
darauf. Mit ihrer ungewöhnlichen Frauenfigur namens Monster eignet sich die | |
Autorin das Motiv neu an. | |
„Ich glaube, wenn es alle anderen nicht schaffen, kann man nur als Monster | |
überleben“, sagt die Ich-Erzählerin über sich selbst, deren Vater ihr den | |
Spitznamen Monster als Kind gab. Weil sie so wenig niedlich und | |
anschmiegsam war. | |
## Die Sehnsucht nach dem Alleinsein | |
Weil sie schon früh Dinge erforschen wollte und ihr dafür das Alleinsein | |
notwendig und ein Genuss war: „Nichts wünschte ich mir mehr, als immer | |
allein zu sein. Ich würde eine Erfinderin werden, ganz für mich in einem | |
Labor oder einer Werkstatt meine brillanten Ideen entwickeln und neue | |
Kreationen entstehen lassen.“ Tatsächlich wurde sie Wissenschaftlerin und | |
überlebte in einem Saatguttresor in der Arktis. Als sie nach Monaten | |
herauskommt, gelangt sie mit einem Boot nach Schottland. | |
Hale erzählt (zunächst) ausschließlich aus der Perspektive ihrer | |
Protagonistin. Die letzten Phasen einer sich zerstörenden Menschheit werden | |
skizziert. Dies geschieht in Bezug zu ihren persönlichen Erinnerungen oder | |
Situationen in der erzählten Gegenwart, etwa wenn sie auf Leichen in den | |
verlassenen Häusern stößt. Hale lässt die spröde Persönlichkeit ihrer Fig… | |
greifbar werden, die zugleich eine feine Wahrnehmung für ihre Umgebung | |
auszeichnet: jetzt sind da nur noch die Tiere und die Natur. | |
Hales Sprache ist intensiv, facettenreich und dicht. Die Romandebütantin | |
schöpft aus der Erfahrung der Lyrikerin. Den unbedingten Lebenswillen | |
Monsters konfrontiert sie mit der Frage, was denn Leben überhaupt noch | |
ausmacht, wenn es auf ein bloßes Überleben reduziert ist. Wie ist die | |
totale Einsamkeit zu ertragen? Was bedeutet Zeit? Was bedeutet ein Zuhause? | |
Monster wird sich eines schaffen, auf einem verlassenen Hof. | |
Bei einem Streifzug in die Stadt trifft sie auf ein junges Mädchen, | |
verwahrlost, scheinbar ohne Sprache, ohne Erinnerung. Eine weitere | |
Überlebende. Freude paart sich mit Hybris: Sie gibt dem Mädchen ihren | |
Namen, sich selbst nennt sie nun „Mutter“, das Mädchen soll ihr Geschöpf | |
werden. | |
## „Sie will eine leere Welt haben“ | |
Die spezielle Mutter-Tochter-Beziehung, die sich nun entfaltet, bietet der | |
Autorin Raum für die Ausleuchtung weiterer existenzieller Themen. Sie zeigt | |
Mutter, wie sie zwischen erstmals derart empfundener Empathie, ja Liebe, | |
und Machtausübung schwankt. Wie sie Sprache benutzt, um der Jüngeren ihren | |
Willen und ihre Werte aufzudrängen. Und wie sie damit scheitert. | |
Denn Monster junior ist mitnichten ein unbeschriebenes Blatt. Etwa nach der | |
Hälfte des Romans wechselt Hale ganz in ihre Perspektive. Deutlich werden | |
ihre Zweifel: „Ich meine, dass Mutter die Sachen, die sie sieht, nicht | |
richtig versteht. Manchmal versteht sie alles so sehr nicht, dass ich | |
glaube, sie will eine leere Welt haben.“ | |
Auch sie strebt auf ihre Weise nach Autonomie, ausgerüstet mit der | |
Widerständigkeit einer erwachsen werdenden Tochter. Mancher Konflikt könnte | |
sich ähnlich in einer alltäglichen Familie abspielen, gewinnt aber in der | |
extremen Lage gegenseitiger Angewiesenheit an Schärfe. | |
Schließlich bietet die Autorin auch eine Idee für ein Weiterleben der | |
Menschheit an. Hier aber liegt die Schwäche ihres Debüts, dieser | |
Erzählstrang bleibt fragwürdig. Das aber ist zu verschmerzen, lässt man | |
sich auf die anderen, originellen Ideen Hales ein, auf ihre zwei | |
[4][unkonventionellen Frauenfiguren], mit denen sie das Genre der | |
dystopischen Erzählungen über das (beinahe) Ende der Menschheit definitiv | |
bereichert hat. | |
14 Jun 2020 | |
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## AUTOREN | |
Carola Ebeling | |
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